Marie-Madeleine de Cevins: Confraternity, Mendicant Orders, and Salvation in the Middle Ages. The Contribution of the Hungarian Sources (c.1270-c.1530) (= Vol. 23), Turnhout: Brepols 2018, XII + 365 S., 2 Kt., 36 s/w-Abb., 2 Tbl., ISBN 978-2-503-57871-2, EUR 100,00
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Ein Buch über das Verhältnis von Bruderschaften und Bettelorden im spätmittelalterlichen Ungarn, könnte man denken. Doch "confraternity" meint hier nicht lokale Laien- und/oder Klerikerbruderschaften, sondern die Praxis der Bettelorden, Einzelpersonen, Familien oder andere Gruppen an ihren religiösen Leistungen teilhaben zu lassen, um deren Chancen auf Erlangung des Seelenheils zu verbessern. Diese seit dem 12. Jahrhundert durch individuelle litterae confraternitatis (oder confraternales) formalisierte Idee der geistigen Bruderschaft ("spiritual confraternity") geht auf die monastischen Gebetsverbrüderungen des Frühmittelalters zurück. Was machten die Bettelorden aus diesem Instrument der Gnadenvermittlung und was bedeuteten solche "affiliations" im Spätmittelalter für alle Beteiligten?
Quellengrundlage ist die Sammlung von lateinischen litterae confraternitatis im Budapester Nationalarchiv. Als 'ungarisch' gelten hier Briefe, die sich an Untertanen des Königs der Magyaren richteten; meist wurden sie im Königreich (nach heutiger Geografie Ungarn, dazu Teile von Bulgarien, Rumänien, der Ukraine, Serbien, Kroatien, Slowenien, der Slowakei und Österreich) geschrieben, teils aber - je nach Residenz der ausstellenden Ordensoberen - auch andernorts.
Die Autorin hat zum selben Thema bereits 2015 eine Monografie publiziert. [1] Sie ist seit über 20 Jahren durch Studien zur Bruderschafts-, Kirchen- und Religionsgeschichte des mittelalterlichen Ungarn ausgewiesen. Sechs Kapitel durchforsten das ungarische Korpus von 125 Verbrüderungsbriefen in jede denkbare Richtung. Das Vorgehen ist dabei stets vergleichend: dies nicht nur, was Vorhandensein, Charakter und Funktion ähnlicher Dokumente in anderen, bereits besser erforschten Regionen betrifft (vor allem England), sondern auch durch Vergleich der vier Bettelorden mit anderen spätmittelalterlichen Orden (oft den Paulinern, weniger mit den Ritter- und Hospitalorden) und, in diachroner Perspektive, mit den früh- und hochmittelalterlichen Benediktinern und Zisterziensern. Übergeordnetes Ziel ist es, wie die Einleitung und das forschungsgeschichtlich angelegte erste Kapitel überzeugend herausarbeiten, das eher marginale Phänomen der Verbrüderung ("a blind spot of research") in eine Geschichte der spätmittelalterlichen Frömmigkeit wie auch der Bettelorden einzuordnen, für die Ungarn als Beispiel und Referenzpunkt dienen könnte.
Der Bestand an bisher bekannten, erhaltenen litterae confraternitatis ist in Ungarn nämlich größer als in allen anderen bisher untersuchten Ländern, was angesichts der schwierigen Archivgeschichte des Landes erstaunlich ist. Wie de Cevins insbesondere in Kapitel 2 zeigen kann, liegt dies zum einen an deren Zusammenführung im Nationalarchiv und zum anderen an der überwiegend adligen Herkunft der Adressaten, aus deren Familienarchiven die meisten Briefe stammen. Ausgehend von einem Durchgang durch alle anderen Quellen, die über Verbrüderungen Aufschluss geben - auch kritische Stimmen wie Wycliff oder Hus -, mündet dieses Kapitel in eine Diplomatik der mendikantischen litterae confraternitatis als eigener dokumentarischer Form (unkommentiert bleibt nur die Poenformel, die ein im Anhang edierter Brief des Provinzials der Franziskanerkonventualen enthält, 285). Sie boten den Empfängern entweder ein Standardprogramm (confraternitas mit participatio an den Verdiensten der Orden) oder eine um Gnadenerweise wie Totenmemoria und Bestattung in einem Mendikantenkonvent erweiterte Form. Eine dritte Variante - den Ablassbriefen ähnliche, käufliche Blankobriefe, in die der Erwerber nur noch seinen Namen eintragen musste - ist aus England bekannt, in Ungarn jedoch nicht überliefert.
Kapitel 3 breitet, nach einem Überblick über die dichte Präsenz der Mendikanten (speziell der Franziskaner) im Königreich Ungarn, statistische und sozialhistorische Befunde aus: Ihren größten Erfolg hatten die Verbrüderungsbriefe zwischen 1450 und 1530, was offensichtlich mit der Verbreitung der Franziskanerobservanz zusammenhängt; so war der in Mittel- und Osteuropa aktive Observantenprediger Johannes von Capistrano ein eifriger Produzent solcher litterae. Dazu passt das Soziogramm der Adressatenfamilien mit einem großen Anteil von Hoch- (24%) und Niederadel (60%), denn in erster Linie diese Elite, weniger das Stadtbürgertum, stützte die Observanten. Stadtbürger, aber auch Säkularkleriker, machen dagegen nur eine Minderheit der Empfänger aus, was freilich auch mit der Überlieferungsgeschichte zu tun haben mag.
