Rezension über:

Julia Rombough: A Veil of Silence. Women and Sound in Renaissance Italy, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2024, 243 S., ISBN 978-0-674-29581-0, GBP 45,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Dietrich Erben
Technische Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Dietrich Erben: Rezension von: Julia Rombough: A Veil of Silence. Women and Sound in Renaissance Italy, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5 [15.05.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/05/39909.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Julia Rombough: A Veil of Silence

Textgröße: A A A

Hinter dem Italien der Renaissance, das der Titel des vorliegenden Buches ankündigt, steckt die in einer mikrohistorischen Studie erkundete Stadt Florenz im späten 16. und im frühen 17. Jahrhundert. Dabei konzentriert sich die Autorin auf zwei methodische und thematische Aspekte, die beide in der historischen Forschung mittlerweile eine breite Aufmerksamkeit gefunden haben. Dies gilt für die frühneuzeitliche Sozialgeschichte aus genderhistorischer Perspektive, die sich besonders den Frauenklöstern und den für Frauen reservierten Sozialinstitutionen wie Hospizen und Armenhäusern widmet. Zugleich liegt die vorliegende historische Dissertation im Trend der "sound history". Geradezu populär wurde die Pionierstudie von Alain Corbin zur, so der Titel der deutschen Übersetzung, "Sprache der Glocken", der später eine "Geschichte der Stille" folgte. [1] Und es ist fast unvermeidlich, dass schon der "acoustic turn" ausgerufen wurde. [2]

Wenn man sich als Architekturhistoriker des von Julia Rombough vorgelegten Buches für eine Besprechung annimmt, so liegt die Begründung - über die Neugier an der Epoche und am Thema hinaus - darin, dass die Sound-Geschichte auch neue Annäherungen an Städte ermöglicht. So wurde von Emily Cockayne die Metropole London in einem langen Durchgang durch zwei Jahrhunderte unter den Vorzeichen von "Tumult: Schmutz, Lärm und Gestank" durchmessen. Die Stadt erscheint hier als Raum einer Lebenswirklichkeit und als Kommunikationsraum von einer missliebigen und unruhigen Seite. Die akustische Signatur von Lärm und Unruhe weist stets auf Spannungen im Sozialgefüge hin. [3]

In thematischer Nähe zu dem von Julia Rombough erarbeiteten Buch liegt die architekturgeschichtliche Untersuchung von Niall Atkinson. In ihr geht es ebenfalls um Florenz in der Hochrenaissance. Beispielhaft werden zentrale Einzelthemen der "sound history" ausgeführt: Es geht um Organisation und Bedeutung des Glockengeläuts in der Stadt sowie um mündliche Wege der Kommunikation und deren Relevanz für politische Absprachen innerhalb von sozialen Gruppen. Als generelles Thema lässt sich in der überaus geistreich illustrierten Publikation die Beschreibung der städtischen Sozialtopographie entlang der Lärmkulissen ausmachen. [4] Deutlich wird, dass es sich bei der Rede von Lärm und Stille keineswegs nur um ein metaphorisches Sprechen handelt, sondern um eine handfeste Realität. Man sagt nicht umsonst, "die Ruhe wieder herstellen", wenn man politische Unterwerfung und Sozialdisziplinierung meint.

Julia Rombough nimmt sich eines spezielleren Themas an, wenn sie sich im Rahmen ihres Zeit- und Untersuchungsraumes aus gendergeschichtlicher Perspektive den Frauenklöstern und dem sie umgebenden akustischen Regime widmet. Das Buch hat einen kompakten Zuschnitt, etwa zwei Drittel der Seiten gehören dem Text und ein Drittel den eindrucksvoll mit neu erhobenen Archivalien gesättigten Anmerkungen und der Bibliographie. Wie auch die Gliederung des Buches mit den vier Kapiteln klar macht, ist mit der Sound-Geschichte eine recht komplex zusammengesetzte akustische Szenerie gemeint.

Nach der Einführung in Thema und Methodik wird im ersten Kapitel ("Space: Communities of Girls and Women") der Florentiner Stadtraum aus der Perspektive der Niederlassungen von städtischen Fraueneinrichtungen und von Frauenklöstern geschildet. Dabei konzentriert sich die Autorin auf drei, auch quellenmäßig vertieft erschlossene Institutionen: das kommunale Ospizio di Orbatello, die ebenfalls städtische Casa delle Malmaritate und den Convento Sant'Elisabetta delle Convertite. Wie die Namen signalisieren, nahmen die Einrichtungen insbesondere ehemalige Prostituierte und Frauen, die aus ihren Ehen geflüchtet sind, auf. Damit lässt sich wiederum ahnen, dass die Niederlassungen, deren Bauten noch heute existieren, in ehedem peripher gelegenen, unterbürgerlichen Stadtquartieren innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern angesiedelt waren. Die erhebliche Bevölkerungszunahme seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderets führte insgesamt zu einer drastischen Verdichtung der Stadt und parallel dazu zu einer Zunahme von kirchlich-karitativen Einrichtungen. Innerhalb dieser Sphären setzt sich die Studie vor allem mit den Bezirken der Prostitution auseinander. Wobei sich die einschlägig frequentierten Straßenzüge, Plätze und Bordelle in der Nachbarschaft der Frauenklöster und anderer Frauenhäuser befanden.

