Rezension über:

A. Thomas Birkenholz: Die Alexander-Geschichte von Charles Le Brun. Historische und stilistische Untersuchungen der Werkentwicklung (= Ars Faciendi. Beiträge und Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 11), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 274 S., 25 Abb., ISBN 978-3-631-37565-5, EUR 52,00
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Rezension von:
Elisabeth Oy-Marra
Lehrstuhl für Kunstgeschichte II, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Oy-Marra: Rezension von: A. Thomas Birkenholz: Die Alexander-Geschichte von Charles Le Brun. Historische und stilistische Untersuchungen der Werkentwicklung, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/2399.html


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A. Thomas Birkenholz: Die Alexander-Geschichte von Charles Le Brun

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Charles Le Bruns Alexander-Geschichte nimmt einen exponierten Stellenwert sowohl in Le Bruns Schaffen als auch in der Bildpolitik Ludwigs XIV. ein. Die 5 großformatigen Gemälde, die heute in den neuen Räumen der Cour Carrée des Louvre ausgestellt sind, wurden von den Zeitgenossen besonders geschätzt. Der 1664 zum "premier peintre du Roi" ernannte Maler hatte 1661 durch das Bild: "Die Königinnen Persiens zu Füßen Alexanders" auch unter dem Titel "Das Zelt des Darius" bekannt, seine Stellung am königlichen Hof begründet und erfolgreich den Sturz seines früheren Auftraggebers, Jean Fouquet, überstanden. Wenige Jahre später schuf Le Brun weitere Gemälde aus der Alexander-Geschichte: Der "Einzug Alexanders in Babylon", die "Schlacht von Arbela", die "Überquerung des Granikos" und "Alexander und Porus". Darüber hinaus existieren zahlreiche Entwürfe für weitere Sujets aus dem Leben Alexanders, die zu der Vermutung Anlass geben, die ausgeführten Gemälde seien nur ein Teil einer ursprünglich geplanten größeren Serie.

Nach der Entwicklung der Serie und ihrem ursprünglichen Bestimmungsort fragt nun die vorliegende Untersuchung von Thomas Birkenholz (seine Dissertation aus dem Jahr 2000). Während die gigantischen Maße vor allem der Schlachtenbilder von 12,5 m Breite einerseits auf eine exponierte Hängung hinweisen, dokumentiert andererseits der schon für das Jahr 1681 verbürgte Verbleib der Gemälde in den königlichen Sammlungen das Scheitern der ursprünglichen Planungen. Der Autor möchte mit seiner Dissertation insofern eine Forschungslücke füllen, als die Forschung zwar "die Entwicklung der Alexander-Geschichte immer wieder im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen gesehen (habe). Dabei ( ) allerdings zu oft versäumt (wurde), sich mit der Folge selbst auseinanderzusetzen." (9)

Nun stellt sich bei der Lektüre der Dissertation von Thomas Birkenholz jedoch sehr schnell heraus, dass er seine Fragestellung allzu eng aufgefasst hat. Erst ganz zum Schluss seiner Untersuchung versucht er eine kulturpolitische Einbettung der Gemälde. Der Schwerpunkt seiner Analyse besteht in langatmigen Besprechungen der Literatur, die zu einem großen Teil in den Fußnoten besser aufgehoben wäre. Der Autor setzt sich dabei weder mit den Vorbildern Le Bruns, noch mit der Neuartigkeit des Themas in der französischen Malerei auseinander. Welchen Erkenntnisgewinn eine solche Fragestellung jedoch bringen kann, hat Thomas Kirchner in seiner 2001 erschienen Habilitationsschrift "Der epische Held. Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts, München 2001" zeigen können. [1] Obwohl Kirchners Untersuchung noch vor der Drucklegung der Dissertation von Thomas Birkenholz erschienen ist, wurde sie vom Autor nicht mehr berücksichtigt.

Bereits in der älteren Literatur wurden Zweifel darüber geäußert, ob tatsächlich alle 10 von Nivelon erwähnten Entwürfe verwirklicht werden sollten. Birkenholz geht daher von der nahe liegenden Annahme aus, dass sich die Serie prozesshaft entwickelt haben muss und versucht, die einzelnen Planungsphasen zu rekonstruieren. Dabei versteht er die von Nivelon erwähnten Entwürfe "Alexander durchschlägt den Gordischen Knoten", "Alexander vergibt Thimokleia" und "Alexander vertreibt die Frau des Spitamenes" als nicht weiter verfolgte Alternativentwürfe. Donald Posner hatte in einem Aufsatz von 1959 stattdessen hierin ein frühes Konzept für die Serie vermutet.

Obwohl die "Königinnen Persiens" bereits in der Ausstellung des Palais Royal von 1673 nicht mit den übrigen 4 Gemälden ("der Einzug in Babylon" von 1664, "die Überquerung des Granikos" von 1665, die "Schlacht von Arbela" von 1665/66 und "Alexander und Porus") ausgestellt wurden, rechnet Birkenholz das Gemälde auf Grund seiner Datierung von 1661 zum "ersten konkreten Entwurf einer zusammenhängenden Folge". (159) Dabei bleibt jedoch die offensichtliche thematische Verschiebung innerhalb einer derart konzipierten Serie vom Autor unberücksichtigt. Während die "Königinnen von Persien" und die um sie herum entstandenen Entwürfe das Gewicht auf die Charaktertugenden des makedonischen Helden legen, stellen die späteren Gemälde stattdessen Alexander als siegreichen Feldherrn dar. Diese offensichtliche Diskrepanz versucht Birkenholz auf eine methodisch sehr zweifelhafte Art zu glätten, indem er nicht die Gemälde, sondern die Titel der erst 1672-1678 entstandenen Kupferstiche für seine Argumentation heranzieht (158-159).

