Michele Renee Salzman: The Falls of Rome . Crises, Resilience, and Resurgence in Late Antiquity, Cambridge: Cambridge University Press 2021, XVIII + 445 S., 7 s/w-Abb., 6 Kt., zahlr. Tbl., ISBN 978-1-107-11142-4, GBP 29,99
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Fünf schwere Krisen, so die Verfasserin unter Verweis auf antike Wahrnehmungen und deren moderne Interpretationen, hätten die Geschichte der Stadt Rom im Zeitraum 312-604 tief geprägt; jede einzelne habe das Potential besessen, "the fall of Rome" einzuleiten - und dennoch habe sich die Stadt bis zum 6. Jahrhundert immer wieder erholen können. Diese bemerkenswerte Resilienz herauszuarbeiten und zu erklären, ist Anliegen des Buches, in dessen Fokus die römische Senatsaristokratie in ihrem spannungsreichen Verhältnis zu Kaisern, Militärs und insbesondere den Bischöfen steht.
Die methodischen Grundlegungen erfolgen in einer Einleitung (1-35), die in das 3. Jahrhundert zurückgreift, am Beispiel der Errichtung der Aurelianischen Stadtmauer das decline and fall-Modell kritisiert, auf dieser Grundlage jüngere Zugriffe auf die Spätantike ("Catastrophists, Transformationalists, and World Historians", vgl. 13) diskutiert und schließlich den eigenen Ansatz vorstellt, der die Perspektive auf "Resilience and Resurgence" (17) richtet. Auch wenn das Transformations-Konzept dazu neige, "the harsh breaks created by certain crises" zu unterschätzen (20), verortet sich Salzman letztlich selbst in dessen Kontext (vgl. 20: "Nonetheless, my approach aligns more with that of scholars who focus on change over rupture"), doch gilt ihr Interesse gerade jenen punktuellen Krisensituationen, deren Bedeutung in den letzten Jahren vielfach relativiert worden sei.
Die nachfolgenden Kapitel sind jeweils einer der fünf Krisen gewidmet, deren erste die Verfasserin in der Schlacht an der Milvischen Brücke 312 erkennt (36-95). Schon hier hätten die Senatoren eine Schlüsselrolle in der Krisenbewältigung gespielt; ihre Unterstützung des siegreichen Herrschers sei, unabhängig von religiösen Bekenntnissen, entscheidend für dessen weitere Erfolge gewesen. Dieser "Constantinian Compromise" habe sich u.a. in der engen Anbindung des Kaisers an senatorische Familien (auch jene, die Maxentius unterstützt hatten) sowie der Vergabe hoher Ämter an deren Repräsentanten manifestiert. Wichtig seien zudem die Neuordnung des Senatorenstandes sowie die Ausweitung der Kompetenzen des Stadtpräfekten gewesen (vgl. 52). All dies habe zu "close ties between the [...] emperor Constantine and the senatorial elite of Rome" (66) geführt. Nicht nur Konstantin selbst, sondern auch die Senatoren hätten davon profitiert: "In sum, the senatorial aristocracy was still the wealthiest, most powerful elite group in Italy and Africa" (76). "Rome-based senatorial aristocrats maintained the economic and political resources that enabled them to retain their predominance in late Roman society and to make ties with elites across the empire" (92). Demgegenüber sei Konstantins Verhältnis zu den römischen Bischöfen - deren eingeschränkte Handlungsspielräume Salzman plausibel herausarbeitet - weit weniger entspannt gewesen (77-89). Wer sich für die römischen Senatoren in der Spätantike interessiert, dem sei besonders dieses Kapitel, das auf der Basis minutiöser prosopographischer Detailstudien eine Fülle an Informationen bietet (nicht zuletzt zum Zuschnitt und zu den Kompetenzen senatorischer Ämter), anempfohlen.
