Bernardo Francesco Gianni / Agostino Paravicini Bagliani (a cura di): San Miniato e il segno del Millennio (= mediEVI), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2020, XVIII + 452 S., zahlr. Abb., zahlr. Tbl., ISBN 978-88-8450-986-4, EUR 65,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Bruno Laurioux / Agostino Paravicini Bagliani / Eva Pibiri: Le Banquet. Manger, boire et parler ensemble (XIIe-XVIIe siècles), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2018
Bernard Andenmatten / Agostino Paravicini Bagliani / Eva Pibiri: Le cheval dans la culture médiévale, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2015
Agostino Paravicini Bagliani: Le monde symbolique de la papauté. Corps, gestes, images d'Innocent III à Boniface VIII, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2020
Das Jahr 1000 wird seit Langem als ein Wendepunkt dargestellt, auf den manche Zeitgenossen sogar mit Angst geschaut und gewartet haben sollen. Zwar ist diese Interpretation des Übergangs zum 11. Jahrhundert, die oft auf einer vorschnellen Lektüre von Passagen aus Chroniken beruht, von der Forschung weitgehend relativiert worden. Doch lassen sich um das Jahr 1000 immerhin zahlreiche politische, soziale und religiöse Neuerungen beobachten, welche die Weichen für nachhaltige Veränderungen auf europäischer Ebene stellten. Ausgehend von der Gründung der toskanischen Abtei San Miniato al Monte (Florenz) im Jahr 1018 bietet der vorliegende Sammelband einen umfassenden Blick über eine Reihe von Aspekten, die als symptomatisch für eine Epochenwende betrachtet werden können. Darüber hinaus thematisiert er die Anfänge dieser Wende in den Jahren der Abteigründung, ohne dabei die Ursprünge des Klosters zu mythisieren und eine teleologische Entwicklung zwingend anzunehmen. Dieser Ansatz erklärt auch den Titel des Sammelwerkes: San Miniato und das Zeichen des Jahrtausends.
Obwohl San Miniato ein aussagekräftiges Beispiel für eine Klostergründung zu Beginn des 11. Jahrhunderts darstellt, ist die Geschichte dieses Klosters nur unzureichend erforscht worden. Im Rahmen der vielfältigen Klosterlandschaft der hoch- und spätmittelalterlichen Toskana wurden bischöfliche Gründungen im Vergleich zu zeitgenössischen Reformklöstern zumeist als unbedeutend angesehen. Bei der Florentiner Abtei beruht diese Lesart u.a. auf dem negativen Urteil, das die Vallombrosaner über Bischof Hildebrand fällten, der das Kloster gründete und dem man Simonie vorwarf. In den letzten Jahren ist diese allzu scharfe Einschätzung größtenteils revidiert worden und auch bischöfliche Stiftungen werden nunmehr als Bestandteil der religiösen und politischen Erneuerung des 11. Jahrhunderts betrachtet. Im Fall von San Miniato hat dieser jüngere Blick eine neue Auswertung des dokumentarischen Materials und somit eine differenziertere Deutung der frühen Klostergeschichte nahegelegt. Die skizzierten forschungsgeschichtlichen Umstände erklären die Entstehung des zu besprechenden Bandes, der sich einerseits als Festschrift für das tausendjährige Jubiläum der Klostergründung versteht, andererseits aber einen Beitrag zu einem wichtigen und dennoch nach wie vor ziemlich vernachlässigten Themengebiet leisten möchte.
Der Band versammelt die Ergebnisse einer San Miniato gewidmeten Tagung, die genau 1000 Jahre nach der Gründung der Abtei (1018) auf dem Florentiner Hügel stattfand. Das im Vorwort von Agostino Paravicini Bagliani erläuterte Ziel des Bandes besteht darin, die historische Bedeutung des Kults des heiligen Minias von Florenz zu beleuchten, indem zwei verschiedene Perspektiven zur Geltung gebracht werden: eine "aus der Nähe", welche auf den Kult des heiligen Minias im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eingeht, und eine "aus der Ferne", welche eine umfassende und vergleichende Betrachtung ähnlicher Religiositätsformen im europäischen Kontext bietet.
