Rezension über:

Umberto Pappalardo, mit einer Einleitung von Masanori Aoyagi: Zu Ehren des Zeus. Die Olympischen Spiele der Antike, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, 112 S., 131 Farb-, 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-5228-4, EUR 28,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sebastian Scharff
Università di Trento
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Scharff: Rezension von: Umberto Pappalardo, mit einer Einleitung von Masanori Aoyagi: Zu Ehren des Zeus. Die Olympischen Spiele der Antike, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 11 [15.11.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/11/35252.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Umberto Pappalardo, mit einer Einleitung von Masanori Aoyagi: Zu Ehren des Zeus

Textgröße: A A A

Olympiajahre werden von Verlagen und Autoren bekanntermaßen gern dazu genutzt, Bücher zu den antiken Olympischen Spielen auf den Markt zu bringen. [1] Die Sommerspiele von Tokyo 2020, die aufgrund der Pandemie ja erst ein Jahr später stattfinden konnten, boten nun sogar in zwei direkt aufeinanderfolgenden Jahren die Chance auf einen breiten Leserkreis. Und so kann es nicht verwundern, dass mit Barringers "Olympia. A Cultural History" [2] und dem hier anzuzeigenden Werk von Umberto Pappalardo in diesem Zeitraum zwei weitere Olympiabücher erschienen sind. Die immer noch gelungenste Überblicksdarstellung zu den Spielen findet sich allerdings in einer Arbeit von Moses Finley und Harry Pleket aus dem Jahre 1976, die inhaltlich weit über das Zeusfest hinausgeht und zugleich eine profunde Einführung in die griechische Agonistik insgesamt liefert. [3] Aufgrund der zahlreichen und qualitätsvollen Vorgängerarbeiten mag man nun durchaus die Frage stellen, worin der Mehrwert einer weiteren Überblicksdarstellung zu den Olympischen Spielen liegt.

Da neue Grabungsergebnisse aus Olympia - so viel sei vorweggenommen - in dem neuen Buch keine wesentliche Rolle spielen, setzt man seine Hoffnung zunächst auf das interessante Autorenduo: Neben dem Hauptautor, dem Archäologen und ehemaligen Leiter der Ausgrabungen von Herculaneum Umberto Pappalardo, tritt mit seinem japanischen Kollegen Masanori Aoyagi ein Co-Autor auf den Plan, auf dessen Perspektive man besonders gespannt ist. Leider wird die Chance zu einem wirklichen interkontinentalen Dialog nicht konsequent genutzt, da die beiden Teile des Werkes kaum ineinander greifen und so der Eindruck entsteht, "Zu Ehren des Zeus" bestehe aus zwei unabhängig voneinander verfassten Texten, die nicht gut aufeinander abgestimmt sind. [4]

Dem von Pappalardo verantworteten Hauptteil des Buches ist eine Einführung Aoyagis vorangestellt, die sich mit dem "agonale(n) Geist der Olympischen Spiele in der Antike" beschäftigt und in zwei Teile gegliedert ist: Nach einem Einstieg über die gesellschaftliche und kulturspezifische Bedeutung von agonistischen Siegen und Niederlagen in der griechischen Antike geht der Autor zunächst auf die sportlichen Wettkämpfe und ihre Rahmenbedingungen in Olympia ein (7-16), um dann in einem zweiten Schritt auf den Ort der Spiele und dessen über die Agonistik hinausgehende Funktionen zu sprechen zu kommen (16-21). Das Kapitel ist anregend verfasst und eignet sich in seinem essayistischen Stil für das intendierte breite Zielpublikum. Gelegentlich gerät es für den Geschmack des Rezensenten aber etwas zu assoziativ, wenn der Autor etwa in wenigen Zeilen von der Werkstatt des Phidias zum Leonidaion, wieder zurück zum Zeustempel, und dann über Iuvenal und Myron zu Leni Riefenstahl und Hitler eilt, um schließlich die perfekten Körper der Pentathleten zu preisen (17).

