Anne-Simone Rous / Martin Mulsow (Hgg.): Geheime Post. Kryptologie und Steganographie der diplomatischen Korrespondenz europäischer Höfe während der Frühen Neuzeit (= Historische Forschungen; Bd. 106), Berlin: Duncker & Humblot 2015, 294 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-428-14417-4, EUR 79,90
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In Zeiten der nicht enden wollenden WikiLeaks-Affären sind Fragen der Sicherheit und Verschlüsselung diplomatischer Kommunikation von hoher Aktualität. Der zu besprechende, auf eine im Februar 2013 am Forschungszentrum Gotha durchgeführte Tagung zurückgehende Sammelband nimmt sich der Frage an, welche Techniken unter den medialen Bedingungen der Frühen Neuzeit angewendet wurden, um über Distanz vermittelte Informationen vor dem Zugriff unbefugter Dritter zu bewahren. Im Zentrum stehen dabei Maßnahmen zur Sicherung des Inhalts von Briefen, die über öffentlich zugängliche Postwege zwischen verbündeten Potentaten oder Gesandten und ihren Dienstherren ausgetauscht wurden. Dabei können die Verwendung von Verschlüsselungssystemen (Kryptografie) und Maßnahmen zur Tarnung des Trägermediums (Steganografie) unterschieden werden.
Nach einem kurzen Vorwort des Mitherausgebers Martin Mulsow geht Anne-Simone Rous in einer ebenfalls knapp gehaltenen, aber dichten und mit vielen Quellenbeispielen aus dem sächsischen Kontext [1] aufwartenden Einführung auf die Frage der Informationssicherheit in der diplomatischen Korrespondenz der Frühen Neuzeit ein. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass die vermehrte Anwendung kryptografischer Verfahren noch nicht zwangsläufig eine effektivere Geheimhaltung bedeutete, weil die Schwachstellen oft auch bei den "unterbezahlten Wissensträgern in den Kanzleien" lagen (23). Drei von vier weiteren Beiträgen im ersten Teil "Forschungsprobleme und Diskurse" behandeln die Entwicklung der Kryptologie in der Frühen Neuzeit oder stellen gegenwärtige Methoden der historischen Kryptoanalyse vor. Darauf folgen im zweiten Teil "Kryptologie im frühneuzeitlichen Europa" 13 nach geografischen respektive dynastischen Kriterien geordnete Fallstudien zu Geheimhaltungspraktiken in Korrespondenzen vom späten 15. bis 18. Jahrhundert.
Aus den Beiträgen geht zunächst - wenig überraschend - hervor, dass sich die Anwendung verfeinerter Verschlüsselungs- und Sicherungsverfahren und die Entwicklung von darauf abgestimmten Techniken der Briefspionage und Kryptoanalyse komplementär zueinander verhielten. Die Einrichtung von Schwarzen Kabinetten mit professionellen Codebrechern machte es nötig, komplexere Verschlüsselungssysteme zu verwenden, ganze Briefinhalte statt nur Passagen oder einzelne Worte zu chiffrieren und die Schlüssel dafür regelmäßig auszuwechseln. Außerdem wurden Absender anonymisiert und Deckadressen verwendet, um den geheimen diplomatischen Briefverkehr etwa als harmlose Kaufmannskorrespondenz erscheinen zu lassen. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im Kontext des Spanischen Erbfolgekrieges. [2]
Interessant ist indes der verschiedentlich aufscheinende Befund, dass bis ins späte 18. Jahrhundert ein Großteil der diplomatischen Korrespondenz dennoch unchiffriert war oder Codierungen enthielt, die sich mit einfachsten Mitteln aufbrechen ließen. Die Gründe waren unterschiedlich. Oft unterschied sich der Nachrichteninhalt diplomatischer Depeschen kaum von sonstigen "geschriebenen Zeitungen", teils standen - wie bei den verfolgten Protestanten unter Queen Mary I - religiöse Gründe der Geheimhaltung entgegen, teils dienten die verwendeten Codes und Symbole eher der Bestätigung der Zusammengehörigkeit als der Geheimhaltung, so im Falle von verwandten Fürsten der Habsburgerdynastie oder bei Angehörigen von Freimaurerlogen. Der wichtigste Grund war aber der hohe Zeitaufwand, den sowohl das Chiffrieren wie das Entschlüsseln mit sich brachten. Dies hielt die unter Zeitdruck und nicht selten ohne Sekretär agierenden Gesandten vielfach davon ab, die erhaltenen Chiffren-Schlüssel auch tatsächlich in jedem Fall zu verwenden.
