Andrea Osten-Hoschek: Reform und Liturgie im Nürnberger Katharinenkloster. Die Sterbe- und Begräbnisliturgie des 15. Jahrhunderts. Edition und Kommentar (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge; Bd. 27), Berlin: De Gruyter 2023, 246 S., 4 Farb-, 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-077125-1, EUR 104,95
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Dank der umtriebigen jüngeren Klosterforschung sind inzwischen Wirtschaft, Politik, Kunst und Literatur als wichtige Aspekte des monastischen Zusammenlebens im Mittelalter herausgestellt worden. Ein konstitutionelles Element aller Gemeinschaften war jedoch stets die monastische Liturgie - über kurz oder lang sind Fragen nach der rituellen Praxis einer Kloster- oder Ordensgemeinschaft nicht zu umgehen. Die christlich-monastische Liturgie, zumal mit ihrem Anspruch der übergeordneten Gültigkeit und ihrer Realität der spezifischen Ausprägungen, ist wiederum ein komplexes Konstrukt, das sich in den unterschiedlichen Quellen niederschlägt, die aus mittelalterlichen Klöstern erhalten sind. Diese Quellen umfangreich zu erschließen und anschlussfähig zu machen, ist besonders für die Frauenklosterforschung immer noch dringend notwendige Pionierarbeit.
Die vorliegende Dissertation stößt in genau diesen Bereich vor. Mit 'Nürnberg StB, Cent. VI 43u' hat sich die Autorin eine bislang wenig beachtete Handschrift vorgenommen, die in lateinischer und deutscher Sprache eine Beschreibung jener liturgischen Rituale enthält, die in einem spätmittelalterlichen Dominikanerinnenkonvent im Falle der ernsten Erkrankung und des Todes einer Schwester durchzuführen waren. Im entsprechenden Handschriftenkatalog wird der kleine Oktav-Band noch mit Fragezeichen in das berühmte Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Nürnberg verortet und lediglich mit "15. Jh." datiert [1]; Osten-Hoschek kann das nun bestätigen und teilweise präzisieren.
Mit dieser Verortung und Datierung sind auch direkt die Leitlinien der Untersuchung vorgegeben, denn St. Katharina war, nachdem sich die Gemeinschaft 1428 der observanten Reformbewegung ihres Ordens angeschlossen hatte, wohl das einflussreichste Zentrum der Observanz für die Dominikanerinnen im südlichen deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig hat sich hier eine der umfangreichsten Klosterbibliotheken erhalten, ergänzt um eine ebenso glückliche archivalische Überlieferung. Die Geschichte und Kultur des Klosters seit seiner Reformierung hat daher bereits viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen; die Liturgie des Konvents hingegen scheint bislang eher oberflächlich betrachtet worden zu sein. Dabei lautet eine wiederkehrende Forschungsannahme, dass in der Folge einer observanten Reformierung die Liturgica eines (Frauen-)konvents in einer großangelegten Aktion an die neuen Vorgaben der Observanz angepasst wurden. Zeitgenössische Berichte, beispielsweise über intensivierten Leihverkehr oder gemeinsame nächtliche Kopierarbeit untermauern dies, doch was genau sich in den Büchern und den Ritualen änderte, bleibt oft unerwähnt.
Die gewählte Einstiegsfrage nach dem Einfluss der Reformbewegung auf die Sterbe- und Begräbnisliturgie in St. Katharina in Nürnberg (1) ist also ebenso naheliegend wie zentral. Das Herzstück ist allerdings die Edition der Nürnberger Handschrift, die im III. Teil der Arbeit geliefert wird. Sie ist diplomatisch eingerichtet und bietet den deutschen Text recte, den lateinischen kursiv. Der Wechsel der Sprachen wird somit auch optisch hervorgehoben und ist in der Regel gleichbedeutend mit einem Wechsel zwischen den Handlungsanweisungen an den Konvent und den zu sprechenden oder zu singenden liturgischen Texten. Zwei kleine Apparate bieten textkritische Anmerkungen und Identifikationen liturgischer Textstellen, die allerdings nicht immer sauber dem jeweiligen Apparat zugeordnet wurden (z.B. 172, 186, 205, 208, 210).
Die in diesem Text erkennbare Komplexität der Rituale, die anschaulich für die Nürnberger Schwestern beschrieben werden, aber auch weiterführende Informationen zur liturgischen Praxis und die möglichen Spuren der Reform herauszuarbeiten, ist Ziel der ersten beiden Teile der Arbeit. Dabei wird wiederkehrend auf vergleichbare Liturgien aus anderen Dominikanerinnenklöstern verwiesen, vor allem auf 'Leipzig UB, Ms 1555' aus dem nicht-reformierten Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Augsburg, die als konventuales Gegenstück dient.
