Rezension über:

Mark Häberlein (Hg.): Pest und Cholera. Seuchenbewältigung und Medizinalwesen in Bamberg in der Frühen Neuzeit (= Bamberger Historische Studien; Bd. 20), Bamberg: University of Bamberg Press 2023, 109 S., 52 Farb-, 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-86309-907-7, EUR 28,00
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Rezension von:
Hans-Uwe Lammel
Arbeitsbereich Geschichte der Medizin, Universität Rostock
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Uwe Lammel: Rezension von: Mark Häberlein (Hg.): Pest und Cholera. Seuchenbewältigung und Medizinalwesen in Bamberg in der Frühen Neuzeit, Bamberg: University of Bamberg Press 2023, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 10 [15.10.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/10/38124.html


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Mark Häberlein (Hg.): Pest und Cholera

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Der vorliegende Begleitband zu der vom 24. April bis 15. Juli 2023 in der Staatsbibliothek Bamberg präsentierten Ausstellung geht auf eine Lehrveranstaltung zurück. Der Frühneuzeithistoriker Mark Häberlein hat auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie den Vorschlag der Bibliotheksdirektorin Bettina Wagner aufgegriffen und ein Seminar über frühneuzeitliche Seuchen durchgeführt. Die meisten TeilnehmerInnen des Seminars finden sich im Begleitband wieder: elf Studierende der Geschichte, nicht wenige auf Lehramt, der Kommunikationswissenschaft und der Germanistik neben Herrn Häberlein und Oliver Kruk sowie dem Würzburger Medizinhistoriker Tilmann Walter. Das Ergebnis ist hoch erfreulich, kann sich nicht nur sehen lassen, sondern ist sehr lesenswert. Das ist keine Captatio benevolentiae. Wer jemals sich der Mühe unterzogen hat, gemeinsam mit Studierenden aus einer Lehrveranstaltung heraus eine Publikation zu entwickeln und sie zur Veröffentlichung zu bringen, wird wissen, was gemeint ist. Ganz besonders förderlich für diese Publikation war die gute Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Bamberg und dem Deutschen Medizinhistorischen Museum. Die durch Gerald Raab erstellten digitalen Reproduktionen sind ebenso exzellent wie die graphische Gestaltung des Bandes durch Alexander Pelz.

In seiner Einleitung entwickelt Mark Häberlein die Grundlinien der Bamberger Medizingeschichte vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert und kann recht eindrucksvoll vor Augen führen, dass das kollektive Betroffensein von Krankheit in Form von Seuchen nicht nur eine Herausforderung an Stadtgesellschaft und Obrigkeit bildete, sondern unter Beweis zu stellen hatte, wie 'effizient' eine Medizin, ihre Maßnahmen und theoretischen Begründungen waren. Dabei wurden auch die bestehenden Einrichtungen und Kontrollinstrumente einschließlich des zur Verfügung stehenden Personals auf den Prüfstand gestellt und nach ihrer Eignung für die Beherrschung von sanitären, größere Bevölkerungsgruppen betreffenden Herausforderungen befragt. Insgesamt wird recht deutlich, dass die Innovationskraft solcher Erfahrungen zu dieser Zeit weniger in der Entwicklung neuer Konzepte bestand als in der Entwicklung weiterer institutioneller Strukturen und Sonderbehörden sowie personaler Verantwortlichkeiten.

In den folgenden Texten wird ein breites Spektrum von Archivalien, Drucken und bildlichen Darstellungen, Heiligenviten, medizinischen Traktaten, Apotheken- und Seuchenordnungen, Grundrissen medizinischer Einrichtungen, Portraits sowie Stadt- und Gebäudeansichten vorgestellt. Das Versprechen, die "enge Verschränkung von Glauben und Wissen im Denken frühneuzeitlicher Ärzte und Laien, das Kaleidoskop medizinischer Angebote in einer vormodernen Stadt sowie Kontinuitäten und Zäsuren im Umgang mit Epidemien exemplarisch" (20) zu veranschaulichen, wird eingelöst. Nicht überraschend ist die "Langlebigkeit mentaler Prägungen", von "Erklärungsmustern und Handlungsdispositionen" (21) in Zeiten von Pest und Cholera.

