Laura Dierksmeier / Fabian Fechner / Kazuhisa Takeda (eds.): Indigenous Knowledge as a Resource. Transmission, Reception, and Interaction of Knowledge between the Americas and Europe, 1492-1800 (= RessourcenKulturen; Bd. 14), Tübingen: Tübingen University Press 2021, 310 S., ISBN 978-3-947251-43-8, EUR 57,84
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Bianca Maria Lindorfer: Kampf gegen Windmühlen. Der niedere Adel Kastiliens in der frühen Neuzeit, München: Oldenbourg 2004
Achim Landwehr / Stefanie Stockhorst: Einführung in die Europäische Kulturgeschichte, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004
Mit der lange vernachlässigten Rolle von indigenem Wissen im Kontext der europäischen Expansion beschäftigt sich der vorliegende Sammelband, der auf eine internationale Tagung im September 2018 zurückgeht, die im Rahmen des SFB 1070 RessourcenKulturen an der Universität Tübingen stattfand. Die insgesamt fünfzehn, teils in englischer, teils in spanischer Sprache geschriebenen Beiträge stammen von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern aus Deutschland, Lateinamerika, Japan, Spanien und den USA. Alle eint ein räumlicher Fokus auf das koloniale Lateinamerika, nur zwei Beiträge nehmen in vergleichender Perspektive das indische Goa und die Kanaren in den Blick. Neben Geschichte und Kunstgeschichte sind auch romanische Literaturwissenschaft und Linguistik, Lateinamerikanistik, Ethnologie sowie Didaktik und Erziehungswissenschaft als Disziplinen vertreten. So vielfältig wie das Spektrum der Autorinnen und Autoren fallen auch deren Antworten auf die Frage nach der Bedeutung indigenen Wissens als Ressource aus.
In einer knappen Einleitung umreißen Laura Dierksmeier und ihre beiden Mitherausgeber Fabian Fechner und Kazuhisa Takeda den konzeptionellen Rahmen, an dem sich die (meisten) Beiträge orientieren, und führen die zentralen Ergebnisse des Bandes zusammen. Die für den kolonialen Kontext konstitutiven Machtasymmetrien schrieben sich unweigerlich auch in die Wissensproduktion und -rezeption ein. Und doch betonen Dierksmeier, Fechner und Takeda im Anschluss an die neuere Forschung zu Recht, dass es sich bei der Entdeckung, Vermessung und Kartierung der Neuen Welt durch Europäer um einen "collaborative process of knowledge production" (16f.) handelte. Wie schon bei der Eroberung spielten indigene Akteure dabei eine zentrale Rolle als Mittler und go-betweens, auch wenn ihre Mitwirkung später oft verheimlicht oder unkenntlich gemacht wurde. Lokalem indigenem Wissen wurde eine universale Geltung meist abgesprochen, in der Regel bedurfte dieses Wissen einer zusätzlichen Authentifizierung durch "truthmaker" (17). Vielfach wurde es durch europäische Eroberer, Missionare und Gelehrte überschrieben und modifiziert, um es für europäische Rezipienten handhabbar zu machen. Doch auch Indigene eigneten sich europäisches Wissen an und adaptierten es für ihre Zwecke, was wiederum zu einer Transformation indigenen Wissens führte.
Für wen und in welchem Sinne wurde indigenes Wissen in der Frühen Neuzeit zur Ressource? Wie, von wem und zu welchen Zwecken wurde diese Ressource genutzt? In der Einleitung werden diese Fragen leider nicht systematisch vertieft. Dierksmeier, Fechner und Takeda belassen es hier bei einem knappen Verweis auf das Forschungsprogramm des Tübinger SFB 1070, der Ressourcen jenseits ihrer Rolle als Rohstoffe im ökonomischen Verwertungsprozess untersucht (16).
Dennoch enthält der Band aufschlussreiche und zum Teil überraschende Antworten auf die genannten Fragen. So hebt etwa Miriam Lay Brandner hervor, dass es dem in Sevilla ansässigen Arzt und Botaniker Nicolás Monardes ebenso wie dem in Goa praktizierenden jüdisch-portugiesischen Gelehrten Garcia de Orta nicht zuletzt um die ökonomische Verwertung indigenen Wissens ging. Insbesondere bei Monardes, der Spanien nie verließ, fand der Wissenstransfer fast ausschließlich in eine Richtung statt. Eine starke Asymmetrie des Wissenstransfers lässt sich aber auch in den von Harald Thun untersuchten Jesuitenreduktionen im heutigen Paraguay, Brasilien und Argentinien nachweisen. Die dort tätigen Missionare interessierten sich für das heilkundliche Wissen der Indigenen und hielten es schriftlich fest. Dieser Wissenstransfer stellte aber die Gültigkeit europäischer Episteme nie in Frage. Umgekehrt führte das Eindringen europäischen medizinischen Wissens ins Missionsgebiet zu einer nachhaltigen Transformation indigener Vorstellungen von physiologischen Vorgängen und Krankheit.