Das Buch ist in vier große thematische Abschnitte gegliedert, die vier unterschiedliche Aspekte der Geschichte der Abtei und des Kults des heiligen Minias in den Blick nehmen. I: Das Mönchtum und Europa um das Jahr 1000, II: Die Mark Tuszien und die Stadt Florenz um 1000, III: Das Novum auf der Feuerprobe. Experimente, Modelle und Ideologien in der Spiritualität und Hagiographie des 11. und 12. Jahrhunderts, IV: Die Memoria des Jahrtausends. Liturgie und Erinnerung an die Gründung, 9. bis 15. Jahrhundert. Die Beiträge der vier Abschnitte lassen sich ihrerseits in drei Gruppen einteilen: Eine erste Gruppe umfasst quellenbasierte Untersuchungen über den Heiligen und die Abtei. Dazu gehören die Beiträge von Massetti über die Beziehungen zwischen dem Reich und San Miniato im 11. Jahrhundert, D'Acunto über die Rolle des Mönchtums im Rahmen des politischen Lebens der Mark Tuszien zur ottonischen und frühsalischen Zeit, Nocentini über die Viten des heiligen Minias, Alpigiano über das Officium sancti Miniatis aus einem Florentiner Antiphonar des 12. Jahrhunderts, Tacconi über den Kult des heiligen Minias in der Bischofskirche von Florenz, Benvenuti über den Kontext hagiographischer Texte aus dem Zeitraum zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert sowie abschließend von Caby über einen Briefwechsel zwischen zwei Mönchen von San Miniato und einem Aretiner aus dem 15. Jahrhundert. Eine zweite Gruppe von Beiträgen bietet überblicksartige Betrachtungen über Frömmigkeit und Mönchtum sowie über die damit verbundenen hagiographischen oder musikalischen Texte in einer mittleren oder langfristigen Perspektive. Dazu zählen die Aufsätze von Melville über das benediktinische Mönchtum von seinen Anfängen bis zum 12. Jahrhundert, Fornasari über die besondere Bedeutung des 11. Jahrhunderts für die Entwicklung des europäischen Mönchtums, Goullet über die Neuanfertigung von Heiligenviten im 11. Jahrhundert, Degl'Innocenti über die toskanische Hagiographie des 11. und 12. Jahrhunderts, Salvestrini über die Entwicklung des toskanischen Mönchtums von der Spätantike bis zum kommunalen Zeitalter, Licciardello über den Heiligenkult im Lichte der florentinischen Kalender vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, Malquori über Paolo Uccello und die Spiritualität der Olivetaner sowie von Rusconi über die musikalische Tradition desselben Ordensverbandes. Eine dritte Gruppe von Beiträgen bietet zu guter Letzt vergleichende Ansichten. Dazu gehören die Aufsätze von Andenmatten über die burgundischen Klöster, Castaldi über die Literatur am Hof der Mathilde von Canossa, Alberto über die Passionare in der Grafschaft Kastilien im 11. Jahrhundert und Macchioro über die Übersetzung hagiographischer Texte aus dem Griechischen in Süditalien im 11 Jahrhundert.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf alle Beiträge einzugehen; für einen inhaltlichen Überblick ist vielmehr auf das Vorwort von Agostino Paravicini Bagliani zu verweisen. Es bleibt jedoch festzustellen, dass sich die beachtliche Bandbreite des Werkes in einigen Fällen als Grenze erweist. So ist beispielsweise bemerkenswert, dass nur relativ wenige Beiträge (diejenigen der ersten Gruppe) der Gründung und dem Kult des heiligen Minias im engeren Sinne gewidmet sind, während alle anderen darauf abzielen, den Fall San Miniato in einen breiteren Kontext einzuordnen oder einen Vergleichsmaßstab zu bieten. Der Ansatz ist ohne Zweifel lohnenswert, denn nur auf diese Weise können Einzelfälle vollständig gewürdigt und verstanden werden. Das verfolgte Ziel wird jedoch nur teilweise erreicht: Denn obwohl der Band viele interessante Einblicke in Phänomene und Neuerungen liefert, die das Gesicht Europas im 11. Jahrhundert und darüber hinaus prägten, liegen ihm nicht klar umrissene gemeinsame Forschungsfragen zugrunde, die es erlaubt hätten, das Spezifikum von San Miniato im gesamteuropäischen Kontext zu zeigen. So bleiben beispielsweise die reichhaltigen und interessanten Beiträge von Macchioro und Castaldi über die griechischen Übersetzungen hagiographischer Quellen in Süditalien und die Literatur am Hof der Mathilde von Canossa gewissermaßen Fremdkörper. In diesem Zusammenhang ist das Fehlen eines abschließenden Beitrags zu bemängeln, in dem die Ergebnisse der einzelnen Studien hätten gebündelt werden können. Jeder Leser wird also seine eigene Vorstellung davon entwickeln müssen, welche Spuren das mittelalterliche Europa an der Jahrtausendwende hinterlassen hat und welche Stellung San Miniato in dieser Entwicklung einnahm.
Alberto Cotza