Die zweite große Krise, die Eroberung Roms 410 (96-147), begreift Salzman vor allem als Gelegenheit für die Senatoren, ihre Beziehungen zur aufstrebenden militärischen Elite, zu den Höflingen und dem Kaiser zu vertiefen. Durch kompetitive Investitionen in den Wiederaufbau - auch dabei stand das Amt des Stadtpräfekten, das großenteils an Mitglieder wohlhabender römischer oder italischer Familien vergeben wurde (113), im Mittelpunkt - hätten die Senatoren ihre Position in Rom gefestigt, insbesondere im Vergleich zu den Bischöfen, die nicht in der Lage gewesen seien, ähnliche Vermögen aufzuwenden. Bezeichnend ist, dass - anders als in Konstantinopel - keine religiösen, von den Bischöfen organisierte Prozessionen für die Tiberstadt vor 556 belegt sind; das jährliche rituelle Gedenken an die Erstürmung 410 geht wohl auf Honorius' Rombesuch 414 zurück (132f.). "The transition from an imperial to a papal city had clearly not yet happened" (147). Salzman zufolge waren es nicht zuletzt die senatorischen Anstrengungen und Aktivitäten, die Valentinian III. nach mehreren Rombesuchen schließlich dazu bewogen, dort dauerhaft Residenz zu beziehen (ab 450). Erwägenswert ist schließlich die These, dass gerade die gravierenden Gebietsverluste, die das Weströmische Reich im 5. Jahrhundert erlitt, "made Italy and the city of Rome, along with the senatorial aristocrats who resided there, more influential" (144).
Den Folgen der Plünderung Roms durch die Vandalen 455 gelten die anschließenden Überlegungen (148-196). Salzman arbeitet auch hier die erstaunliche Widerstandskraft der Senatoren heraus, die bald nach dem Geschehen ("almost immediately", 150; vgl. 158f.) schon wieder in die Stadt zurückkehrten und um politische und ökonomische Ressourcen konkurrierten. Auch in diesem Fall interpretiert sie jene Ereignisse, die schon Zeitgenossen als tiefe Zäsur galten, eher als Gelegenheit, um den eigenen Einfluss zu vergrößern - insbesondere durch Allianzen mit den wichtigsten Militärs (Rikimer). "This dramatic narrative of a decimated city and an eviscerated senatorial aristocracy after 455 does not [...] fit the evidence on the ground" (149). Weiterhin habe zudem die Möglichkeit bestanden, durch die Übernahme hoher Ämter aufzusteigen; nicht zuletzt deshalb hätten Mitglieder der wohlhabenden aristokratischen Familien (noch) nicht nach dem Bischofsamt gestrebt. Die Bischöfe selbst hätten weiterhin im Schatten der weltlichen Eliten gestanden, und auch für die kurzlebigen Kaiser sei das jeweilige Verhältnis zu den Senatoren von entscheidender Bedeutung gewesen (Avitus, vgl. 159-162; Maiorian, vgl. 162-166; Libius Severus, vgl. 166-169). Selbst machtvolle Militärs wie Rikimer seien bemüht gewesen, sich mit ihnen zu vernetzen.
Die Ereignisse des Jahres 472 (197-242) hätten, so die Verfasserin, den römischen Senatoren vor allem eines vor Augen geführt: Es bedurfte keines Kaisers mehr im Westen. Dementsprechend hätten sie nun ihre Kontakte zu den wichtigen Militärs sowie zum Hof in Konstantinopel intensiviert; das Ende des Kaisertums im Westen stehe daher nicht so sehr für das Ende des Reiches, sondern für eine Neuorientierung der Eliten. Senatoren treten nun vermehrt in diplomatischen Kontexten auf und spielen auch in innerkirchlichen Konflikten eine wichtige Rolle: "This alliance between senatorial aristocrats and the clergy in Rome, and between senatorial aristocrats and the military elites located in Ravenna - all at a distance from the Eastern emperor and the patriarch - resulted in more than a decade of recovery" (242).
