Thomas Schader: Warteraum Andalusien. Zentraleuropäische Jesuitenmissionare auf der Schwelle nach Übersee (1660-1760), Münster: Aschendorff 2022, 267 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-402-24852-2, EUR 48,00
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Die im März 2021 von der Universität Erfurt angenommene Dissertation von Thomas Schader beschäftigt sich mit der Missionstätigkeit des Jesuitenordens, der "als einer der ersten Global Player der Frühen Neuzeit" (9) zunehmend das Interesse der historischen Forschung auf sich zieht. Dabei betrachtet Schader einen bislang wenig beachteten Aspekt der jesuitischen Missionsgeschichte, der vor der eigentlichen Missionstätigkeit lag: Die Wartezeit der zentraleuropäischen Jesuiten, die diese bis zu ihrer Einschiffung nach Amerika in Andalusien verbrachten.
Missionare aus Deutschland, Böhmen oder der Schweiz wurden für die Mission in Paraguay, Mexiko, auf den Philippinen oder den Marianen rekrutiert, nachdem der spanische König dem Jesuitenorden 1674 gestattet hatte, dass ein Drittel seiner nach Amerika entsandten Ordensmitglieder Ausländer sein durften. Andalusien interpretiert Schader als einen Warteraum, in dem sich die zentraleuropäischen Jesuiten bewähren mussten, um zu zeigen, dass sie den Anforderungen, die in den Missionsgebieten auf sie warteten, gewachsen waren. Dem Warteraum Andalusien ist der umfangreichste Teil der Studie gewidmet. Gerahmt wird er von einem kürzeren Kapitel zu Auswahl, Vorbereitung und Reise der Missionskandidaten nach Spanien und einem ebenfalls kürzeren Kapitel zu Abreise und Überfahrt nach Amerika.
Der Fokus auf zentraleuropäische Missionare erlaubt es Schader, die Differenzerfahrung und Kontingenzbewältigung der Jesuiten während ihrer Wartezeit in Andalusien und damit in einer für sie fremden Welt zu untersuchen. Allerdings erschöpfen die Kriterien Kontingenz und Differenz nicht das breite Spektrum an Erfahrungen und Tätigkeiten, die Schader in seiner Studie erfasst hat. So beschreibt er detailliert, wie sich die zentraleuropäischen Missionare in die Institutionen des Ordens in Andalusien einfügten und wie sie ihre Zeit füllten. Zu den Tätigkeiten der Jesuiten gehörten mit Blick auf die zukünftige Mission das Erlernen der spanischen (und wohl nur in Ausnahmefällen auch einer indigenen) Sprache oder der Erwerb handwerklicher Fertigkeiten. Die Jesuiten übernahmen in Andalusien aber auch die für ihren Orden typischen karitativen und pastoralen Aufgaben.
Schader interessiert sich besonders für die Auswirkungen der Kontingenz- und Differenzerfahrungen des Wartens auf die einzelnen Missionskandidaten, was er unter dem Begriff der Subjektivierung zusammenfasst. Den psychischen Herausforderungen der Wartezeit (horror vacui) in Andalusien begegneten die Missionare durch Alltagsroutinen, die neben den bereits genannten Tätigkeiten auch unterschiedliche Formen des Zeitvertreibs beinhalteten und zudem die typischen Praktiken ihres Ordens wie die Lektüre erbaulicher Schriften, Kontemplationsübungen und körperliche Züchtigung einschlossen. Kritisch anmerken lässt sich hier, dass Schader gelegentlich spekulativ die routinemäßigen Tätigkeiten der Jesuiten als Bewältigungsstrategien interpretiert, um den Unwägbarkeiten und der Leere des Wartens zu begegnen.
Besonders interessant ist angesichts des Gehorsamsgebots des Jesuitenordens, wie Schader den Handlungsspielraum auslotet, über den Missionskandidaten verfügten, um eigene Interessen zu verfolgen. Dabei handelte es sich vor allem um Versuche, die Abreise nach Amerika zu forcieren oder Einfluss auf die Wahl des Einsatzortes zu nehmen und möglichst nach Asien oder Paraguay geschickt zu werden.
In Bezug auf die Differenzwahrnehmung zeigt Schader, wie stereotype Muster bei der Wahrnehmung Spaniens vorherrschten, beispielsweise die Kritik an Müßiggang und Hochmut der Spanier oder an der barocken Frömmigkeitspraxis mit ihren theatralischen Prozessionen. Die Erfahrung einerseits der spanischen Andersartigkeit und andererseits der Universalität des Jesuitenordens im Warteraum Andalusien führte dazu, dass die Missionskandidaten sich im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Zugehörigkeiten verorten konnten. Zum einen stärkte die Differenzwahrnehmung das Gefühl regionaler bzw. nationaler Zugehörigkeit, zum anderen bot der Universalismus des Ordens den Missionskandidaten auch eine Möglichkeit supranationaler Identifikation. Inwieweit sich die Erfahrungen der Jesuiten in Andalusien auch als prägend für ihr Selbstverständnis als Missionare und Jesuiten sowie für ihren Umgang mit den indigenen Kulturen erwies, kann nur vermutet werden.
Die Studie ist sehr solide, auf breiter Quellengrundlage gearbeitet und stützt sich vor allem auf jesuitische Selbstzeugnisse wie die Briefe der Missionskandidaten. Insgesamt leistet Schader mit seiner Analyse einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Geschichte der jesuitischen Mission und zum Spanienbild in der Frühen Neuzeit, sondern auch zum Phänomen des Wartens, indem er auslotet, wie das ungewisse Warten in der Fremde erfahren wurde, welche Strategien sich zu seiner Bewältigung anwenden ließen und wie sich die Erfahrungen während der Wartezeit auf die Person des Wartenden auswirkten.
Martin Biersack