Peter Burschel / Christine Vogel (Hgg.): Die Audienz. Ritualisierter Kulturkontakt in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 335 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-21084-7, EUR 39,90
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Mit ihrer sozial- und kulturgeschichtlichen Erneuerung hat die zwischenzeitlich als Domäne ewiggestriger Rankeaner verpönte Diplomatiegeschichte in den letzten Jahren eine erstaunliche Renaissance erlebt, und der allgemeine Trend ins Globale macht auch vor der Frühneuzeitgeschichte nicht Halt, wie es etwa das Motto der diesjährigen Arbeitstagung der AG Frühe Neuzeit im VHD deutlich zum Ausdruck bringt. [1] Gewissermaßen folgerichtig hat die Forschung auch diplomatische Kontakte über kulturelle Grenzen hinweg in neuerer Zeit vermehrt in den Blick gerückt.
Der vorliegende Band, der auf einen im März 2011 an der Universität Vechta veranstalteten Workshop zurückgeht, versammelt eine Einleitung und zehn Fallstudien, die solche interkulturellen diplomatischen Begegnungen in den Blick rücken. Das Spektrum der beteiligten Herrschaftssysteme ist sowohl in Bezug auf die geografische Lage wie auch in Bezug auf die politische Verfasstheit und Größe weit. Es reicht vom England der Republikzeit über das Osmanische Reich bis hin zum, je nach (europäischer) Sichtweise, monarchisch oder aristokratisch verfassten Anomabo an der afrikanischen Westküste und dem fernöstlichen Königreich Siam.
Trotz dieser Vielfalt zeichnet sich der Band durch ein hohes Maß an Kohärenz aus. Dies liegt zunächst am klug gewählten Fokus auf Audienzen, also direkte, in der Regel zeremoniell strukturierte Begegnungen von Herrschern und fremden Gesandten. Verbindend ist aber auch der Bezug zu Europa, wo sich mit dem Gesandtschaftszeremoniell im Verlauf der Frühen Neuzeit ein spezifisches und, wie sich zeigt, keineswegs universal verständliches Zeichensystem für die Rahmung diplomatischer Kontakte ausgebildet hatte. Zur Kohärenz trägt schließlich der verbindende theoretisch-methodische Bezugsrahmen bei, der sich mit den Schlagworten "Kulturgeschichte des Politischen" und "Symbolische Kommunikation" zusammenfassen lässt.
Auf dieser Grundlage stellt der Mitherausgeber Peter Burschel einleitend einige allgemeine Beobachtungen an. So habe der Bezug auf unterschiedliche Sinnsysteme bei interkulturellen Audienzen symbolische Spannung erzeugt, die in handfeste Konflikte münden konnte. Die Begegnungen hätten aber auch Hybridisierungsprozesse begünstigt, welche die frühneuzeitliche Diplomatie als transkulturelle Praxis auswiesen. Dies bedeute jedoch nicht, dass damit auch eine transkulturelle Öffentlichkeit entstanden wäre. Vielmehr seien die symbolischen Kommunikationsakte bei der Gegenseite oftmals "weitgehend ins Leere" (14) gelaufen. Die hauptsächlichen Adressaten waren demnach nicht selten Andere, seien es umstehende Höflinge, sei es ein mittels medialer Übersetzungsprozesse erreichtes fernes Publikum.
Ohne im Einzelnen näher auf die Beiträge eingehen zu können, sei hier auf einige Konvergenzen, aber auch auf interessante Varianten und offene Fragen hingewiesen. Mehrere Beiträge des Bandes widmen sich der Präsenz europäischer Gesandter am osmanischen Hof, der im 17. Jahrhundert zu einem Präzedenztheater für die Aushandlung von Vorrangansprüchen zwischen deren Prinzipalen avancierte. Signifikant waren Ehrzeichen wie die Wartedauer vor oder die Sitzposition bei der Audienz entsprechend vor allem im Vergleich zur Behandlung der anderen Vertreter und weniger deshalb, weil sie in osmanischer Perspektive eine Unterordnung impliziert hätten.
