Rezension über:

Igor Santos Salazar: Governare la Lombardia carolingia (774-924) (= Altomedioevo; 9), Roma: viella 2021, 343 S., 4 Kt., ISBN 978-88-3313-815-2, EUR 30,00
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Rezension von:
Alberto Cotza
Dipartimento di Civiltà e Forme del Sapere, Università degli studi di Pisa
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Alberto Cotza: Rezension von: Igor Santos Salazar: Governare la Lombardia carolingia (774-924), Roma: viella 2021, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/37170.html


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Igor Santos Salazar: Governare la Lombardia carolingia (774-924)

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Im vorliegenden Band analysiert Igor Santos Salazar die Phasen und Formen karolingischer Herrschaft in der Lombardei. Zu Beginn klärt der Autor den geografischen und chronologischen Rahmen der Studie (13-38). Der Begriff "Lombardei" entspricht dabei weder dem heutigen Sprachgebrauch noch dem der Barbarossazeit. Vielmehr bezieht er sich auf ein Gebiet, das sich grob von den Flüssen Mincio und Sesia bis zum Alpenkamm und dem Po erstreckt (30). In diesem Raum lagen die Hauptstadt Pavia, zentrale Orte wie Mailand sowie zahlreiche königliche Besitzungen ("curtes"), die eine zentrale Rolle für die herrschaftlichen Aktivitäten spielten. Dank der umfangreichen Quellenüberlieferung - nur übertroffen von derjenigen aus Lucca und Piacenza - ließe sich in diesem Gebiet eine "kontinuierlichere und einschneidendere politische und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit von Königen und Kaisern" beobachten, während außerhalb von ihm kirchliche Akteure und Aristokraten politisch aktiver waren (34).

Die herausragende Rolle von Königen und Kaisern in der Lombardei bildet auch die Grundlage für den gewählten chronologischen Zuschnitt der Untersuchung. Während der Beginn des Untersuchungszeitraumes - 774, das Jahr der Eroberung des Regnum Langobardorum durch die Karolinger - naheliegend erscheint, ist das Enddatum der Studie, 924, weniger konventionell. Der Autor argumentiert, dass sich die von den Karolingern etablierten politischen Strukturen erst mit dem Tod Berengars von Friaul tatsächlich auflösten. Das Jahr 888 stellte lediglich einen Moment in einer anhaltenden Krise dar, da Gerichte weiterhin funktionierten und Diplome ausgestellt wurden.

In seiner Studie greift Santos Salazar aktuelle Trends der Frühmittelalterforschung auf, die der königlichen Zentralgewalt in Bezug auf politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel besondere Bedeutung beimessen (15-27). Der Vergleich verschiedener Forschungspositionen zu "Staat" und "Staatlichkeit" im frühen Mittelalter führt zu einer weit gefassten Definition: "eine Gesamtheit politischer und militärischer Befugnisse, die von den Königen in ihren Herrschaftsgebieten (die als polyfokale Räume verstanden werden und durch das Nebeneinander verschiedener Hoheiten gekennzeichnet sind) aufgrund der - nicht immer friedlichen - Zusammenarbeit sozialer Gruppen ausgeübt wurden, die in militärischer Hinsicht stark konnotiert und durch eine Reihe politischer und familiärer Beziehungen miteinander verbunden waren, die für die Schaffung der Mechanismen, die die politische Legitimität und die Regierungstätigkeit der Herrscher stützten, von grundlegender Bedeutung waren". (27)

Kapitel 1 widmet sich der Darstellung der komplexen Urkundenlandschaft der karolingischen Lombardei und ihrer Geschichte, wobei ein Unterkapitel die Geschichte von Urkundeneditionen in den Mittelpunkt stellt. Diese Ausführungen erweisen sich für ein Publikum, das sich den Schwerpunkten der Studie annähern möchte, als besonders weiterführend. Nach diesem einführenden Kapitel wird die "karolingische Staatlichkeit" anhand von drei Hauptthemen untersucht: Könige (Kapitel 2), sogenannte Beamte (Kapitel 3) und Güter des königlichen Fiskus (Kapitel 4).

Kapitel 2 bietet eine Übersicht über die politisch relevanten Ereignisse von der Eroberung des Regnum Langobardorum bis zum Tod Berengars. Der Autor betont, dass die Karolinger die Lombardei, im Gegensatz zu anderen eroberten Gebieten wie Katalonien, nur schrittweise unter ihre Kontrolle brachten. Erst unter Lothar I. und Ludwig II. sei ein klareres Bild der politischen Aktivitäten der Karolinger aus den Quellen sichtbar.