Über die technischen Aspekte hinaus lassen die selektiven kryptografischen Praktiken vor allem auch Aufschlüsse darauf zu, welche Informationen in einem bestimmten Kontext als vertraulich galten und welche weniger. Leider unterlassen es nicht wenige Beiträge ob der Faszination über die verwendeten Verschlüsselungssysteme, die Frage überhaupt zu stellen, oder kommen zum naiv anmutenden Schluss, "dass sich in 500 Jahren wenig geändert hat, welche Themen als wichtig erachtet wurden um verschlüsselt zu werden" (135). Dagegen zeigt sich an anderen Stellen, dass nicht nur militärische Informationen oder geheime Kontaktpersonen, sondern vielfach auch Dinge, die uns heute als eher harmlos erscheinen, verschlüsselt wiedergegeben wurden, etwa Aussagen zum Aussehen oder Verhalten von hochrangigen Personen (168). Letztlich ging es bei der Frage der Chiffrierung stets auch um die Position des Gesandten am Empfängerhof, die durch die Weitergabe von - vor Ort keineswegs geheimen - Anekdoten unterminiert werden konnte, wenn die Briefinhalte aufflogen.
Insgesamt fällt bei der Lektüre des Bandes die große Varianz bei der Qualität der einzelnen Beiträge auf. Während etwa die beiden Artikel zur Verwendung von Chiffren in der Korrespondenz des Kaiserhofs sowie der französischen Minister einen empirisch fundierten, längere Zeiträume abdeckenden Überblick zu den teils noch kaum erforschten Praktiken vermitteln und andere sich relevanten Forschungsfragen wie dem Transfer kryptologischen Wissens zwischen Italien und England widmen, präsentieren wiederum andere in derselben Ausführlichkeit einzelne Schriftstücke ohne nähere Kontextualisierung oder schildern detailliert den Gang von Missionen, deren Bedeutung oder Exemplarität bis zuletzt nicht klar wird. Die variierenden Zitiersysteme und die teilweise hohe grammatikalische Fehlerdichte tragen zum gemischten Eindruck bei. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen.
Nichtsdestotrotz regt das Buch dazu an, einem in der Diplomatiegeschichte zwar stets präsenten, aber bisher kaum systematisch bearbeiteten Problemfeld mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Das - noch etwas unvermittelte - Nebeneinander von geschichtswissenschaftlichen Beiträgen und solchen aus der Feder spezialisierter Kryptologen, die computerbasierte Methoden zur Entschlüsselung alter Chiffren anwenden, lässt auf mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit in diesem Bereich hoffen. Damit könnten weitere Grundlagen gelegt werden für eine breitere, sozial- und kulturgeschichtliche Analyse von Geheimhaltungspraktiken in der frühneuzeitlichen Diplomatie, deren Akteure mit einer Vielzahl möglicher Lecks zu kämpfen hatten.
Anmerkungen:
[1] Die Beispiele entstammen dem inzwischen abgeschlossenen Habilitationsprojekt der Mitherausgeberin zur Geheimdiplomatie im frühneuzeitlichen Sachsen; vgl. 13, Anm. 6.
[2] Siehe dazu nun Matthias Pohlig: Marlboroughs Geheimnis. Strukturen und Funktionen der Informationsgewinnung im Spanischen Erbfolgekrieg um 1700, Köln / Weimer / Wien 2016.
Nadir Weber