Es folgen 16 - meist recht kurze - Kapitel aus der Feder von Umberto Pappalardo, der ein ausgewiesener Kenner der pompejanischen Wandmalerei, römischer Villen und Theater ist, mit Spezialuntersuchungen zur griechischen Agonistik bisher allerdings nicht hervorgetreten ist. Unter den 16 Kapiteln Pappalardos nehmen die Anfänge der griechischen Agonistik in minoischer und mykenischer Zeit (22-24), bei Homer (25-26) und im Mythos (27-31) vergleichsweise großen Raum ein. Überhaupt geht es lange nicht um Olympia: Auf die drei Kapitel zu den Ursprüngen der Agonistik folgen solche zu Religion (32), Erziehung - mit einseitiger Fokussierung auf Sparta und Athen - (33-38) und griechischen Agonen jenseits von Olympia (39-47). Im folgenden Kapitel ist es dann soweit: Der Autor wendet sich Olympia zu - zunächst etwas ausführlicher dem Heiligtum und seinen Monumenten, der Organisation der Spiele, der Vorbereitung und Anmeldung der Athleten (48-59), dann für drei Kapitel den Disziplinen (60-82). Es folgen Ausführungen über den Ablauf der Spiele (83-84), über Strafen, Preise und Ehrungen (85-87) sowie über besonders berühmte Athleten wie Leonidas von Rhodos (88-92), den mit zwölf Olympiasiegen erfolgreichsten Olympioniken der Antike, ein Rekord, der auch in der Neuzeit erst 2016 in Rio de Janeiro von Michael Phelps gebrochen werden konnte. Die letzten Kapitel wenden sich dann der Darstellung der Agonistik in Kunst und Literatur (92-97) sowie der Entwicklung der sportlichen Wettkämpfe in hellenistischer und römischer Zeit (98-105) zu. Fünf Quellenanhänge beschließen das Werk.

Insgesamt bleibt ein ambivalenter Eindruck. Die reiche und qualitativ hochwertige Bebilderung, die die detaillierte Beschreibung sportlicher Abläufe gut zu veranschaulichen geeignet ist, stellt sicher eine Stärke des Werkes dar. Zudem ist auch neuestes Inschriftenmaterial (die Siegerlisten von der Piazza Nicola Amore) berücksichtigt. Dem stehen allerdings nicht unerhebliche Mängel gegenüber: Erstens führt die an sich löbliche Quellennähe dazu, dass häufig zu wenig erklärt, gedeutet und eingeordnet wird. [5] Und wo eine solche Sinnstiftung erfolgt, geht sie oft nicht genug auf Distanz zu langlebigen, teils falschen Vorstellungen, die auf die moderne Olympiabewegung zurückgehen. Als Beispiel sei auf die besondere Hervorhebung eines allgemeinen olympischen Friedens hingewiesen (20, 40, 55), der in seiner angeblich umfassenden Geltung schon von Manfred Lämmer dekonstruiert worden ist. [6] Dazu passt, dass zweitens die verwendete Sekundärliteratur einen leicht angestaubten Eindruck hinterlässt [7] und auch schon einmal auf Wikipedia als Beleg verwiesen wird (Anm. 125). Methodisch hätte man sich zudem einen kritischeren Umgang mit den mythischen Erzählungen zu heroischen Athleten (21; 88-92) und überhaupt weniger Idealisierung der frühen Agonistik gewünscht [8], wohingegen in Bezug auf den Hellenismus noch mit den alten - überholten - Schlagworten wie "professionelle Sportler" (100), "Vergeudung von Geldmitteln" (99) und Zeit des "Niedergangs" (98) gearbeitet wird. Auch kommt das Buch nicht ohne - z.T. gravierende - sachliche Fehler und Ungenauigkeiten aus. [9]

Für einen Überblick über die antiken Olympischen Spiele sei daher nach wie vor die Arbeit von Finley und Pleket empfohlen. "Zu Ehren des Zeus" kann sie um neuere und bessere Abbildungen ergänzen, inhaltlich ersetzen kann es sie nicht.


Anmerkungen:

