Rezension über:

Mechthild Isenmann: Strategien, Mittel und Wege der inner- und zwischenfamiliären Konfliktlösung oberdeutscher Handelshäuser im 15. und 'langen' 16. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 450 S., 15 Tbl., ISBN 978-3-515-12574-1, EUR 72,00
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Rezension von:
Magnus Ressel
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Magnus Ressel: Rezension von: Mechthild Isenmann: Strategien, Mittel und Wege der inner- und zwischenfamiliären Konfliktlösung oberdeutscher Handelshäuser im 15. und 'langen' 16. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 12 [15.12.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/12/34662.html


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Mechthild Isenmann: Strategien, Mittel und Wege der inner- und zwischenfamiliären Konfliktlösung oberdeutscher Handelshäuser im 15. und 'langen' 16. Jahrhundert

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Die vorliegende Studie, die Leipziger Habilitationsschrift der Autorin von 2016, widmet sich einem derzeit in der wirtschafts- und rechtshistorischen Forschung stark diskutierten Thema - dem der Konflikte und ihrer Lösungen in familiären Handelsgesellschaften und Unternehmen. Als Quellengrundlage dient die Überlieferung oberdeutscher Firmen aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Damit nimmt die Autorin ein in Deutschland traditionell recht intensiv untersuchtes Gebiet während dessen Blütezeit in den Blick: Oberdeutschland im vom späten 15. bis ins frühe 17. Jahrhundert reichenden, sprichwörtlich gewordenen "Zeitalter der Fugger" (Richard Ehrenberg). Dabei kämpft jeder Forscher und jede Forscherin typischerweise mit einer komplizierten Quellenüberlieferung, die bei der Ausarbeitung einer anspruchsvollen Fragestellung immer ihre eigenen Schwierigkeiten bereitet. Die Autorin nutzt die Tatsache, dass relativ viele Akten zu Konflikten innerhalb der Gesellschaften überliefert wurden, dahingehend aus, dass sie deren wesentlichen Inhalt zum Kern ihrer im Titel explizit genannten Fragestellung macht.

Diese Perspektivierung ermöglicht der Autorin die Nutzung eines beeindruckend weiten Quellenmaterials zu oberdeutschen Handelsfirmen, die auch in der weiteren Öffentlichkeit recht bekannt sind. Implizit schafft es Isenmann dabei, viele neue Aspekte zu bekannten Firmen (Imhoff, Manlich, Höchstetter, Rem, Vöhlin, Paumgartner, Behaim, etc.) zu präsentieren, die damit indirekt an Plastizität für die generelle Forschung gewinnen. Dabei wird den Lesern ein äußerst heterogenes Quellenkorpus ausgebreitet, das von Tagebüchern über verdichtete Briefkorrespondenzen, Testamente und Gesellschaftsverträge bis zu Gerichtsprozessen reicht - und all dies oftmals auch in Kombination. Aus der umfangreichen Überlieferung versucht die Autorin eine Typologie von Konflikten, vorausschauend ergriffenen Gegenmaßnahmen und Ansätzen zur Lösung zu erstellen.

Auf den ersten knapp 20 Inhaltsseiten skizziert die Autorin einleitend den Forschungsstand und die Fragestellung, wobei sie deutlich weniger auf die allgemeinere Wirtschaftsgeschichte der Handelsgesellschaften als vielmehr auf die Forschungen zur Konfliktlösung bei Firmen im Generellen und bei den frühneuzeitlichen Firmen Oberdeutschlands im Speziellen rekurriert. Es folgen weitere 30 Seiten des Teils A, welcher das Forschungsobjekt "Familiengesellschaften" genauer skizziert. Diese werden hier in ihrer weitgefassten Bedeutung erläutert, die Herausbildung dieser Firmenstrukturen historisch nachgezeichnet (vor allem von Italien kommend und sich im Zeitalter der "kommerziellen Revolution" durchsetzend) und in ihr zeitgenössisches rechtliches und normatives Gefüge eingeordnet.

