Rüdiger vom Bruch / Rainer A. Müller (Hgg.): Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. neu bearb. und erw. Auflage, München: C.H.Beck 2002, 394 S., ISBN 978-3-406-47643-3, EUR 19,90
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Die Anzahl sammelbiografischer Werke über deutsche Historiker ist begrenzt: Hans-Ulrich Wehlers 1971-82 edierte neunbändige Reihe "Deutsche Historiker" porträtiert eine engere Auswahl Geschichtswissenschaftler ausführlicher; Wolfgang Webers "Biografisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz" (1984) verzeichnet in schwer durchsteigbarer tabellarischer Form ausschließlich Lehrstuhlinhaber; der Anhang des von Rüdiger Hohls und Konrad H. Jarausch 2000 herausgegebenen Bands "Versäumte Fragen" enthält ausschließlich Kurzbiografien von Historikern des 20. Jahrhunderts. Gegenüber diesen Werken hob sich die erste Auflage des Lexikons von vom Bruch und Müller durch den breiteren Überblick, die bessere Qualität als Nachschlagewerk und eine gelungene Kombination aus Kurzbiografik und -bibliografik hervor. Zudem war es nicht nur auf Deutschland begrenzt, sondern enthielt - mit deutlicher Konzentration auf die abendländische, besonders die deutsche Historiografiegeschichte - Biografien von Historikern aller Zeiten aus der ganzen Welt. Nun liegt eine zweite Auflage vor, die den Anspruch erhebt, gänzlich durchgesehen, korrigiert und aktualisiert zu sein. Zudem wurden Beiträge ergänzt und fünf neue Autoren hinzugewonnen. Die Stärken des Lexikons dürften durch die neuerlichen Anstrengungen gestiegen seien.
Gegenteiliges behauptet Patrick Bahners in seiner Rezension für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 18.11.2002. [1] Im Kern moniert der Rezensent folgende Punkte: Das Lay-out sei missglückt, beim Artikel über Marc Bloch sei zwar die Bibliografie um neuere Literatur ergänzt, der Text aber trotz dieser neuen Forschungen unverändert geblieben, beim Rankebeitrag habe man lediglich "eine Berliner Dissertation [angefügt], deren Verfasser mit der Rankekritik abrechnete". Auch die Artikel über Friedrich Meinecke und Theodor Schieder hätten grundlegend überarbeitet werden müssen. Druckfehler der ersten Auflage seien übernommen worden, unangemessene Unterschiedlichkeiten in der Artikellänge nicht erklärbar, Renzo De Felice und François Furet immer noch nicht aufgenommen und sechs Einträge stillschweigend ausgelassen. "Schäbigkeit" wirft der Rezensent dem Lexikon vor. Dass Friedrich Nietzsche in die zweite Auflage neu hinzugekommen sei, wird konstatiert und zu einem abschließenden Urteil benutzt: "Nun gut. Wenn die Historiker hundertachtundzwanzig Jahre brauchen, um die zweite Unzeitgemäße Betrachtung zu lesen, wird ihr Lexikon vielleicht im Jahre 2130 auf dem Forschungsstand von heute sein."
