Philipp Austermann: Ein Tag im März. Das Ermächtigungsgesetz und der Untergang der Weimarer Republik, Freiburg: Herder 2023, 160 S., 7 s/w-Abb., ISBN 978-3-451-39392-1, EUR 18,00
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"Der Reichstag übergibt Adolf Hitler die Herrschaft", titelte der "Völkische Beobachter" triumphierend am Morgen des 24. März 1933. Am Vorabend hatte das deutsche Parlament das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" - besser bekannt als Ermächtigungsgesetz - mit 444 zu 94 Stimmen verabschiedet und damit den Untergang der Weimarer Republik besiegelt. In seinem neuen Buch "Ein Tag im März" widmet sich Philipp Austermann, Professor für Staats- und Europarecht an der Hochschule des Bundes in Brühl, aus der Perspektive des Juristen jenem verhängnisvollen 23. März 1933 und beleuchtet in vier Großkapiteln Vorgeschichte, Zustandekommen, Scheinlegalität sowie Folgewirkungen der Reichstagssitzung und des in dieser beschlossenen Gesetzes.
Im ersten Kapitel zur Vorgeschichte beschreibt Austermann kompakt den Prozess der Aushöhlung und Zerstörung der Weimarer Republik vor und nach dem 30. Januar 1933. Zu Recht weist er darauf hin, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg in den entscheidenden Monaten 1932/33 zwar des politischen Alltagsstreits überdrüssig, keineswegs aber senil oder von seinem Umfeld unter Druck gesetzt war, die folgenden Entscheidungen zu treffen. Austermann geht nicht nur auf die berüchtigte "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" (die sogenannte Reichstagsbrandverordnung) vom 28. Februar ein, mit der sieben zentrale Grundrechtsartikel der Weimarer Verfassung "bis auf weiteres" außer Kraft gesetzt wurden. Der Autor stellt auch die weit weniger bekannte, bereits am 4. Februar erlassene "Schubkastenverordnung" vor, mit der willkürlich jede oppositionelle Tätigkeit unterbunden und fast unbegrenzt "Schutzhaft" für politisch missliebige Personen angeordnet werden konnte.
Schon vor der letzten (halbfreien) Reichstagswahl am 5. März, bei der die NSDAP und die mit ihr verbündeten Deutschnationalen eine Mehrheit erzielten, hatte die Regierung Hitler darüber hinaus die Notwendigkeit eines Ermächtigungsgesetzes formuliert. Anders als bei zwei Ermächtigungsgesetzen zehn Jahre zuvor, während des Krisenjahrs 1923, handelte es sich dabei jedoch um Maßnahmen ganz neuer Qualität, mit der die Reichsregierung künftig ohne Beteiligung anderer Verfassungsorgane Gesetze erlassen konnte. Eine Stärke des Buches liegt darin, wie Austermann mit der analytischen Brille des Juristen das am 20. März vom Kabinett gebilligte Ermächtigungsgesetz in allen seinen fünf Artikeln seziert. Zutreffend arbeitet er unter anderem heraus, dass das Gesetz "mit einer 'Ermächtigung' im juristischen Sinne [...] nichts zu tun hatte, seiner bis heute bekannten Bezeichnung zum Trotz". Vielmehr ging es im Kern darum, der Reichsregierung ein "eigenständiges Gesetzgebungsrecht unabhängig von dem des Reichstages und ohne rechtliche Vorgaben ein[zu]räumen" (37). Die (Schein-)Befristung auf vier Jahre hatte dabei nur kosmetischen Charakter.
Breiten Raum gibt Austermann im zweiten Kapitel den Diskussionen innerhalb des Zentrums und anderen bürgerlichen Parteien, die mit der Frage konfrontiert waren, ob sie dem Gesetz mit ihrer Zustimmung zur notwendigen Zweidrittelmehrheit verhelfen sollten. Fundiert und quellennah schildert der Autor die Debatte innerhalb der Zentrumsfraktion, der eine Schlüsselfunktion zufiel. Einer deutlichen Mehrheit um den Parteivorsitzenden Ludwig Kaas stand eine Minderheit um die früheren Reichskanzler Heinrich Brüning und Joseph Wirth gegenüber, die sich aber mit ihrer Forderung nach Ablehnung nicht durchsetzten und sich am Ende der eisernen Fraktionsdisziplin beugten. Es gelingt Austermann dabei, die Zwangslage der schon weitgehend paralysierten Partei zu verdeutlichen, bei der sich Gegner wie Befürworter über die Tragweite der Entscheidung im Klaren waren. Sehr detailliert schreibt der Autor über die Drohkulisse, vor der die Reichstagssitzung am 23. März stattfand. SA- und SS-Leute bedrohten Mandatsträger der SPD und der Mitteparteien schon bei ihrem Weg in die Krolloper und selbst im Plenarsaal. Auch Hitler, der in SA-Uniform auftrat, trug zur angstvollen Atmosphäre bei, indem er die Abgeordneten unter lauten "Heil"-Rufen vor die unmissverständliche Wahl stellte, sie mögen "nunmehr selbst die Entscheidung treffen über Frieden oder Krieg" (63). Etwas knapp handelt der Autor die mutige Entscheidung der SPD-Fraktion unter ihrem Vorsitzenden Otto Wels ab, der in seiner berühmt gewordenen Rede ("Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht") die Ablehnung der Sozialdemokraten begründete.