Ein Eindruck von dem Themenspektrum soll gegeben werden. Der Herausgeber widmet sich Heiligen als Fürsprechern in Pestzeiten und damit den Fragen nach der religiösen Bewältigung der Krisensituation. Oliver Kruk fragt nach den Reaktionen der Obrigkeit, indem er das Domkapitel als Akteur im Bamberger Medizinalwesen vor dem Dreißigjährigen Krieg beleuchtet, wobei besonders die Synergieeffekte und die Gegensätze zu den Absichten der Fürstbischöfe interessieren. Gemeinsam mit dem Herausgeber stellt sich Anna Lynn Pieger dem Umgang mit chronisch Kranken und nimmt die in der Stadt vorhandenen Siechenhäuser unter die Lupe. Ein wichtiges Thema spricht Annika Lazarek an, wenn sie die Rolle der Apotheken im städtischen Medizinalwesen in den Mittelpunkt rückt. Johann B. Ibel geht den Institutionen einer "guten Policey" in der Stadt und im Hochstift Bamberg um 1600 nach und thematisiert die Regulierung der Badstuben, den Vorrat an 'Pestpillen' in den Apotheken, die Einsetzung spezieller Barbiere und die Kommunikation von Verhaltensmaßregeln durch von Leibärzten verfasste Einblattdrucke. Der Arbeit von Hof- und Leibärzten gehen Susanna Göhring und Muriel Gantner vertiefend nach, indem sie die 1575 und 1591 veröffentlichten Pestschriften von Adam Schilling und Johannes Puollamer in den Blick nehmen und nach den vorgeschlagenen therapeutischen und präventiven Maßnahmen zum individuellen und kollektiven Schutz untersuchen. Dabei zeigt sich, dass das literarische Genre der Pestschrift inhaltlich doch nicht so einheitlich war, wie es immer wieder behauptet wird. Beide Autoren setzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Akzente. Während bei Schilling sehr viel stärker die erheblichen Unterschiede von Reich und Arm im Zugang zu den vorgeschlagenen Mitteln eine wichtige Rolle spielen, bezieht Poullamer astrologische Zusammenhänge in seine Deutung mit ein. Tilmann Walter schlägt das Kapitel Paracelsismus und Antiparacelsismus am Bamberger Bischofshof zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit seiner aufschlussreichen Allianz von orthodoxen Lutheranern und galenistischer Universitätsmedizin auf. In den zwei folgenden Beiträgen wird der Vielfalt der medizinischen Angebote und Handreichungen auf dem medizinischen Marktplatz nachgegangen. Gemeinsam mit Niclas Sommerfeld befragt der Herausgeber die Tätigkeit der Scharfrichter und die Funktion öffentlicher anatomischer Sektionen. Demgegenüber nimmt Isabel Schuster reisende Okulisten und Zahnärzte unter die Lupe. Mit der Einrichtung einer eigenen Medizinischen Fakultät in der fränkischen Bischofsstadt in den 1760er Jahren und der Gründung des Allgemeinen Krankenhauses 1789 entsteht in Bezug auf die medizinische Versorgung eine neue Qualität. Während sich Basil S. Singer und Lisa-Marie Brüning dem Projekt der Krankenhausgründung des von 1779 bis 1795 regierenden Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal widmen, stellt Mark Häberlein den renommierten Krankenhausarzt Andreas Röchlaub in einem gesonderten Text vor. Betrachtungen zur Pockenbekämpfung durch Jonas Krüger und die Darstellung von Maßnahmen gegen die Cholera durch Clarissa Renner schließen den Gang durch die frühneuzeitliche Seuchenbewältigung in Bamberg ab. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister geben dem Band sein wissenschaftliches Fundament.

Auch wenn die Ausstellung längst vorbei ist, bietet die vorgelegte Publikation einen sehr lesenswerten und von einer klugen Auswahl und sachgerechten Präsentation der gewählten Dokumente geprägten Band, der einen erfreulich ernsthaften und gut lesbaren Einstieg in das Medizinalwesen von Bamberg unter der Herausforderung der Seuchenbewältigung bietet.

Da epidemische Bedrohungen auch als soziale Krisen von enormer Breiten- und Tiefenwirkung erlebt wurden, wo gleichsam Einheimische zu Fremden werden, wie es das Beispiel der Bamberger Unterschichten zeigt (18), wäre eine stärkere Einbeziehung von tatsächlich Fremden wünschenswert gewesen. Das meint nicht nur die jüdische Gemeinde, sondern auch Bettler, 'Zigeuner' und andere Nichtsesshafte.

Hans-Uwe Lammel