Für Birkenholz setzt ein thematischer Wechsel erst mit der im Gemälde "Alexander und Porus" dargestellten Episode aus dem Indienfeldzug des makedonischen Königs ein, die er mit dem veränderten Selbstverständnis Ludwig XIV. und dessen Spanienfeldzug zu begründen versucht (222). Auch diese ebenfalls auf die Bildtitel der Kupferstiche rekurrierende Argumentation überzeugt in keiner Weise. Obgleich die Episode "Alexander und Porus" nicht mehr zum Persienfeldzug des makedonischen Königs gehört, sondern zu dessen Indienfeldzug, stellen doch alle Gemälde militärische Erfolge dar, die selbstredend auf den Feldherrn Ludwig XIV. verweisen. Darüber hinaus ist Birkenholz' Datierung des "Alexander und Porus"- Gemäldes auf das Jahr 1668 sehr gewagt, denn nach Kirchner trägt eine Vorzeichnung zu diesem Gemälde das Datum 1672. Entsprechend zählt Birkenholz auch den Entwurf des Gemäldes "Die Porusschlacht" zu dieser zweiten Phase. Kirchner konnte stattdessen zeigen, dass dieser Entwurf aus den Jahren nach dem Tod Colberts stammt, in denen Le Brun versuchte, an das alte Thema wieder anzuknüpfen.

Das interessanteste Kapitel der vorliegenden Arbeit ist ohne Zweifel Birkenholz Rekonstruktion der ursprünglichen Bildformate. Während die heutigen Bildformate von 4,5 m bis hin zu 12,5 m Breite variieren, kann der Autor schlüssig nachweisen, dass die Formate aller Gemälde mit Ausnahme des "Einzugs in Babylon" nachträglich verändert wurden. Dass das Format der "Königinnen Persiens" ursprünglich größer gewesen sein muss, hat bereits Posner gesehen. Demgegenüber konnte Birkenholz an den Gemälden "die Überquerung des Granikos", "Die Schlacht von Arbela" und "Alexander und Porus" auf beiden Seiten Nähte nachweisen. Ihr Zwischenstück, also das ursprüngliche Bildformat, entspricht mit den jeweils 7,75 Breite in etwa dem Format des "Einzugs in Babylon" (127-137). Birkenholz datiert diese Veränderung auf das Jahr 1668. Mit Sicherheit kann jedoch nur das Jahr 1673 als terminus ante quem ausgemacht werden, da im Katalog der Ausstellung von 1673 bereits die größeren Formate genannt werden.

Den Grund für die Vergrößerung vermutet Birkenholz zurecht in einer veränderten Destination der Gemälde. Auf Grund seiner Analysen kann er wahrscheinlich machen, dass die Gemälde mit ihren reduzierten Breitenmaße von 7,75 m in der Galerie d'Apollon im Louvre Platz gefunden hätten, die nach dem Brand von 1661 ohnehin von Le Brun neu ausgemalt wurde. Unmittelbares Vorbild hierfür dürfte die von Birkenholz unerwähnt gebliebene Galerie de la Vrillière gewesen sein, deren Wände 1648 mit aus Rom importierten Historiengemälden geschmückt worden waren. Auf Grund einer fragwürdigen Voraussetzung, es müsse eine Übereinstimmung zwischen der Größe der Bilder und der Gliederung der Deckenfresken geben, verschenkt sich der Autor jedoch die nahe liegende Schlussfolgerung, die Gemälde seien für die Grande Galerie des Louvre vergrößert worden Deren Ausgestaltung wurde seit 1668 neu voran getrieben. Seit 1664 kam ihr durch den Umzug des Königs in die Tuilerien als Verbindungsgang zwischen dem Appartement des Königs und seiner Residenz eine zentrale Bedeutung zu. Kirchner vermutet daher zurecht in dieser Galerie den idealen Bestimmungsort der Gemälde.

Birkenholz' Hypothese, die Gemälde seien stattdessen für die Galerie des Glaces in Versailles vergrößert worden (211) ist dagegen abwegig (212). Warum sollten die Gemälde bereits 1668 im Hinblick auf eine Hängung in der Galerie de Glaces vergrößert worden sein, wenn Mansarts erster Plan für die Galerie, der noch keine Verspiegelung vorsah, erst 1678 vorlag?

Eine intensiveres Quellenstudium und eine ausführlichere Diskussion des künstlerischen und politischen Kontextes wäre mit Sicherheit für die gesamte Untersuchung von Vorteil gewesen.

Anmerkung:

[1] Vgl. hierzu die Rezension von Joachim Rees in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 6 [15.06.2002]


Elisabeth Oy-Marra