Thomas Boghardt: Covert Legions. U.S. Army Intelligence in Germany, 1944-1949 (= U.S. Army in the Cold War ), Washington, D.C.: Center of Military History 2022, XXIV + 546 S.
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Während die Forschung zur Geschichte der Nachrichtendienste in der Bundesrepublik, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch weitgehend ein Schattendasein führt, erfreuen sich Arbeiten zu diesem Themenfeld im englischsprachigen Raum großer Beliebtheit. Dies führt dazu, dass selbst kurze Zeiträume der Tätigkeit verschiedener klandestiner Dienste intensiv erforscht werden. Zur Geschichte der U.S. Army Intelligence zwischen 1944 und 1949 in Deutschland hat der am Center of Military History United States Army tätige Historiker Thomas Boghardt nun eine knapp 550 Seiten starke Abhandlung vorgelegt.
In drei umfangreichen Kapiteln widmet sich der Autor der Entstehung der U.S. Army Intelligence im Zweiten Weltkrieg, ihren Strukturen und Gliederungen in der amerikanischen Besatzungszone einschließlich West-Berlins sowie den verdeckten Operationen des Dienstes zwischen der militärischen Niederlage der NS-Diktatur und der Gründung der beiden deutschen Staaten.
Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg wuchs mit der U.S. Army auch der Nachrichtendienst der US-Landstreitkräfte. Dienten hier 1942 insgesamt 342 Offiziere und 1005 Zivilisten, so stieg diese Zahl bis Oktober 1944 auf 1512 Offiziere, 51 Warrant-Officers sowie 2083 Unteroffiziere und Soldaten. Im gleichen Zeitraum vervielfachte sich der Etat der Behörde von 360.000 Dollar auf knapp vierzehn Millionen Dollar. Hinzu kamen seit Ende 1944 mehr als 10.000 Soldaten und Offiziere der Signal Security Agency, die nun operativ dem militärischen Nachrichtendienst unterstellt war. Ihre Aufgabe bestand darin, feindliche Funk-, Telefon- und Fernschreibverbindungen abzuhören und zu entschlüsseln. Einen dritten Bereich bildete das Counter Intelligence Corps (CIC), das für Spionageabwehr und Gegenspionage in den Streitkräften zuständig war. Außerhalb der Organisation entstand zudem das Office of Strategic Services (OSS) unter Leitung von Colonel William J. Donovan. Ursprünglich zur Koordination der Spionageaktivitäten der US-Streitkräfte gedacht, entwickelte sich das OSS bald zu einer paramilitärischen Konkurrenzorganisation des Nachrichtendienstes der US-Landstreitkräfte.
Um den dringenden Bedarf ihres Nachrichtendienstes an qualifiziertem Personal zu decken, griff die U.S. Army auf rund 2000 deutsche und hier vor allem jüdische Emigranten zurück. Stefan Heym sei hier nur stellvertretend für viele von ihnen genannt. Deren Ausbildung erfolgte, wie die von rund 18.000 weiteren Geheimdienstlern in Uniform, im Camp Ritchie in Maryland, wo die US-Armee eine deutsche Kleinstadt nachgebaut hatte, um ihre Spezialisten auf den Kriegseinsatz im Deutschen Reich vorzubereiten. Aufgrund des hohen intellektuellen Potentials der Ausbildungskandidaten und der Spezifik des bevorstehenden nachrichtendienstlichen Einsatzes herrschte hier eine "unmilitary, almost bohemian atmosphere" (29). Nicht wenige der Offiziere und Soldaten, die hier ihre nachrichtendienstliche Grundausbildung erhielten, sollten später - wie zum Beispiel Henry Kissinger - eine steile Karriere in verschiedenen US-Behörden machen.
