Rezension über:

Florian Kühnel / Christine Vogel (Hgg.): Zwischen Domestik und Staatsdiener. Botschaftssekretäre in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen (= EXTERNA. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven; Bd. 15), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, 277 S., ISBN 978-3-412-52114-1, EUR 60,00
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Rezension von:
Anne-Simone Rous
Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Anne-Simone Rous: Rezension von: Florian Kühnel / Christine Vogel (Hgg.): Zwischen Domestik und Staatsdiener. Botschaftssekretäre in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 9 [15.09.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/09/35699.html


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Florian Kühnel / Christine Vogel (Hgg.): Zwischen Domestik und Staatsdiener

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In dem Band werden nahezu alle Beiträge einer 2018 an der Universität Vechta veranstalteten Tagung zum Gesandtschaftspersonal veröffentlicht, die bereits damals innerhalb der Zunft aufhorchen ließ. Denn die Handlungsspielräume und Praktiken der Akteure unterhalb des Botschafterrangs zu erforschen, kann wegen der dünnen Quellenlage als eine große Herausforderung betrachtet werden. Der Tagungsband belegt allerdings, dass es sich lohnt, die Spuren des untergeordneten Personals zu suchen.

Anhand britischer, preußischer, französischer und osmanischer Fallbeispiele, die als "Probebohrungen" bezeichnet werden (225), wird hier ein Zusammenhang zwischen der Herkunft der Botschaftssekretäre, ihrem Aufgabenspektrum und ihren Karriereverläufen hergestellt. Die Bedeutung der personalen Bindungen, mithin die Protektion durch Verwandte und Patrone, wird insbesondere anhand der Beiträge von Charlotte Backerra, Christine Vogel und Tracey A. Sowerby deutlich. "Affektive Näheverhältnisse" (13) prägten das diplomatische Milieu, schreiben die Herausgeber in ihrem einleitenden Beitrag. Es bilden sich Standesunterschiede zwischen nichtadeligem Personal und adeligen Botschaftern in den Tätigkeiten wie auch dem Alltagsgeschäft im Umgang mit anderen Höfen ab. Die Amtsträger auf allen Ebenen verfügten über eine rein patrimoniale Denkweise und zeigen sich als konservative Diplomaten, wie eine lapidare Bemerkung Florian Kühnels unterstreicht: Botschaftssekretäre taugten "kaum als Motoren der Modernisierung" (199).

Andere Autoren widmen sich Karriereverläufen und dem mit dem Amt verbundenen symbolischen Kapital, wie die instruktive Analyse zum Reputationsgewinn und -verlust von Nadja Ackermann zeigt. Nadir Weber und Christine Vogel fokussieren auf das Aufgabenspektrum und den Status der Gesandtschaftssekretäre aus preußischer und französischer Perspektive. Die Herausgeber taten gut daran, beide Aufsätze direkt hintereinander zu veröffentlichen, da sie einander ausgezeichnet ergänzen. Vogels Beitrag leitet zugleich über zur Situation an der Hohen Pforte, die von Florian Kühnel und Irena Fliter facettenreich hinsichtlich der Normenkonkurrenz und der Hierarchien analysiert werden.

Die Finanzierungsproblematik zieht sich gleichsam wie ein basso continuo untergründig durch alle Beiträge, ohne dass allerdings dieser Aspekt an irgendeiner Stelle gebündelt abgehandelt wird. Die Narrative, die Gesandtschaftssekretäre seien "Eigenunternehmer" (145) oder in einer "finanziellen Prekarität des Fürstendienstes" (119) gefangen gewesen, werden gelegentlich bemüht, da sie die Aspekte von Patronage, Karriereweg und Status sinnfällig zu verknüpfen vermögen. Eine stärkere Bezugnahme zur Soziologie und Wirtschaftsgeschichte wäre allerdings wünschenswert gewesen, zumal schon der Abschnitt über "Gehalt und Nebenverdienste" (188) eine Querschnittsthematik anbot. Gleichermaßen finden sich wiederholt Hinweise auf die im Zuge der Karriere erfolgte Heiratspolitik und Geschenkediplomatie, ohne dass die ebenfalls wichtige Beziehungsarbeit durch Taufpatenschaften oder Gratulationskommunikation angesprochen wird. Der Band diskutiert auf theoretischer Ebene vielmehr, inwiefern die Begriffe Formalität und Informalität sowie Professionalisierung und Professionalität auf den Personenkreis der Botschaftssekretäre Anwendung finden können. Matthias Pohlig gelangt anhand überzeugender Kriterien zu der Auffassung, dass die "Grenze zwischen formalen und informellen Akteuren fragil" sei (40).