Es schließt sich auf über 250 Seiten der Teil B, "Fallstudien", an. Diese sind, was bei der heterogenen Quellenlage auch nicht anders zu erwarten war, von sehr verschiedener Länge und Dichte. Die Lektüre ist wegen des unterschiedlichen Ablaufs der Streitfälle bisweilen recht kurzweilig. Es erfordert manchmal aber auch angesichts der durch die Quellen nur mühsam rekonstruierbaren Konfliktlinien einige Konzentration, um die Sachverhalte nachzuvollziehen. Man lernt dabei die oberdeutschen Kaufleute des 15. und 16. Jahrhunderts von einer relativ neuen Seite kennen. Die erste Fallstudie, die auf etwa 90 Seiten behandelt wird, sticht hier heraus und man kann geradezu mit den oberdeutschen Firmenlenkern der Imhof-Gesellschaft mitfühlen, die mit Wolf Imhof einen relativ schwierigen Verwandten in Italien für ihre Geschäfte eingesetzt hatten und feststellen mussten, dass er dort ein 'liederliches' Leben führte - inklusive der Zeugung eines unehelichen Kindes mit einer Hofdame der ersten Gattin des Vizekönigs von Neapel. Der Konflikt eskalierte mehrfach und erreichte mit der durch die Nürnberger Imhof über den Kaiser erwirkten viermonatigen Haft Wolfs in Neapel im Jahr 1548 einen Höhepunkt. Schlussendlich wurde der Konflikt durch einen Vergleich in Nürnberg im Jahr 1551 beigelegt. So spektakulär machen sich die weiteren Fallstudien nicht aus, doch bieten sie ein breites Anschauungsmaterial für die Fülle an Konflikten und ihren Lösungsversuchen in der Welt der oberdeutschen Hochfinanz im 15. und 16. Jahrhundert. Immer bemerkt man die Fokussierung der Autorin auf die Herausarbeitung der Typologien und Mechanismen, die Darstellung wird zu keinem Zeitpunkt Selbstzweck.

Der etwa 50 Seiten umfassende Teil C trägt den Titel "Analyse". Hier werden aus den zuvor erarbeiteten Evidenzen Schlussfolgerungen gezogen und die Typen von Konflikten sowie die vorbeugenden und nach Streitbeginn ergriffenen Maßnahmen aufgezeigt. Fünf Konfliktursachen werden als typisch genannt und kurz skizziert. Diese sind allgemeine innerfamiliäre Konflikte, strittige Gewinn- und Verlustermittlungen, kontroverse unternehmerische Entscheidungen, betrügerischer Handel und vertragswidriges Verhalten und verschwenderische oder unfähige Gesellschafter. Dabei zeigen sich besondere Bruchlinien zwischen den Generationen und die Problematik des zeitgenössischen Handelsrechts, welches keine hinreichend eindeutigen Regeln beispielsweise für die Gewinn- und Verlustermittlung festlegte. Als vorausschauende Strategien hiergegen werden fünf Maßnahmen ausführlich aufgeführt, die im Wesentlichen auf eine professionalisierte Ausbildung, eine strategische Heiratspolitik, die Erstellung von tragfähigen Gesellschaftsverträgen und guten testamentarischen Nachfolgeregelungen sowie regelmäßige Gesellschaftsversammlungen hinausliefen. Zur Lösung von bereits entstandenen Konflikten präsentiert die Autorin drei Möglichkeiten: die außerordentliche Gesellschafterversammlung, die Vermittlung und den gerichtlichen Austrag. Im Teil D, einem achtseitigen Resümee, werden die Erkenntnisse der Studie noch einmal konzise gebündelt. Es folgen noch ein Glossar, das Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein detailliertes Register.

Die Arbeit basiert auf einer umfangreichen Archivalien- und Literaturbasis, was sich in der detailgenauen Abstützung durch etwa 2.000 Fußnoten widerspiegelt. Die Resultate wirken daher aus der Tiefe des Materials geschöpft äußerst belastbar. Man lernt die innerfamiliären und -gesellschaftlichen Probleme von oberdeutschen Familienunternehmen des 15. und 16. Jahrhunderts sowie die Strategien, ihnen entgegenzuarbeiten und sie zu lösen, eingehend kennen.

Leicht vermisst man eine konturiertere Profilierung der 'oberdeutschen' Familiengesellschaften, die wohl nur durch einen gezielten Vergleich erzielbar wäre. Angedeutet werden von der Autorin zeitgleiche, aber doch teilweise unähnliche Handelsorganisationsformen (und daher vielleicht auch Konfliktlösungsmechanismen?) im Hanseraum oder ähnliche Phänomene der Konfliktvermeidung und -lösung bei Familienunternehmen des 19. Jahrhunderts - hier wäre wahrscheinlich eine stärkere Bedeutung der rechtlichen Ebene zu erwarten. Angesichts einer ohnedies bereits sehr tiefschichtigen Arbeit, basierend auf kompliziertem Quellenmaterial, wäre das wohl aber hier nicht mehr zu leisten gewesen. Daher sei diese Bemerkung auch nicht als Kritik, sondern als Anregung für weitere Studien in dieser Richtung verstanden. Für Konflikte und ihre vorgängigen Vermeidungs- und nachfolgenden Lösungsmechanismen in den oberdeutschen Familiengesellschaften im Zeitalter der Fugger liegt nun eine äußerst gründliche Arbeit vor, deren Ergebnisse für weitere Forschungen mit großem Gewinn herangezogen werden können.

Magnus Ressel