Der erste Einsatz des amerikanischen Militärgeheimdienstes in Europa erfolgte ab Sommer 1943 in Großbritannien, wo rund 35 amerikanische Offiziere und 400 Soldaten dabei halfen, den Funkverkehr der Wehrmacht, der Waffen-SS und der deutschen Polizei zu entschlüsseln. Nach der Landung in der Normandie Anfang Juni 1944 setzten Spezialeinheiten der Army Intelligence zur Nachrichtengewinnung auf das europäische Festland über. Zumeist als drei- bis fünfköpfige Sonderaufklärungsteams in den Bereichen Kriegsgefangenenbefragung, Dokumenten- sowie Fotoauswertung und der sogenannten order-of-battle-Aufklärung auf den militärischen Führungsebenen Korps, Armee und Heeresgruppe eingesetzt, agierten hier bald über 3500 US-Soldaten. Bei den 241 CIC-Einheiten in Europa übernahmen weitere 3000 Mann der U.S. Army Aufgaben der Spionageabwehr und der Sicherung des Hinterlandes der westalliierten Truppen.
Ihre erste große Bewährungsprobe hatten die Einheiten des Nachrichtendienstes der US-Landstreitkräfte während der Ardennenoffensive zu bestehen. Obwohl es nachrichtendienstliche Hinweise auf einen bevorstehenden deutschen Angriff gab, wurden die amerikanischen Truppen Mitte Dezember 1944 vom Unternehmen Herbstnebel überrascht. Dennoch gelang es rasch, die heftigen deutschen Angriffe zurückzuschlagen. Vor allem das CIC enttarnte zahlreiche Kommandosoldaten der SS-Operation Greif, die hinter der amerikanischen Frontlinie Chaos und Verwirrung stiften sollten. Nicht wenige dieser Diversanten endeten - wie etwa Otto Struller, der vor dem Krieg als Balletttänzer in den USA und Großbritannien aufgetreten war - vor amerikanischen Erschießungskommandos. Allerdings gab es wenig später auch Misserfolge. Hier ist vor allem der Mythos der sogenannten Alpenfestung zu nennen, die tatsächlich wohl nur in den Berichten des Nachrichtendienstes der U.S. Army existierte.
Das zweite Kapitel des Buches widmet sich den nach Kriegsende in Deutschland bestehenden nachrichtendienstlichen Strukturen der U.S. Army. Hier gibt der Autor akribisch Auskunft über nahezu alle Struktureinheiten der Army Intelligence in der amerikanischen Besatzungszone sowie in West-Berlin. Selbstverständlich liefert er auch Daten zu den nachrichtendienstlichen Einheiten in der amerikanischen Militärverwaltung. Hervorzuheben ist auch eine Übersicht über die Dienststellen der alliierten Nachrichtendienste einschließlich der sowjetischen Geheimdienste in Berlin.
Schließlich beleuchtet Boghardt die Tätigkeit des amerikanischen Militärgeheimdienstes im Nachkriegsdeutschland. Hier nahm zunächst die Suche nach deutschen Kriegsverbrechern breiten Raum ein. In diesem Zusammenhang spielte gerade die Entnazifizierung eine wichtige Rolle. So gehörte es zu den Aufgaben des Nachrichtendienstes, über 70.000 NS-Funktionäre zu überprüfen, die unter den so genannten automatischen Arrest gefallen waren. Allein im Juli 1945 sichtete das CIC in Zusammenarbeit mit der U.S. Army die Akten von 93.000 deutschen Beamten und Funktionären. 2000 von ihnen wurden in der Folge verhaftet. Insgesamt erfassten die US-Dienststellen mehr als 13,4 Millionen Deutsche und beschuldigten knapp 3,7 Millionen von ihnen, in irgendeiner Form mit den Nationalsozialisten in Verbindung gestanden zu haben. Aufgrund dieser Erkenntnisse und anderen belastenden Informationen entließ die amerikanische Militärverwaltung bis Anfang 1946 mehr als 42 Prozent der damals in der Verwaltung tätigen Deutschen.