Kapitel 3 beginnt mit einer Untersuchung der Begriffe, die karolingische Gelehrte zur Charakterisierung politischer Entitäten verwendeten. Dabei erweist sich "res publica" als der bis ins 10. Jahrhundert am weitesten verbreitete Begriff. Erst nach dieser Phase habe sich eine neue Auffassung von Staatlichkeit etabliert, die weniger durch allgemeine Züge gekennzeichnet war und einen stärker seigneurialen Charakter annahm. Der Autor analysiert anschließend die konkrete Funktionsweise der "res publica" durch verschiedene Amtsträger: Grafen, Bischöfe und kleinere "Beamte", die anhand exemplarischer Vertreter behandelt werden. Besonders interessant ist die Untersuchung der kleinen Beamten: Ab der Zeit Lothars und Ludwigs II. wurden die "gastaldi" von "vicecomites" flankiert, die die öffentliche Gewalt auf dem Land repräsentierten und für den Zusammenhalt von ländlichen und städtischen Zentren verantwortlich waren. Die "scabini" (Schöffen) werden aufgrund ihrer weiten Verbreitung im urbanen Umfeld als besonders bedeutsam eingestuft. In einigen Zentren wie Mailand ist ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem allmählichen Verschwinden der "scabini" und dem Beginn der Praxis der Einsetzung kaiserlicher und stadtansässiger Richter festzustellen. Diese politisch einflussreichen Persönlichkeiten erlebten einen oft schwer nachvollziehbaren Aufstieg und Abstieg. Tatsächlich bildeten sie "eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die ihre Stellung in der Gesellschaft einem Flickenteppich wechselnder Charaktere verdankten, von privatem Vermögen über ein Netzwerk familiärer Beziehungen und Freundschaften bis hin zu militärischen Unternehmungen, die es einigen ermöglichten, in den erlesenen Club der kirchlichen und bischöflichen Aristokratie einzutreten". (209)

In Kapitel 4 untersucht der Autor das komplexe Thema der "wirtschaftlichen Grundlagen des Regnum" und bezieht sich dabei auf neue Forschungstrends, die eine Neubewertung der italienischen "Fiskalgüter" anstreben. Trotz der Schwierigkeiten, die mit der lückenhaften Überlieferung verbunden sind, versucht Santos Salazar, die Geographie und Funktionsweise der öffentlichen Gewalt in der karolingischen Lombardei darzustellen. Die Reichs- bzw. Fiskalgüter waren über das Gebiet ungleichmäßig verteilt: Sie konzentrierten sich entlang der Flussachsen, während sie in den voralpinen Gebieten aufgrund der Dominanz aristokratischer und städtischer Güter seltener waren. Die zentrale Stellung der Fiskalgüter wird in diesem Kapitel insgesamt bekräftigt. Die urkundlich fixierten Abtretungen werden nicht als Verlust, sondern als Mittel zur Konsolidierung der politischen Zugehörigkeit interpretiert. Die Schlussfolgerungen fassen die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammen.

Wie deutlich geworden sein sollte, bietet die Studie ein reiches und facettenreiches Bild der karolingischen Lombardei. Zudem werden die Ergebnisse stets im Licht aktueller Forschungserkenntnisse diskutiert. Allerdings erscheinen die einzelnen Themen manchmal eher überlagert als eng miteinander verzahnt, was die Effektivität der Interpretationsvorschläge einschränkt. Die Ausgangsfrage was ist die karolingische Lombardei und was sind ihre Besonderheiten im Kontext Italiens und der fränkischen Reiche - bleibt letztlich offen für weitere Forschungen. Es wäre wahrscheinlich sinnvoller gewesen, die Problematik expliziter zu formulieren und in einem spezifischeren konzeptionellen Rahmen als dem der "Staatlichkeit" zu verankern. Die im Buch verwendete Definition von "Staat" ist möglicherweise zu weit gefasst und basiert mehr auf politischer Theorie als auf einer historischen Betrachtung. Zudem hätte ein Vergleich mit anderen gut erforschten Regionen (wie der Toskana oder der Provence) klarere Ergebnisse über die Besonderheiten der Lombardei liefern können. Dennoch stellt die Originalität des von Santos Salazar gewählten chronologischen und geografischen Ansatzes eine hervorragende Grundlage für weitere Forschungen dar, was zweifellos eines der wichtigsten Verdienste der Studie ist.

Alberto Cotza