[1] In der deutschsprachigen Forschung ist das Phänomen zum ersten Mal bei den olympischen Sommerspielen des Jahres 1972 zu beobachten, als mit H.-V. Herrmann: Olympia. Heiligtum und Wettkampfstätte, München 1972 und A. Mallwitz: Olympia und seine Bauten, München 1972 zwei maßgebliche archäologische Führer durch das Heiligtum erschienen und von Herrmann Bengtsons "Die Olympischen Spiele in der Antike" (Zürich ²1983 [1971]) flankiert wurden. Es folgte etwa zu den Olympischen Spielen von Atlanta die Publikation von U. Sinn: Olympia. Kult, Sport und Fest in der Antike, München 1996, ein Werk, das vier Jahre später rechtzeitig zu den Milleniumsspielen von Sydney in einer erweiterten und aktualisierten englischen Übersetzung herausgegeben wurde. Die Rückkehr der Spiele nach Griechenland im Jahre 2004 wurde dann gar von drei Einführungen in das Sportfest begleitet: N. Spivey: The Ancient Olympics. War Minus the Shooting, Oxford 2004, R. Günther: Olympia. Kult und Spiele in der Antike, Darmstadt 2004 und D. C. Young: A Brief History of the Olympic Games, Hoboken 2004. Man könnte diese unvollständige Liste beinahe beliebig fortsetzen, insbesondere, wenn man auch noch Sammelbände mit hinzuzählt, von denen hier W. Stolze (Hg.): 125 Jahre Ausgrabungen der Berliner Museen in Olympia, Berlin 2000 und W.-D. Heilmeyer / H.-J. Gehrke (eds.): Mythos Olympia. Kult und Spiele in der Antike, München 2012 angeführt werden sollen. Darüber hinaus sind natürlich auch jenseits von Olympiajahren wichtige Titel erschienen. Ich verweise nur exempli gratia auf E. N. Gardiner: Olympia. Its History and Remains, Oxford 1925, G. P: Schaus / S. R. Wenn (eds.): Onward to the Olympics. Historical Perspectives on the Olympic Games, Waterloo 2007 und H. Kyrieleis (Hg.): Olympia 1875-2000. 125 Jahre Deutsche Ausgrabungen, Mainz 2002 und ders.: Olympia. Archäologie eines Heiligtums, Darmstadt / Mainz 2011.

[2] J. M. Barringer: Olympia. A Cultural History, Princeton 2021.

[3] Finley, M. I. / Pleket, H. W., The Olympic Games: The First Thousand Years, London 1976.

[4] Es finden sich sowohl thematische Doppelungen (agonales Prinzip: 7-8 und 33; mens sana-Gedanke: 17 und 35; mythische Erzählungen zu heroischen Athleten: 21 und 88-92 - übrigens auch in Pappalardos Text allein: Kosmos - Chaos: 27 und 41) als auch inhaltliche Widersprüche zwischen den Beiträgen. So werden z. B. die Pythien von Aoyagi als "ebenso bedeutend" (15) wie die Olympischen Spiele bezeichnet, während Pappalardo die Isthmien "nach den Olympischen Spielen die zweitwichtigsten" (46) nennt.

[5] Ein Beispiel findet sich etwa am Ende des Unterkapitels zur "Vorbereitung der Athleten" (58), das mit einem mehr als halbseitigen Philostrat-Zitat endet, das weder eingeordnet noch kommentiert wird.

[6] M. Lämmer: Der sogenannte Olympische Friede in der griechischen Antike, in: Stadion 8/9 (1982/1983), 47-83 (engl. Version: The So-called Olympic Peace in Ancient Greece, in: Greek Athletics, hg. von J. König, Edinburgh 2010, 36-62).

[7] In den Fußnoten dominieren Huizinga 1939, Toynbee 1959, Jäger 1934 und Nilsson 1967, allesamt ohne Frage Klassiker, aber nicht mehr unbedingt der neueste Forschungsstand; Burkerts "Griechische Religion" ist noch in der alten inzwischen überarbeiteten Auflage von 1977 zitiert (Anm. 139).

[8] Da ist z. B. die Rede von einer "Eigenschaft von großem Edelmut und Würde" (25) - es folgt ein Vergleich mit der Tafelrunde -, von einem "erhabenen und idealen Charakter" (31) oder von der "Würde und Nüchternheit der traditionellen griechischen Spiele" (99).

[9] Fehler: 600 v. statt 600 n. Chr. (15); Alexander der Große statt Alexander I. bei den Olympischen Spielen (40 m. Anm. 55 und dem Verweis auf Hdt. 5, 22, 2); Ungenauigkeiten: "Athleten der ganzen antiken Welt in Olympia" (21); "nationale Einheit" der Griechen (40); "die üblichen Pferde- und Wagenrennen" (40) bei den Panathenäen, wo es gerade im Hellenismus ein besonders breites Programm an hippischen Disziplinen gab. Ob das Fehlen von steinernen Sitzplätzen im Stadion wirklich von einem "demokratischen Geist der Veranstaltung" (60) - und nicht viel eher von dem viel zitierten olympischen Konservatismus - zeugt, wäre zumindest zu diskutieren, gerade bei Wettkämpfen, die während der gesamten Antike von Aristokraten dominiert wurden, wie H. W. Pleket: On the Sociology of Ancient Sport, in: Sport in the Greek and Roman Worlds, II. Greek Athletic Identities and Roman Sports and Spectacle, hg. von T. F. Scanlon, Oxford 2014, 29-81 (= ders., Zur Soziologie des antiken Sports, MNIR 36 [1974], 57-87) gezeigt hat.

Sebastian Scharff