Kapitel 4 klopft die Briefe auf inhaltliche Aspekte ab: Was bedeuteten die von den Mendikanten erteilten Gnadenerweise theologisch? Zu Grunde lag ihnen die alte Vorstellung von der communio sanctorum, in welcher spirituelle und materielle Güter im Namen der caritas zirkulieren durften; so war es möglich, Gläubige an den religiösen Verdiensten besonders gottesnaher Personen teilhaben zu lassen. Das Prinzip der confraternitas zwischen Religiosen und Laien geht dabei weiter als die bloße Interzession (der Religiosen für die Laien), doch kommt de Cevins letztlich zu dem Schluss, dass die hier in Rede stehende geistige confraternitas von den Bruderschaften als frommen lokalen Vereinen klar unterschieden werden muss. Das zeigt sich im Übrigen auch daran, dass die Mendikanten vereinzelt auch solchen realen Bruderschaften Verbrüderungsbriefe gaben.
Kapitel 5 fragt nach der Bedeutung der Briefe für die Mendikanten, vor allem die Franziskaner, die etwa für zwei Drittel des ungarischen Bestands verantwortlich waren. Ursprünglich war die Ausstellung Chefsache, wurde dann auf die Provinzialoberen ausgedehnt (so meistens in Ungarn) und schließlich auch von Einzelkonventen praktiziert. Die Orden versuchten allerdings, die Zahl der Verbrüderungen zu kontrollieren, und schafften es mit einigem Erfolg, sie so zu gestalten, dass Simonievorwürfe nicht verfingen. Für die Empfänger (Kapitel 6) war die Verbrüderung mit einem Bettelorden eine von zahlreichen Möglichkeiten, ihrem Seelenheil aufzuhelfen. Wie an drei abschließend vorgestellten Beispielpersonen noch einmal gezeigt wird, war sie ein Mittelweg zwischen dem Recht auf Gebetshilfe, das jedem Wohltäter eines Bettelordens zustand, und potenzierten Leistungen wie Totengedenken und Bestattung, gar im Ordenshabit, in einem Konvent.
Diese realistische Einschätzung eines zugegebenermaßen marginalen Phänomens ist sympathisch: Eine derart dichte, in hermeneutischen Kreisen fortschreitende und daher viele Wiederholungen erzeugende Lektüre eines alles in allem begrenzten Textbestands hätte leicht zu einer übermäßigen Quellenverliebtheit führen können. Doch durch ihren komparatistischen Ansatz findet die Autorin stets den nötigen Abstand, um zu ausgewogenen Urteilen zu gelangen.
Zwei kritische Anmerkungen drängen sich jedoch auf. Die erste betrifft die frühmittelalterlichen Verbrüderungen und ihre schriftlichen Zeugnisse, also den historischen Ausgangspunkt der mendikantischen litterae. Das Resümee des Forschungsstands bezieht zwar ein paar Arbeiten aus dem Umfeld von Karl Schmid und Joachim Wollasch ein, doch von einer ernsthaften Rezeption der deutschen 'Memorialforschung' kann nicht die Rede sein. Vor allem fehlen die grundlegenden Beiträge zur Theologie der liturgischen Memoria von Arnold Angenendt. [2] Diese hätten terminologische Missverständnisse verhindert: Gerade das Deutsche kennt, anders als hier angegeben (7), sehr wohl einen eigenen Terminus für "spiritual confraternity", nämlich 'Verbrüderung'; und Liber vitae ist nicht mit "obituary" zu übersetzen (13). Ein Blick in die einschlägigen Editionen hätte geholfen, das Aufkommen der participatio-Formel (Teilhabe des Verbrüderten an den guten Werken eines Klosters) genauer zu beschreiben und das Fehlurteil zu vermeiden, in die monastischen Libri vitae seien Verstorbene erst seit dem 11. Jahrhundert aufgenommen worden (114).
Die im Anhang gebotenen Karten, Tabellen und Grafiken sind nützlich, doch Kritik verdient der Editionsanhang, in dem 16 ungarische litterae confraternitatis transkribiert und teilweise mit Fotos dokumentiert sind. Nach welchen Kriterien die 16 Briefe ausgewählt wurden, bleibt unklar. Insbesondere ist nicht verständlich, warum nur sechs der edierten Texte fotografisch dokumentiert wurden, dafür aber acht Fotos von Briefen zu finden sind, die gar nicht ediert wurden. Hinzu kommen acht gute Fotos von Siegeln, deren Provenienz sich aber auch nicht vollständig mit den edierten oder reproduzierten Briefen deckt. Dass nur ein Teil der Texte überprüft werden kann, ist auch deshalb zu bedauern, weil am lateinischen Wortlaut und an der Interpunktion einiges zu verbessern wäre, wie eine Kontrolle an den vorhandenen Fotos zeigt. Als lückenhaft erweist sich, nach Stichproben, zudem das Personen- und Ortsregister. So hat auch ein überraschend interessantes Buch seine "blind spots".
Anmerkungen:
[1] M.-M. de Cevins: Koldulórendi konfraternitások a középkori Magyarországon (1270 k. - 1530 k.), Pécs 2015. Inwieweit die ungarische Version der englischen entspricht, konnte aus sprachlichen wie logistischen Gründen nicht überprüft werden.
[2] Mindestens A. Angenendt: Theologie und Liturgie der mittelalterlichen Toten-Memoria, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, hgg. von K. Schmid / J. Wollasch, München 1984, 79-199.
Thomas Frank