Enrico Faini / Pierluigi Terenzi / Andrea Zorzi (a cura di): Reti italiche. Spazi e relazioni politiche da Roma alle Alpi nei tempi di Dante (1260-1330) (= Italia comunale e signorile; 17), Roma: Viella 2023, 396 S., ISBN 978-88-3313-887-9, EUR 34,00
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Die italienischen Kommunen durchliefen keine linear-teleologische Entwicklung, sondern zeichnen sich phasenweise aus durch ein komplexes politisches wie institutionelles Neben- und Miteinander. Als besonders experimentierfreudig - und zugleich auch instabil - erwies sich die spät- und poststaufische Zeit bis ins frühe Trecento.
Die politischen Räume und Netzwerke Nord- und Mittelitaliens der 1260er bis 1320er Jahre thematisiert der hier zu besprechende Sammelband, der auf eine im Spätherbst 2020 abgehaltene Konferenz zurückgeht. Erklärtes Ziel sei es, so Enrico Faini und Pierluigi Terenzi (7-20), den bisher die Forschung bestimmenden Fokus auf die Kommunalgemeinden zu überwinden und die Interaktionen aller politischen Akteure im überlokalen Rahmen zu berücksichtigen. Dieser - tatsächlich nicht nur - räumliche Ansatz ("approccio spaziale", 359) stellt nach Andrea Zorzi eine gewinnbringende Neuausrichtung dar, um so auf die Marginalisierung Kommunalitaliens in der jüngeren Stadtgeschichtsforschung zu reagieren (351-372). Mit einem einheitlichen Frageraster ausgestattet, begeben sich die 14 Beiträger:innen auf die Suche nach realen, erhofften (aber nicht realisierten) sowie wahrgenommenen (de facto jedoch inexistenten) Netzwerken ("reti").
Vorangestellt sei, dass kein Rekurs auf Netzwerktheorien erfolgt. Überdies ist das politische Handeln nichtkommunaler Protagonisten vereinzelt durchaus schon veranschaulicht worden, wiewohl die zu besprechenden Beiträge durch Detailreichtum und Kohärenz bestechen. Mittelitalienischen Regionen sind sechs, norditalienischen sind acht Aufsätze gewidmet.
Rom galt gemeinhin als Sonderfall in der Kommunallandschaft, was unlängst jedoch relativiert worden ist. Dario Internullo verdeutlicht anhand chronikalischer, dokumentarischer, epigraphischer und heraldischer Hinterlassenschaften die Wechselhaftigkeit politischer Allianzen sowie die Tendenzen der diversen Akteure (Baronialfamilien, Kommune, Anjou, Universalgewalten) in der Ewigen Stadt und deren districtus Urbis (21-48). Im tuszischen Teil des Patrimonium Petri, den Francesco Poggi in den Blick nimmt (49-73), habe die guelfische Konkurrenz (Perugia, Anjou) verhindert, dass das Papsttum einen einheitlichen politischen Raum einrichtete. Im nördlichen Teil hätten sich Orvieto, die Aldobrandeschi und weitere Akteure vornehmlich nach Norden (Florenz, Siena, Perugia), Viterbo im Süden sich hingegen gen Rom orientiert; der Osten um Todi sei indes eher im Dukat Spoleto eingebunden gewesen. Letzterer wurde als Region des Patrimonium Petri zwar von päpstlichen Rektoren verwaltet, doch kann Federico Lattanzio aufzeigen, dass der politische nicht mit dem administrativen Raum übereinstimmte (75-96). Vielmehr seien parteipolitische Allianzen über geographische Grenzen hinweg geschlossen worden, zumal überlokale Instanzen konstant involviert waren (Anjou, Papst). Perugia habe sich eher zu Tuszien gezählt, aber zahlreiche Kontakte in den Dukat unterhalten.
Christina Abel arbeitet exemplarisch am Beispiel von Matelica heraus, wie eine Gemeinde in der Mark Ancona in lokale wie (über)regionale Netzwerke eingebunden sein konnte (97-121). Sie macht einen Wandel in den interkommunalen Beziehungen aus von vertraglich geregelten, mikroregionalen societates zu fluideren, gemeinschaftlich organisierten und regional operierenden Bündnissen.