Das Folgekapitel ("Noise: Urban Soundscape and Gender") bringt lautstark den Lärm der Stadt zu Gehör. Ihn müssen wir uns vorstellen als eine Kakophonie aus menschlichen Stimmen und aus Geschrei, aus dem Gepolter von Schlägereien und Steinwürfen, aus dem lauten Krach der Kutschen, in denen oftmals die vermögenden Freier saßen. Das dritte Kapitel ("Sound: Bodily and Spiritual Health") befasst sich mit dem Grundlagenwissen über den Lärm in zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Schriften und Erziehungslehren. Hervorgehoben sei nur der Befund, dass man sich Lärm als ein ausgesprochen materielles Phänomen vorstellte, das die Luft physisch durchdringt und widerstandslos das Ohr passiert. Diese substanzialistische Sicht erklärt zum Teil auch die bürokratische Beharrlichkeit, mit der man obrigkeitlich gegen die als bösartig erachteten Wirkungen des Lärms vorging. Das letzte Kapitel ("Silence: Sonic Regulation, Gender, and Reform") entwirft zum Lärm die akustische Gegenwelt der Stille. Sie soll mit entsprechenden Regulierungsmaßnahmen innerhalb der kontrollierten Welt im Inneren der Fraueneinrichtungen sowie gegen den Lärm der Umgebung hergestellt werden. Stille galt keineswegs nur als Abwesenheit von Lärm, sondern war als aktive Ruhe eine gesellschaftliche Norm, die sich erwartungsgemäß an die Frauen richtete, die aber auch als gesamtgesellschaftliches Gebot an die Öffentlichkeit adressiert wurde. So dokumentiert Rombough immerhin 86 noch heute erhaltene, aus den Jahrzehnten um 1600 stammende Inschrifttafeln in der Florentiner Altstadt, die auf den Straßen und Plätzen Ruhe verordnen.

Romboughs Studie arbeitet für eine Stadt der Frühen Neuzeit eindrücklich die obrigkeitlichen Stoßrichtungen der akustischen Kontrolle zwischen den beiden Polen der Interventionen gegen den städtischen Lärm und der verordneten Ruhe heraus. Dabei beruht die von ihr namhaft gemachte Konjunktur der Kontrollmaßnahmen ab etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts unzweifelhaft auf der zunehmenden staatlich-bürokratischen Interventionspolitik unter den ersten Medici-Herzögen sowie auf der Durchsetzung von kirchlichen Reformdekreten im Zuge der Beschlüsse des Konzils von Trient. Aus mentalitätsgeschichtlicher Perspektive ließe sich ergänzen, dass die lärmenden Streitereien, von denen Rombough berichtet, auf eine ausgeprägte, für die Zeit typische Invektivkultur zurückgehen, und dass sich im Gegenzug die Regulierungsmaßnahmen als ein ebenso zeittypisches Element der Sozialdisziplinierung darstellen. Als Beitrag zur "sound history" macht die Studie die gebaute Stadt als Resonanzkörper der sozialen Aktivitäten verständlich. Im Dauerhaften der baulichen Textur hallt das Ephemere einer durchaus chaotischen akustischen Belebung wider.


Anmerkungen:

[1] Alain Corbin: Les Cloches de la terre. Paysage sonore et culture sensible dans les campagnes au XIXe siècle, Paris 1994; Ders.: Histoire du silence. Da la Renaissance à nos jours, Paris 2016.

[2] Aus medienwissenschaftlicher Sicht Petra Maria Meyer (ed.): acoustic turn, Paderborn 2008; als deutschsprachige historische Übersichten Gerhard Paul / Ralph Schock (Hgg.): Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen - 1889 bis heute, Bonn 2013; Kai-Ove Kessler: Die Welt ist laut. Eine Geschichte des Lärms, Hamburg 2023.

[3] Emily Cockayne: Hubbub: Filth, Noise, and Stench in England, 1600-1770, New Haven CT 2007.

[4] Niall Atkinson: The Noisy Renaissance. Sound, Architecture, and Florentine Urban Life, University Park 2016.

Dietrich Erben