Mit dem oströmisch-gotischen Krieg (535-552) veränderte sich die Lage grundlegend (243-299). Hatten die Senatoren mit Odoaker und Theoderich noch gut zusammenarbeiten können (Ausnahme: die letzten Jahre Theoderichs), so waren sie nunmehr gezwungen, Partei zu ergreifen. Die mehrfachen Belagerungen und Eroberungen Roms führten zu Vertreibungen und enormen Bevölkerungsverlusten. Diejenigen Senatoren, die Verschleppung und Ermordung entgehen konnten, setzten sich auf ihre Güter in Sizilien und Sardinien ab oder flohen nach Konstantinopel. Salzmans Analyse der Pragmatica Sanctio zeigt deutlich, dass Justinian nicht mehr an der traditionellen Führungsrolle der senatorischen Eliten in Italien gelegen war; wichtige Kompetenzen wurden nun den Bischöfen übertragen. Erstmals finden sich während des Gotenkrieges Bischöfe, die aus senatorischen Familien stammten; sie konnten nun in Kooperation mit oströmischen Amtsträgern ihre Wirkungskreise ausweiten - erst in diesem Kontext verortet Salzman den Aufstieg des Papsttums.
Zahlreiche Senatoren zogen sich hingegen auf ihre Güter zurück und verschmolzen allmählich mit den landbesitzenden Eliten; traditionelle, bis dahin statuskonstituierende Aufgaben wurden ihnen nun entzogen und gingen an Bischöfe und oströmische Amtsträger bzw. Militärs über. Damit wurde das allmähliche Ende der römischen Senatsaristokratie eingeleitet - ein Prozess, dem das letzte Kapitel gewidmet ist (300-336), gerahmt von Überlegungen zu der symbolbeladenen Umwidmung der Curia in eine Kirche unter Papst Honorius I. (625-638, vgl. 300f., 335). Nach dem Jahr 603 verschwindet der römische Senat aus unserer Überlieferung. "[...] the end of the Senate represents the final fall of Rome as an ancient city - that is, one in which the ideal of civic society inspired senatorial aristocrats and ambitious men new to senatorial status to serve the state" (301).
Gestützt auf jüngere Vorarbeiten u.a. von Carlos Machado, Fabrizio Oppedisano oder Silvia Orlandi sowie auf zahlreiche eigene Studien, ist es der Verfasserin gelungen, altvertraute Gewissheiten zu hinterfragen und zu widerlegen. Der Monographie liegt ein bemerkenswert umfangreiches Quellenreservoir zugrunde, und Salzmans Analysen der Variae, der Pragmatica Sanctio oder der Briefe des Pelagius I. verdienen eine weitergehende Auseinandersetzung; auch für zukünftige prosopographische Studien dürfte das Buch von hohem Wert sein (vgl. die Anhänge S. 337-399). Die Verfasserin zeichnet das Bild einer aktiven, geschmeidigen und anpassungsfähigen Elite, die Katastrophen nicht fatalistisch hinnahm, sondern als Chance für eigenes Fortkommen und die Erneuerung Roms begriff; traditionelles Konkurrenzdenken, aber auch das Bewusstsein, dem Gemeinwesen verpflichtet zu sein, bildeten - soviel wird deutlich - noch in der Spätantike die Grundlagen senatorischen Handelns, das sich vielfach in bemerkenswerter Unabhängigkeit von Kaisern, Militärs und Bischöfen entfaltete. Erst die dramatischen Entwicklungen, die sich seit Ausbruch des oströmisch-gotischen Kriegs in Italien vollzogen, bereiteten diesen lebhaften Aushandlungsprozessen Ende, nicht zuletzt auch durch die physische Dezimierung des Senatorenstandes. Die These, der Aufstieg des Bischofs von Rom sei in diesem Kontext zu verorten und nicht im Zusammenhang der Entmachtung des weströmischen Kaisertums, wird für weitere Diskussionen sorgen. Mit Salzmans Buch liegt nicht nur ein interessantes Diskussionsangebot zur Rolle der römischen Senatoren in der Spätantike vor, sondern zugleich auch eine dezidierte Stellungnahme innerhalb der weiterhin geführten übergreifenden Diskussion über die Bewertung dieser Epoche.
Mischa Meier