Die Toskana behandeln Piero Gualtieri (303-323) und Matilde Paci (325-350). Gualtieri rekapituliert die hegemoniale Stellung von Florenz und Lucca im regionalen Gefüge, die das angevinische Netzwerk für eigene Interessen ausnutzten, ehe um 1300 neue Akteure wie Bonifaz VIII. oder Uguccione della Faggiuola erfolgreich auf den Plan traten. Paci diskutiert die Darstellung des politischen Raumes in Aretiner, Pisaner und Sieneser Geschichtswerken, also aus Städten mit unterschiedlicher politischer Positionierung. Alle Historiographen ließen eine Florenz-kritisch gesinnte Haltung erkennen, setzten die guelfische Koalition häufig mit der toskanischen Region gleich und schlössen dementsprechend Pisa politisch aus.
Den komplexen politischen Konstellationen in Bologna und der Romagna geht Daniele Bertoluzzi nach (123-144). Abermals zeigt sich, dass städtischer Parteienhader keine interne Angelegenheit blieb, denn die Auseinandersetzungen zwischen den Lambertazzi und Geremei in der "città felsinea" waren eingebettet in den umfassenderen guelfisch-ghibellinischen Konflikt. Nicola Ryssov schildert die politischen Entwicklungen in der Mark Verona-Treviso (145-168). Zunächst gaben hier die urbanen Zentren (Padua, Treviso, Verona, Vicenza) den Ton an, wobei sich Verona vom östlichen Teil abkoppelte, ehe im frühen 14. Jahrhundert der Veroneser Stadtherr Cangrande della Scala die Region auf militärischem Wege vereinigte, die kurzzeitig auch in den habsburgischen Orbit geriet.
Die Lombardei wird dreifach gewürdigt. Maddalena Moglia bespricht Herrschaftsmodalitäten in den städteübergreifenden Anstrengungen Oberto Pelavicinos, der Della Torre und der Visconti, bei denen die (Vorrang-)Stellung Mailands variierte und für die das Verhältnis zum Populus ebenso entscheidend gewesen sei wie die überlokale Gemengelage (169-183). Lorenzo Caravaggi erhellt, wie Ubertino Landi seine kommunikativen Strategien den lokalen wie überlokalen Gegebenheiten anpasste und etwa mittels Förderung einer Piacentiner Stadtchronik sowie des Baus der Franziskanerkirche in Piacenza ein erfolgsversprechendes hybrides Selbstbild vermittelte (185-207). Stefano Bernardinello illustriert hingegen, wie sich das Handeln Heinrichs VII. auf die politische Situation auswirkte (209-232). Der Luxemburger habe die politische Realität auf einen guelfisch-ghibellinischen Gegensatz reduziert, woraus die handlungsschnellen Visconti - nicht ohne spätere Anpassungen - Kapital schlugen.
Das benachbarte Piemont wird doppelt bedacht. Paolo Buffo nimmt sich der politischen Wandlungsprozesse in den Herrschaftsbereichen der Savoyen und Montferrat an (233-255), während Flavia Negro die Städte Asti und Vercelli in den Blick nimmt (257-278). Erstere transformierten horizontale und ephemere zu vertikalen, straffen und gleichförmigen Bindungen, die ab dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts eine feudalere Ausrichtung angenommen hätten. Die beiden Kommunen gehörten diversen, alternierenden Zusammenschlüssen an. Erst die Anjou hätten jedoch - u. a. durch Rituale und Herrschaftszeichen - eine erfolgreiche Politik regionalen Ausmaßes betrieben. Antonio Musarra untersucht schließlich den genuesischen Ausgriff in Ligurien, insbesondere den Einfluss der lokalen auf die überlokale Politik (279-302). Die Beziehungen seien oftmals konfliktgeladen gewesen; die politischen Netzwerke änderten sich gemäß der sich wandelnden Interessen, Logiken und Experimentierfreude, insbesondere der führenden Familien der Fieschi, Doria, Spinola und Grimaldi (quatuor gentes), die den politischen Raum maßgeblich beherrschten.
Der Orientierung in den mannigfaltigen, sich kontinuierlich wandelnden und überlagernden Panoramen der politischen Räume dienen ein Personen- und ein Ortsregister (373-396). Eindrucksvoll werden die komplexen Interaktionen und kleinteiligen Veränderungen und Entwicklungen, ebenso die Tendenzen der politischen Akteure in "una stagione eccezionale" (9) aufgezeigt. Der informative Band lässt Vertiefungen ebenso erhoffen wie Erweiterungen auf andere Regionen der Apenninenhalbinsel.
Giuseppe Cusa