Als weiteres Tätigkeitsfeld erwies sich die Suche nach Angehörigen des Werwolfs, einer im Herbst 1944 von der SS geschaffenen paramilitärischen NS-Organisation, die in den von den Alliierten befreiten deutschen Gebieten Terror- und Mordanschläge verüben sollte. Im Sommer 1945 beteiligten sich mehr als 160.000 alliierte Soldaten im Rahmen der Operation Tally Ho an einer groß angelegten Razzia in allen Besatzungszonen. Da sich der Werwolf jedoch zunehmend als Chimäre erwies und die von ihm ausgehende Gefahr für die US-Truppen nahezu gegen Null tendierte, wandte sich der US-Geheimdienst in Deutschland ab Ende 1945 verstärkt den Edelweißpiraten zu. Galten diese während der NS-Diktatur als Gegner Hitlers, so wandelten sich ihre Mitglieder nach dem Ende des Krieges zunehmend in Nationalisten, die verschleppte polnische Staatsangehörige verprügelten oder deutsche Frauen bedrohten, die sich mit US-Soldaten trafen. Im Frühjahr 1946 nahmen Teams des US-Geheimdienstes schließlich mehrere hundert Edelweißpiraten fest. Deren Verhöre widerlegten jedoch die Annahme einer breit angelegten subversiven Bewegung, vielmehr wurde klar, dass es sich zumeist um entwurzelte Jugendliche handelte, die "in a state of complete deterioration morally, spiritually and even in external appearance" (211) lebten. Eine wichtige Rolle spielten die Erkenntnisse des Heeresnachrichtendienstes allerdings bei den Prozessen gegen deutsche Kriegsverbrecher.
Im Fadenkreuz der Intelligence-Teams standen zudem das technologische Potential der deutschen Rüstungswirtschaft. Hierzu gehörte das bekannte Project Paperclip, aber auch die Suche nach Codeunterlagen zum verschlüsselten Nachrichtenverkehr der Wehrmacht und NS-Behörden. Mit dem beginnenden Kalten Krieg rückte zunehmend die Beobachtung der Roten Armee in den Vordergrund der Aufgaben des amerikanischen Militärgeheimdienstes in Deutschland. Hier nahm auch die Operation Rusty ihren Anfang, mit der die Kenntnisse der ehemaligen OKH-Abteilung Fremde Heere Ost unter Generalmajor Reinhard Gehlen über die sowjetischen Streitkräfte genutzt werden sollten. In diesen Zusammenhang gehört aber auch die Abwehr von Spionagebemühungen der Geheimdienste der UdSSR, die vor allem von der sowjetischen Besatzungszone aus operierten.
Selbstverständlich geht Boghardt auch auf den Einsatz des amerikanischen Militärgeheimdienstes bei der Demokratisierung der westlichen Besatzungszonen und seine Rolle in der ersten Berlin-Krise ein. Zu all diesen Themen liefert der Autor umfassend recherchierte, gut lesbare Informationen. Auch die zahlreichen Organigramme, Übersichten und Abbildungen helfen, sich ein umfassendes Bild von der Tätigkeit der U.S. Army Intelligence in Deutschland zwischen 1944 und 1949 zu machen. Vor diesem Hintergrund bleibt es allerdings etwas unverständlich, warum der Autor dem Einsatz der Agenten des Dienstes hinter dem "Eisernen Vorhang" so wenig Aufmerksamkeit widmet. Viele seiner Spione fielen bei der Ausführung ihrer Aufträge der sowjetischen Spionageabwehr in die Hände und wurden zu langjährigen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilt. Hier wäre es interessant gewesen, zumindest etwas über die Auswahlkriterien der Agenten, ihre Ausbildung und Einsatzvorbereitung zu erfahren, aber das passte wahrscheinlich nicht so recht in die von Boghardt präsentierte Erfolgsbilanz der Tätigkeit des US-Militärnachrichtendienstes in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dennoch hat der Autor eine außerordentlich wichtige Studie vorgelegt, ohne die die weitere Erforschung der Geschichte der Nachrichtendienste im Kalten Krieg nicht möglich sein wird.
Matthias Uhl