Träfe die Kritik von Bahners zu, und wäre der Band angesichts bloß oberflächlicher Bearbeitung veraltet, so müsste auch trotz relativ günstigen Ladenpreises von seinem Kauf abgeraten werden. Allein das Urteil des Frankfurter Feuilletonisten entbehrt jeder Grundlage. Zutreffend ist, dass acht kleinere Artikel entfernt wurden, worauf man im Vorwort hätte hinweisen müssen. So fehlen jetzt etwa die kaum bekannten Mediävisten Erich Caspar und Edmund E. Stengel oder der Marcks-Schüler Werner Näf. Demgegenüber steht die Ergänzung von Artikeln, die der ersten Auflage als klare Versäumnisse anzulasten waren: Der Stoiker Strabon, auf den sich die Aufklärungshistoriker häufig beriefen, ist jetzt ebenso mit einem Lebenslauf gewürdigt wie der bedeutende Schweizer Humanist Ägidius Tschudi, auf den Friedrich Gundolf nachdrücklich hingewiesen hatte. Endlich sind auch Friedrich Schiller und Edward Hallet Carr zu finden! Von den übrigen 'Neuen' sind viele keine professionellen Historiker, wurden aber mit ihren Ansätzen wegweisend für die Geschichtswissenschaft: Enea Silvio Piccolomini, Samuel Pufendorf, Walter Scott, Joseph Görres, Werner Sombart, Aby Warburg, Ernst Cassirer, Maurice Halbwachs, Oswald Spengler, Norbert Elias. Zudem ist seit Redaktionsschluss für die Erstauflage eine ganze Reihe renommierter Historiker verstorben und konnte nun nachgetragen werden, unter anderen Karl Bosl, Sebastian Haffner, Jürgen Kuczynski, Walter Markov, Alfred Heuß, Golo Mann, George Mosse, George Duby, Martin Broszat, Thomas Nipperdey. Angesichts von insgesamt 75 neuen Artikeln lässt sich der Vorwurf einer ungenügenden Aktualisierung in quantitativer Hinsicht nicht aufrecht erhalten. Vielleicht wurden De Felice und Furet im Verhältnis zu anderen wirklich ungerechtfertigt vernachlässigt. Aber wie sieht es mit Niklas Luhmann aus? Hätte der nicht auch die Aufnahme verdient? Wo sind Kant und Hegel, wenn Voltaire, Herder, Humboldt und Nietzsche als Geschichtsphilosophen Aufnahme fanden? Warum wurden Friedrich Rehm und Friedrich Rühs aus dem 19. Jahrhundert nicht berücksichtigt, wo ihre Werke neu ediert und kommentiert wurden? - Weil eine Auswahl immer an Grenzfälle stößt, über die zu streiten auch Rezensenten erhaben sein sollten.
Bahners Anwürfe verfehlen auch in qualitativem Hinblick ihr Ziel. Der Beitrag über Marc Bloch enthält auch unter Berücksichtigung der neueren Forschungsergebnisse keine Unrichtigkeiten, sondern stellt vielmehr unter optimaler Ausnutzung des begrenzten Raums die Eckdaten der Biografie samt kurzen Charakterisierungen des Werks dar. Wer Ausführlicheres über Bloch erfahren will - Ähnliches lässt sich auch für die 'Fälle' Meinecke und Schieder sagen -, wird auf neueste Literatur verwiesen. Diese ist auch im Falle Rankes angegeben: Bei der von Bahners angesprochenen 'Abrechnung mit der Rankekritik' handelt es sich um die Dissertation von Siegfried Baur (1998), die nicht nur ein neues Licht auf die Rankesche Geschichtstheorie wirft, sondern auch bislang ungedruckte Dokumente enthält. Dass das griechische Wort 'Kratos' auch in der zweiten Auflage fälschlicherweise mit 'h' 'Krathos' geschrieben ist, verstört den Humanisten, der dafür leicht einmal übersieht, dass gravierende Fehler beseitigt wurden: Die Lebensdaten von Ludwig Dehio und Johann Gustav Droysen wurden ebenso korrigiert wie der Schreibfehler im Namen von František Palacký im alten Register und andere Klein-, aber Feinheiten.
Das Historikerlexikon ist ein wichtiges Nachschlagewerk, dessen zweite Auflage den Anspruch auf eine gelungene Neubearbeitung und Ergänzung vorbildlich umsetzt. Die Aktualisierung der Bibliografien macht es auch als Einstiegsliteratur empfehlenswert. Vom Bruchs und Müllers Band gehört zum verpflichtenden Bestandteil im Kanon propädeutischer Literatur zum Geschichtsstudium.
Anmerkung:
[1] Patrick Bahners: Historikerlexikon als Welt von gestern, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.2002, Nr. 268, S. 39.
Stefan Jordan