Teil I ("Exemplarische Beschreibungen") enthält dementsprechend eine Darstellung der Reform im Nürnberger Konvent und den lediglich in neue Klausurbestimmungen mündenden Reformversuch von 1441 im Augsburger Konvent. Eine Betrachtung der schriftlichen Distribution der Reforminhalte aus Nürnberg schließt diesen Teil ab. Der II. Teil ("Quellen und Kommentierung") setzt mit einer Liste der eingesehenen 30 Handschriften aus anderen observanten Dominikanerinnenklöstern ein, die ebenfalls die Sterbe- und Begräbnisliturgie (in Kurz- und Langfassung) überliefern und in engem Bezug zum Reformierungswerk der Nürnbergerinnen stehen. Es folgen die ausführliche Beschreibung der Nürnberger Handschrift, aus ihr und weiteren Quellen gezogene Informationen zu Materialität, Performanz und Personal der Nürnberger Liturgie, sowie eine Beschreibung der Augsburger Handschrift und schließlich ein Vergleich der Nürnberger und Augsburger Handschriften. Eine Liste der Nürnberger Schwestern, die an der Reform in anderen Konventen beteiligt waren, und ein Orts-, Personen- und Sachregister runden die Arbeit ab.
Hinsichtlich der Leitfrage nach Einflüssen der observanten Reform auf die Sterbe- und Begräbnisliturgie kommt Osten-Hoschek nun zu dem Schluss, dass - da sich kaum Unterschiede zwischen der Nürnberger und der Augsburger Fassung fänden - die Antwort negativ ausfallen müsse (153, präziser 149). Kleine Abweichungen in den vorgeschriebenen Psalmen seien eher auf regionale Vorlieben als auf eine Zugehörigkeit zum observanten oder konventualen Ordenszweig zurückzuführen. Der argumentative Weg dorthin scheint jedoch recht schmal, wenn 1+30 Handschrift(en) aus gleichem Kontext mit einer einzigen aus anderem Kontext verglichen werden. Zudem fallen immer wieder bedauerliche Schwächen auf, die die Rezensentin vorsichtig werden lassen. Beispielsweise wird der volksprachliche Teil der Nürnberger Handschrift als "mittelhochdeutsch" (89) charakterisiert; es handelt sich aber um Frühneuhochdeutsch ("und etliche der tapfersten swester süllen dem priester in das siechhaus nach volgen", normalisiert nach fol. 2v, bzw. 161). An anderer Stelle wird eine "mit der Nürnberger Handschrift identische Handschrift" (94) aus dem Bamberger Konvent angeführt, die aber schon auf Basis der Beschreibung im Handschriftenkatalog doch Abweichungen zum Nürnberger Text erkennen lässt. [2] Aus diesem wiederum wird mit der Anrufung des Vincenz Ferrer (Kanonisation 1455) zwar ein wichtiges Indiz genannt, seine Bedeutung für eine post quem-Datierung der Handschrift aber nicht ausgeführt. Auch muss die Stelle dieser Nennung in der Edition erst mühsam gesucht werden (fol. 16v, bzw. 170), da Verweise fehlen und Heilige zwar aus dem Kommentar, nicht aber dem Editionstext ins Personenregister aufgenommen wurden.
So bleibt festzuhalten, dass das Verdienst der vorliegenden Arbeit in der Erschließung und Kontextualisierung der Nürnberger Handschrift liegt. Für eine Bewertung des konkreten Reformeinflusses auf die Sterbe- und Begräbnisliturgie observanter Dominikanerinnen dürften noch umfangreichere Vergleiche (auch chronologischer Natur) nötig sein. Diese sind allerdings nur möglich, wenn genau solche Grundlagenarbeiten die entsprechenden Texte überhaupt erst zugänglich machen.
Anmerkungen:
[1] Karin Schneider: Die deutschen mittelalterlichen Handschriften. Beschreibung des Buchschmucks: Heinz Zirnbauer (Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg I), Wiesbaden 1965, 135.
[2] Bamberg SB, Msc. Lit. 125, in: Katalog der Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Bamberg 1, 1, 2: Liturgische Handschriften, hgg. von Friedrich Leitschuh / Hans Fischer, Bamberg 1897, 273-274 (nicht wie bei Osten-Hoschek 373ff.).
Lena Vosding