Gleich in mehreren, ganz unterschiedlich gelagerten Beiträgen zeigt sich, dass insbesondere das Konzept der personalen Repräsentation, das Botschafter als Abbild ihres Dienstherrn auswies, bei außereuropäischen Akteuren mehrheitlich auf Unverständnis stieß. Sowohl an der Hohen Pforte wie auch am Hof von Siam wurde eher den Briefen der fremden Herrscher dieser Status zugeschrieben - und eine entsprechend ehrerbietige Behandlung gegenüber eigenen Schriftstücken von den europäischen Mächten eingefordert. Solche Beobachtungen tragen dazu bei, auch die europäische diplomatische Praxis als spezifisch, ja fremdartig und, im globalen Maßstab, provinziell anzusehen.
Beiträge wie jener zum moldauischen Hospodar zeigen freilich, dass die kulturellen Grenzen auch in diesem Bereich fließend waren und Akteure die symbolischen Register je nach Adressat bewusst wechseln konnten. Zudem offenbaren sich auch Unterschiede in der politischen Kultur europäischer Mächte, etwa zwischen der polnisch-litauischen Wahlmonarchie und dem Königreich Frankreich, die sich in der jeweiligen Gesandtschaftspraxis spiegelten. Bei genauerem Hinsehen erweist sich auch die Grammatik des diplomatischen Zeremoniells in Europa als offen für lokalspezifische Abweichungen.
Meist liegt es an der ungleichen Quellenüberlieferung, teilweise vielleicht auch an sprachlichen Barrieren, dass im Band vor allem die europäischen Perspektiven auf diese interkulturellen Begegnungen zum Tragen kommen. Die Frage nach dem Ausmaß der Missverständnisse lässt sich so bei allem Bemühen um Kontextualisierung meist nicht eindeutig klären, zumal sich bei genauerem Hinsehen auch scheinbar detailgenaue europäische Berichte als widersprüchlich oder unplausibel herausstellen, wie etwa der Beitrag zu Grußpraktiken bei Audienzen am Mogulhof aufzeigt. Interkulturelle Begegnungen werden so auch für Geschichtsforschende zum "semiotische[n] Abenteuer" (Christina Brauner, 265), was freilich nicht gegen deren weitere Untersuchung spricht.
Bei der Lektüre des Bandes zeigen sich auch Desiderata. Die wichtige Rolle von Dolmetschern, Zeremonienmeistern und weiteren Vermittlern, auf die etwa der Beitrag zu Audienzen am Moskauer Hof hinweist, ließe sich noch systematischer in den Blick rücken. Mit der Frage nach deren Perzeption durch außereuropäische Drittbeobachter tun sich neue, vielversprechende Forschungsfelder auf, wie es der Beitrag zu den venezianisch-osmanischen Beziehungen abschließend anregt. Und auch die Frage nach den epochalen Spezifika respektive den Übergängen und Brüchen am Übergang zum 19. Jahrhundert, die im Beitrag zu Audienzen bei den ägyptischen Vizekönigen anklingen, aber nicht systematisch reflektiert werden, wäre noch weiter zu vertiefen. [2]
Dass sich solche Fragen stellen, spricht aber gerade für die Qualität des Buches, das sich fast durchgehend durch hohes analytisches Niveau und empirische Anschaulichkeit auszeichnet. Man findet hier viel zu den Modalitäten interkultureller Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Doch auch wer sich primär für die Funktionsweisen frühneuzeitlicher Diplomatie in Europa interessiert, wird den Band mit Gewinn zur Hand nehmen. Der Grund dafür liegt nicht nur in den beschriebenen Rückkoppelungseffekten in die höfische Öffentlichkeit, sondern auch darin, dass hier scheinbar Selbstverständliches in Frage gestellt wurde und so für uns teilweise erst richtig sichtbar wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. http://www.fruehneuzeittag2015.de.
[2] Dazu etwa demnächst die Tagung "Transformations of Intercultural Diplomacies: Comparative Views on Asia and Europe (1700 to 1850)" in Bern; vgl. https://www.h-net.org/announce/show.cgi?ID=218956.
Nadir Weber