Wie der indigene Anteil an geographischer Wissensproduktion nachträglich unkenntlich gemacht wurde, zeigt auf besonders anschauliche Weise Irina Saladin in ihrem Beitrag über die Arbeit einer spanisch-portugiesischen Kommission, die im Jahr 1782 den Grenzverlauf im Amazonasgebiet vermessen sollte und dabei auf die Mithilfe der lokalen indigenen Bevölkerung angewiesen war. Die schriftliche Fixierung und Archivierung geographischen Wissens durch Missionare konnte aber auch zur Ressource im Konflikt indigener Akteure mit europäischen Siedlern um Eigentumsansprüche werden, wie in Kazuhisa Takedas Beitrag über die Guaraní-Missionen der Jesuiten deutlich wird.
Dass indigene Autoren sich europäisches Wissen aneigneten, es modifizierten und strategisch als Ressource für eigene Zwecke nutzten, zeigen die Beiträge von Yukitaka Inoue Okubo und Richard Herzog. Okubo zeichnet nach, wie sich unter indigenen Autoren des 16. Jahrhunderts in Neuspanien (Mexiko) allmählich das europäische Konzept der Autorschaft durchsetzte. Herzog zeigt auf, wie einige dieser Autoren ihre Herkunftsregion in einen räumlich erweiterten universalgeschichtlichen Kontext einbetteten, wobei sie indigene politische Konzepte zur Bezeichnung politischer Entitäten in anderen Weltregionen verwendeten.
Dem ambivalenten Umgang europäischer Missionare mit indigenem Wissen widmen sich gleich mehrere Beiträge. Anna Boroffka kann nachweisen, dass sich das Bildmaterial des berühmten Codex Florentinus, der auf den Franziskanerpater Bernardino de Sahagún (1499-1590) zurückgeht und lange als authentische Sammlung vorkolonialen indigenen Wissens galt, an europäischen Vorbildern orientierte. Nach Boroffka zielte diese visuelle Strategie darauf ab, einen gemeinsamen christlichen Ursprung allen Wissens im Sinne des Renaissance-Konzepts einer philosophia perennis nachzuweisen, um so Zweifel an den Erfolgsaussichten der Mission in Neuspanien zu zerstreuen. Indigenes Wissen erscheint im Codex Florentinus also von Anfang an europäisch überformt und diente europäischen Missionaren als Ressource in der Auseinandersetzung mit ihren Kritikern. Noch deutlicher tritt der widersprüchliche Umgang mit indigenem Wissen im Beitrag von Álvaro Ezcurra Rivero über den Prediger Fernando de Avendaño (1577-1655) hervor. Avendaño, der als criollo, also als Nachkomme spanischer Einwanderer, im Vizekönigreich Peru zur Welt kam und in entlegenen ländlichen Regionen im Andenraum predigte, verurteilte in seinen Predigten indigene religiöse Vorstellungen und Praktiken als Idolatrie, betonte aber gleichzeitig die vermeintliche Nähe eben solcher Vorstellungen zum Christentum, wann immer es dem Ziel einer tieferen Verwurzelung des christlichen Glaubens innerhalb der indigenen Bevölkerung dienlich schien.
In der Gesamtschau bietet der klar strukturierte und reich illustrierte Band ein facettenreiches Panorama indigenen Wissens im kolonialen Lateinamerika und zeigt auf, wie dieses Wissen von unterschiedlichen Akteuren als Ressource genutzt werden konnte. Kritisch mag man einwenden, dass die empirischen Befunde mancher Beiträge gemessen an der weitgespannten Thematik doch recht kleinteilig sind, was Fragen nach der Repräsentativität der Fallbeispiele und der Generalisierbarkeit der Ergebnisse aufwirft. Dies schmälert aber nicht das Verdienst der Autorinnen und Autoren des Bandes (auch der hier nicht namentlich genannten), das Augenmerk auf Zusammenhänge zu lenken, die zumal in der deutschsprachigen Forschung lange kaum zur Kenntnis genommen worden sind. Der Band leistet damit einen wichtigen Beitrag zu einer globalen Verflechtungsgeschichte der europäischen Expansion und lenkt den Blick zugleich auf eine Weltregion, die in den gegenwärtigen globalhistorischen Debatten ein wenig in den Hintergrund gerückt ist.
Thomas Weller