Die Multifunktionalität der Sekretäre zeigt sich in ihrer Verwendung als Domestiken und als Verwaltungskräfte. Interessanterweise belegen die Beiträge auch, dass die institutionalisierte Ausbildung von Gesandtschaftssekretären erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich in die Wege geleitet wurde.

Hillard von Thiessen hebt in seinem abschließenden Kommentar die sich eröffnenden Forschungsperspektiven hervor und verweist auf Alltagspraktiken, Workflows, Arbeitsteilung und den Einsatz bei stressigen Friedensverhandlungen sowie die Betrachtung auch der anderen Angestellten in einer Gesandtschaft. Nachlässe und mikrohistorische Untersuchungen böten gute Ansatzpunkte. Auch die Traktatliteratur als "Seismograph eines sich verändernden Konzepts von Staatsdienst" (237) müsse hinsichtlich der Rezeption und Wirkung analysiert werden. Nicht zuletzt verdiente der von Florian Kühnel und Christine Vogel propagierte kulturhistorische Blick auf die Diplomatiegeschichte (22) eine stärkere Beachtung.

Der Schwerpunkt der Beiträge des Bandes liegt auf der anglo-osmanischen und der preußischen Diplomatie des späten 17. und 18. Jahrhunderts, so dass es auf der Hand liegt, dass die Ergebnisse durch Falluntersuchungen zu Botschaftssekretären anderer Höfe abgeglichen werden muss und neben der räumlichen auch eine zeitliche Weitung der Perspektive nottut, um eine Brücke von der Diplomatie des Ancien Régime zur Moderne zu schlagen. Tatsächlich haben die Beitragenden mit dieser Fokussierung auf die zweite Reihe des Gesandtschaftspersonals eine wesentliche Vorarbeit geleistet, die das breite Forschungsfeld absteckt.

Insgesamt zeichnen sich die Beiträge durch einen von den Herausgebern optimal gespannten roten Faden und eine gute Lesbarkeit aus. Vereinzelt erscheinen Erkenntnisse, wie die, dass Karrierewege von der Gesundheit abhingen (95), oder dass Erfahrung ein wichtiger Faktor war (54), als Gemeinplätze, hier hätte die Darstellung gekürzt werden können. Davon abgesehen ist der Band sehr gut komponiert und die Aufteilung der Beiträge gut überlegt. Eine Verschränkung der gewissermaßen übergeordneten Themen erfolgt weniger offensichtlich als vielmehr hintergründig. Die schon erwähnten Querschnittsthemen gesondert und gebündelt zu behandeln, wäre hinsichtlich der identifizierten Forschungsperspektiven ein Gewinn gewesen.

Das abschließende Literaturverzeichnis vereint die grundlegenden Titel aus der jüngeren und aktuellen Forschung zur internationalen Diplomatiegeschichte, ein Personen- und ein Ortsregister helfen bei der raschen Erschließung der Beiträge. Der vorliegende Band stellt somit ein wertvolles Beispiel gelungener vergleichender Forschung dar und ebnet mit seinen Fallbeispielen den Weg zu einer vertieften Betrachtung der unterschätzten Akteure in der zweiten Reihe des Botschaftspersonals.

Anne-Simone Rous