Im kürzeren dritten Kapitel zur Scheinlegalität befasst sich der Jurist Austermann mit den formalrechtlichen Voraussetzungen des Ermächtigungsgesetzes. Während zahlreiche willfährige NS-Staatsrechtler das Gesetz feierten und bald aus Opportunitätsgründen möglichst weit auslegten, kann Austermann in einer auch für Nicht-Juristen verständlichen Analyse darlegen, weshalb sowohl Zustandekommen als auch Inhalt des Ermächtigungsgesetzes eigentlich verfassungswidrig und damit nichtig waren. Dies mag auf den ersten Blick beckmesserisch erscheinen, eröffnet aber eine interessante, ansonsten von Historikern kaum beachtete Perspektive, die den Unrechtscharakter der NS-Diktatur noch einmal unterstreicht.
Im abschließenden vierten Kapitel sowie im Epilog geht es schließlich um die (langfristigen) Wirkungen des Ermächtigungsgesetzes, das für Austermann "den tatsächlichen Todeszeitpunkt der Weimarer Verfassung" markiert: "Am 23. März 1933 endete die Weimarer Republik." (96) Reichstag und Reichsrat waren ab diesem Zeitpunkt nur noch Schauplatz für Statisten, der Reichspräsident verharrte in stiller Untätigkeit und eine Gewaltenteilung gab es faktisch nicht mehr, was Carl Schmitt und andere Staatsrechtler mit einer paradox anmutenden "legalen Revolution" begründeten, durch die die Weimarer Verfassung obsolet geworden sei. Der Reichstag hatte in der Folge nur noch die Funktion eines Scheinparlaments, das Hitler nach Gutdünken zum Verkünden und "Beschließen" einzelner Gesetzte einberief, etwa 1935 zu den berüchtigten Nürnberger Rassegesetzen. Ein Fehler unterläuft Austermann allerdings mit der Bemerkung, Hitler habe "im Krieg auf die Einberufung des Reichstages verzichtet" (103). Hitler nutzte den Reichstag bis 1942 sehr wohl mehrfach als Bühne. Bei der letzten Sitzung des Reichstags wurde bezeichnenderweise Hitlers Alleinherrschaft durch die Ernennung zum "obersten Gerichtsherrn" ins Extreme gesteigert. Recht hat Austermann aber mit der Feststellung, das Ermächtigungsgesetz habe bis zum Ende für die Nationalsozialisten eine wichtige Funktion erfüllt, indem es große Teile der konservativen und liberalen Beamtenschaft beruhigte. Aus deren kaiserzeitlicher Prägung heraus "gehörte es zum Pflichtverständnis, sich an 'die Gesetze' zu halten" (104), was insofern eine scheinlegale Begründung der neuen Verhältnisse notwendig machte. Letztlich ist dem Autor beizupflichten, wenn er vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen daran erinnert, dass bei allen Schutzmechanismen des Grundgesetzes heute (erinnert sei an die "Ewigkeitsklausel" in Artikel 79 Absatz 3) die Demokratie nur so resistent gegen ihre Feinde bleibt, wie sie Unterstützung im Volk erfährt. Kennern der Materie wird das Buch nicht allzu viel Neues präsentieren, gleichwohl eröffnet es aber mit seinem spezifisch juristischen Blickwinkel einer breiteren historisch interessierten Leserschaft ungewohnte Perspektiven auf das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933. Insgesamt bietet das Buch eine sehr lesenswerte und flüssig geschriebene Einführung zu einem Thema, das seine ungebrochene Aktualität so schnell nicht verlieren dürfte.
Marcel Böhles