Ivo Purš / Vladimír Karpenko: The Alchemical Laboratory in Visual and Written Sources, Praha: Academia 2023, 573 S., ISBN 978-80-200-3547-9
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Die Autoren dieses in mehrfacher Hinsicht außerordentlichen Werkes sind der Kunsthistoriker Ivo Purš und der Alchemiehistoriker Vladimir Karpenko. Wie der Titel schon sagt, geht es um die schriftlichen und bildlichen Quellen der Alchemie, wobei mit "Quellen" Texte und Bilder mittelalterlichen wie auch frühneuzeitlichen Ursprungs gemeint sind. Das Werk ist in vier Abschnitte gegliedert. In der etwa 50-seitigen Einführung werden grundsätzliche Überlegungen zur Definition der Alchemie, zu ihrer labortechnischen Praxis, zur Art der Wissensvermittlung und zum Verhältnis von Alchemie und Handwerk angestellt. Die Alchemie ist, ähnlich wie die Magie, nicht in einer einheitlichen und alles umfassenden Definition zu erfassen. Die Verfasser diskutieren diesen Punkt ausführlich und auf hohem Niveau und setzen hier schon beim Gilgamesch-Epos an, das um 3000 vor unserer Zeit entstanden sein dürfte. Im Wunsch nach dem ewigen Leben, das Gilgamesch und seinem Freund Enkidu versagt wird, erblicken sie ein Leitmotiv der Alchemie. Die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies ging einher mit der Sterblichkeit des Menschen, der man mittels der Alchemie ein Schnippchen schlagen wollte, indem das Opus Magnum nicht nur ein Transmutationsagens hervorbringen sollte, das die Metalle perfektioniert und so quasi erlöst, sondern auch das Lebenselixier, das zwar nicht ganz das ewige, wohl aber ein sehr langes und gesundes Leben ermöglichen sollte.
Der Weg dorthin verlief nicht nur, wie in der modernen Chemie, über Theorie und Laborpraxis, sondern es bedurfte der göttlichen Gabe der intuitiven Einsicht, des "Donum Dei". Der Alchemist ist nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch ein Wandler der Materie; unter seinen Händen verändern chemische Substanzen ihre Zusammensetzung und ihre Eigenschaften und werden zu etwas Anderem, manchmal sogar zu etwas bislang noch nie Gesehenem. Wie Paracelsus feststellte, ähnelt der Alchemist dem Bäcker oder Winzer, die aus Getreide und Trauben Brot und Wein erzeugen. Damit stellt die Alchemie eine kulturgeschichtlich einzigartige Verbindung von handwerklicher Praxis und Metaphysik dar. Die Autoren legen dies sehr überzeugend dar und ziehen daraus den Schluss, auf die Suche nach einer einheitlichen und umfassenden Definition besser keine Zeit mehr zu verschwenden. Vielmehr gehe es darum - und das ist auch das Thema des Buches - einzelne Aspekte anhand schriftlicher oder bildlicher Quellen zu untersuchen. Dabei ist zu beachten, dass Bilder in alchemischen Texten niemals einfach Illustrationen sind; vielmehr sind sie integrale Bestandteile der im Text enthaltenen Botschaft.
Das Kapitel "Alchemy as a Practical Activity" erläutert den von den Verfassern und der großen Mehrzahl der Alchemie-Historiker geteilten Standpunkt, dass die Alchemie im Kern eine laborpraktische Tätigkeit war, aber - im Gegensatz zum Handwerk - überwölbt von einer in ihren Grundzügen und Zielsetzungen einheitlichen Theorie. Die Autoren weisen auf den wichtigen Punkt hin, dass die Art des alchemischen Laborierens kein Experimentieren im modernen Sinne des Wortes war. Denn die Arbeit des Alchemisten folgte einer bereits vorher bekannten, unumstößlichen Abfolge von Veränderungen der im "Vas Hermeticum" eingeschlossenen Materie; diese Abfolge wurde vielfach bis ins Einzelne beschrieben. Solange man an die Theorie glaubte, konnte es weder Fortschritt noch Erkenntnis geben. Die von den Alchemisten im Laufe der Zeit gemachten chemischen Entdeckungen wurden dementsprechend als Schritte hin zum Endziel des Opus Magnum interpretiert und waren nicht das Ergebnis einer gezielten Suche.
Die alchemische Wissensvermittlung ist das Thema des folgenden Kapitels. Moderne Wissensvermittlung erfolgt über mehr oder weniger verständliche Lehrbücher. In der Alchemie war dies viel komplizierter. Dies liegt zum einen daran, dass man nichts vermitteln kann, was man selber nicht weiß (was ist die Prima Materia), aber auch daran, dass sich alchemisches Wissen nicht nur auf der Ebene einer Mitteilung von Fakten und Handlungsanweisungen weitergeben lässt, sondern sowohl sprachliche wie bildliche Botschaften umfasst. Die Sprache der Alchemie ist einerseits klar (wenn es etwa darum geht Scheidewasser zu bereiten oder Gold zu raffinieren) wie auch verrätselt bzw. metaphysisch-mystisch, wenn es um den geheimen Kern der Alchemie geht, also die Bereitung des Lapis Philosophorum. Die Botschaften sind mehrdeutig und müssen auch intuitiv erfasst werden.
