Andreas Stegmann: Die Kirchen in der DDR. Von der sowjetischen Besatzung bis zur Friedlichen Revolution (= C.H. Beck Wissen; 2921), München: C.H.Beck 2021, 126 S., 2 Karten, 1 Diagramm, ISBN 978-3-406-76412-7, EUR 9,95
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Andreas Stegmann versucht, auf dem für die Reihe "C.H. Beck Wissen" vorgegebenen engen Raum die Entwicklung der evangelischen und katholischen Kirche in Ostdeutschland zwischen Kriegsende und Wiedervereinigung nachzuzeichnen; einen Seitenblick wirft er auch auf die Freikirchen. Er relativiert dabei die Bedeutung der DDR, indem er, im Anschluss an die umstrittene Wertung von Hans-Ulrich Wehler, diese als "Fußnote der Geschichte" bezeichnet. Stärker ins Gewicht für die Darstellung fällt seine Anknüpfung an den Totalitarismus-Ansatz zur Charakterisierung der DDR. Damit kann er den prinzipiellen Konflikt zwischen Staat und Kirche erklären, da letztere ebenfalls einen totalen Anspruch auf den Menschen erhob. Doch eignet er sich auch, um dem Weg der Kirchen in dem ostdeutschen Staat gerecht zu werden? Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Die Besatzungszeit war Stegmann zufolge von einer zielgerichteten Entwicklung zur DDR geprägt, der die evangelische Kirche vor allem ihren Öffentlichkeitsanspruch entgegensetzte. In den sich anschließenden 1950er-Jahren eskalierte zunächst der Konflikt, bevor die DDR ab 1954/55 ein differenzierteres kirchenpolitisches Instrumentarium verwendete und damit bei der Zurückdrängung der evangelischen Kirche größere Erfolge erzielte. Von besonderer Bedeutung war dabei die Einführung der Jugendweihe, die - was eine deutlichere Hervorhebung verdient hätte - zur Entkirchlichung der Gesellschaft entscheidend beitrug. Seit Ende der 1950er-Jahre versuchte die evangelische Kirche, sich theologisch an die neue Situation anzupassen, in der sie nicht länger Volkskirche sein konnte. Ein schwerer Schlag war für die gesamtdeutsch organisierte Kirche der Mauerbau von 1961, der 1969 zur Abspaltung des Bundes Evangelischer Kirchen der DDR (BEK) von der EKD führte. Die evangelische Kirche war nun "nur noch in Grenzen geduldet und zugleich von staatlicher Willkür bedroht" (67).
Die Katholiken sahen sich in den 1950er-Jahren ähnlichen Angriffen wie die Protestanten ausgesetzt. Daher betrachtete die katholische Kirche die DDR "als 'fremdes Haus' [...], dessen 'Grundfesten' sie nicht gebaut hätte und dessen 'tragende Fundamente' sie für falsch hielt" (54). Gleichwohl gelangte sie unter dem Berliner Bischof Alfred Bengsch (1962-1979) zu einem Modus Vivendi mit dem Staat, da sie sich auf sich selbst zurückzog und isolierte, um ihren Bestand zu erhalten. Die Aufbrüche infolge des 2. Vatikanischen Konzils waren daher in der DDR weniger spürbar als etwa in der Bundesrepublik.
Anders verhielt sich die evangelische Kirche, die mit ihrer mehrdeutigen Ortsbestimmung von 1971, "nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus" zu sein (75), einen "Ausweg aus der Sackgasse von Rückzug und Resignation" (77) fand, so dass sie sich auch weiter in der immer weniger kirchlichen Gesellschaft engagieren konnte. Stegmann zufolge war diese Orientierung, die mit einem offiziellen Gespräch zwischen der BEK-Spitze und Honecker 1978 ihren Höhepunkt fand, in vielerlei Hinsicht erfolgreich, wobei er jedoch vernachlässigt, dass dieser Weg mit einem Rückgang der kirchlichen Kritik an Missständen in der DDR, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte, verbunden war.
Zwischen 1978 und 1990 sah sich die evangelische Kirche durch die Machthaber, die sich bildenden Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen, denen sie ein Dach bot, sowie die kirchliche Basis, die auf dem Auftrag der Kirche im engeren Sinne bestand, herausgefordert. Die Entwicklung hin zur finalen Konfrontation mit dem Staat verlief freilich nicht so geradlinig, wie Stegmann dies darstellt. Hier hätte er sehr viel stärker auf die Differenzen aufmerksam machen müssen, die zwischen einzelnen engagierten Pfarrern, den "Gruppen" aus dem kirchlichen Raum und den Kirchenleitungen bestanden. Dass vor allem letztere keineswegs zu den Protagonisten der friedlichen Revolution zählten, hätte deutlicher hervorgehoben werden müssen. Im ganzen Buch wäre eine stärkere Differenzierung wünschenswert gewesen, auch wenn diese auf so engem Raum nur schwer zu leisten ist.
Am Ende wirft Stegmann die Frage auf, "warum die Kirchen den Kommunismus überlebt haben" (112). In seiner Antwort rekurriert er nochmals auf den totalitären, kirchen- und religionsfeindlichen Charakter des SED-Regimes, dem die Kirche "einen Raum der Freiheit [entgegengesetzt habe], in dem aufgrund eines anderen Menschbilds gehandelt wurde, in dem man die Konformitätserwartungen der DDR-Gesellschaft unterlaufen konnte und in dem man eine andere Sprache kennenlernen und seine eigene Stimme entwickeln und laut lassen werden durfte" (114). Das ist sicher nicht falsch, aber unzureichend. So hätte sehr viel stärker auch auf die kirchlichen Strukturen verwiesen werden müssen, auf die Einbettung der Kirchen in den deutsch-deutschen Kontext und auf den Umstand, dass diese nicht nur ein Fremdkörper, sondern auch Teil der DDR-Gesellschaft waren. Gleichwohl erfüllt der Band seine wichtigste Funktion, wesentliche Informationen zu dem Thema auf knappem Raum zu geben.
Hermann Wentker