Es gibt mehr als eine Sorte Menschen, die Alchemie treiben. Dies ist das Thema des Abschnitts "The Social Position of Alchemists". Während der Renaissance gewann das Bürgertum immer größeren Einfluss auf die Gesellschaft und deren soziales Gefüge. Dies führte dazu, dass sich nun auch vermehrt wohlhabende Bürger (Kaufleute, Juristen aber besonders auch Ärzte) der Alchemie zuwandten. Wer als bürgerlicher Alchemist den Stein suchte, der arbeitete für sich selbst, glaubte mehr oder weniger fest an den Erfolg und baute auch brieflich Netzwerke auf, in denen Erfahrungen, aber auch Manuskripte ausgetauscht wurden. Damit endet der erste Teil des Buches, in dem wichtige historische Grundlagen übersichtlich vermittelt werden.
Der zweite Teil ist betitelt "The Alchemical Laboratory as a Site of Research: Theory and Experiment". Wir verfügen heute nur über eine kleine Zahl von Fundstätten, in denen noch nennenswerte Reste ehemaliger Laboratorien existieren. Dazu zählen Oberstockstall in Niederösterreich, Wolfenbüttel in Niedersachsen und seit kurzem auch Wittenberg in Sachsen-Anhalt. In einem eigenen Kapitel werden "The Works of Alchemists Documenting their Activity" behandelt, wobei hier der Schwerpunkt bei Andreas Libavius und seinem berühmten Plan eines "alchemischen Hauses" liegt. In weiteren Kapiteln werden einzelne Laboratorien samt Nachbildungen früherer Ausstattung vorgestellt (Weikersheim, Kassel, Dresden und Annaberg, Prag). Alle diese Stätten werden nicht nur ausführlich beschrieben, sondern auch mit passenden Illustrationen - auch aus Handschriften - versehen. Ein größerer Abschnitt beschäftigt sich mit den einzelnen Geräten und Einbauten, insbesondere diversen Arten von Öfen, die ein laborierender Alchemist benötigte. Ein umfangreicher "Appendix" ist den 20 Tafeln mit Abbildungen alchemischer Geräte und Öfen in dem Werk "Liber secundus Basilicae Philosophiae, De Furnis et Vasis Philosophorum" von Johann Daniel Mylius aus dem Jahr 1620 gewidmet.
Der dritte Teil behandelt "The Development of the Iconography of the Laboratory" und beginnt mit einem sehr ausführlichen Abschnitt (276-378) der Darstellung und Erörterung der Entwicklung der Laborausstattungen während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hierzu wird reiches Bildmaterial offeriert, nicht zuletzt aus Manuskripten, die in der sonstigen Literatur zwar auch vorkommen, aber selten in so umfangreicher Form präsentiert werden. Einzelne Kapitel sind den Werken von Pseudo-Geber (Gaber Latinus), der "Pirotechnia" von Vannoccio Biringuccio, Georg Agricolas "De Re Metallica", Lazarus Erckers "Beschreibung Allerfürnemisten Mineralischen Ertzt", Andreas Libavius' "Alchymia recognita" und Le Frevres "Traite de la Chymie", J. J. Bechers "Chymischer Glückshafen" und seiner "Opuscula chymica curiosa" gewidmet. Ein Blick auf die Art und Weise, wie zu unterschiedlichen Zeiten mit all diesen Schmelztiegeln, Kolben, Retorten und Destillierapparaten und den zugehörigen Öfen gearbeitet wurde, also die sich wandelnden und neu entwickelnden Arbeitsmethoden (gerade im Bereich der Destillation und der Handhabung der Mineralsäuren bzw. des im 13. Jahrhundert durch Destillation erhaltenen Ethyl-Alkohols), wäre hier angebracht gewesen.
Die eigentlich künstlerische Darstellung des Alchemisten in seinem Labor (es ist kein Bild mit einer Alchemistin bekannt) wird im vierten und letzten Teil des Buches behandelt (379-475). Hier geht es nicht um mehr oder minder sachlich-technische oder komplexe metaphysische bzw. allegorische Bilder, die für den Gebrauch durch die Alchemisten selbst bestimmt sind, sondern um das Bild des Alchemisten als eines sozialen Typus. Dabei kann man zwei deutlich unterschiedliche Gruppen feststellen: Einerseits der vornehme, ruhig agierende Naturphilosoph in einem geordneten Labor und andererseits der leicht verzweifelte, hektische Laborant in abgerissener Kleidung inmitten eines chaotischen Laboratoriums. Beide Typen repräsentieren die unterschiedliche Wahrnehmung der Alchemie in der Gesellschaft. Hier die Königliche Kunst und dort das gesellschaftliche Abseits und der finanzielle Ruin des fanatischen Suchers, der den Stein der Weisen niemals finden wird. Mit der im Laufe der Zeit abnehmenden Wertschätzung der Alchemie geht eine Zunahme der kritischen und warnenden Kunstwerke einher.
Der Band endet mit genauen Angaben zu den einzelnen Abbildungen, einer Liste der konsultierten Bibliotheken, Archive und Museen, einem Quellen- und einem Literaturverzeichnis, sowie einem Personen- und einem Sachregister.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Werk von Ivo Purš und Vladimir Karpenko ein von außerordentlicher Sachkunde sowohl in alchemie- wie in kunsthistorischer Hinsicht geprägtes Kompendium darstellt, das in dieser Form und Größe kein Vorbild in der modernen Literatur hat. Die hervorragende Qualität der meist farbigen Abbildungen und das ansprechende Layout machen die Lektüre zu einem Genuss. Man kann das Buch sowohl am Stück lesen, wie auch als Nachschlagewerk benutzen, da es durch die beiden Register sehr gut erschlossen ist. Quasi als Sahnehäubchen kommt dazu noch der geradezu sensationell günstige Preis von 48.- Euro. Aus Sicht des Rezensenten haben die beiden Autoren damit ein Überblicks- und Standardwerk geschaffen, das für die weitere Forschung von erheblicher Bedeutung ist.
Claus Priesner