Rezension über:

Maarten Delbeke: The Art of Religion. Sforza Pallavicino and Art Theory in Bernini's Rome (= Histories of Vision), Aldershot: Ashgate 2012, XVI + 241 S., ISBN 978-0-7546-3485-0, GBP 65,00
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Rezension von:
Elisabeth Oy-Marra
Institut für Kunstgeschichte, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Oy-Marra: Rezension von: Maarten Delbeke: The Art of Religion. Sforza Pallavicino and Art Theory in Bernini's Rome, Aldershot: Ashgate 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/22358.html


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Maarten Delbeke: The Art of Religion

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Der römische Jesuit Pietro Sforza Pallavicino (1607-1667), der bereits 1629 in die Accademia dei Lincei aufgenommen worden war, seit 1639 am Collegio Romano lehrte und von Papst Alexander VII. 1659 zum Kardinal ernannt wurde, ist kein vollständig Unbekannter. Seine Schriften wurden in der kunsthistorischen Literatur vor allem zu Bernini, aber auch zu Pietro da Cortona [1] immer wieder herangezogen, nie aber übergreifend untersucht. Maarten Delbeke hat nun die kunsttheoretische Relevanz seiner Schriften umfassend analysiert. Zudem kontextualisiert der Autor die Schriften des römischen Jesuiten und bezieht sich darüber hinaus auf eine ganze Reihe von bedeutenden Autoren des römischen Seicento, unter ihnen die Literaten Giovanni Battista Ciampoli, Lelio Guidiccioni sowie Emmanuele Tesauro wie auch beide Biografen Gianlorenzo Berninis, sein Sohn Domenico und Filippo Baldinucci, deren Viten teilweise auf die Schriften des römischen Jesuiten rekurrieren. Aufgrund der von ihm gezeigten Verschränkung der verschiedenen Schriften im Hinblick auf die Kunst vor allem Berninis plädiert Delbeke für eine Erweiterung des Begriffs der Kunsttheorie. Ihm ist sicher zuzustimmen, dass im Seicento das Schreiben über Kunst von der genuinen Kunstliteratur nur teilweise geleistet wird. Dies führte bekanntlich zur Klage über das Fehlen einer Kunsttheorie der avancierten Kunst Berninis, die von Giovan Pietro Bellori bewusst ausgeblendet wurde. Dennoch birgt eine Ausweitung des Begriffs der Kunsttheorie die Gefahr der vorschnellen Verwischung von Textgattungen. Sforza Pallavicino bezieht sich nicht auf die Tradition der Kunstliteratur seit Alberti, sondern steht vielmehr in der Tradition theologischer Schriften über Kunst seit der katholischen Reform. Zu erinnern ist an dieser Stelle an Autoren wie Giovan Andrea Gilio, Gabriele Paleotti und Gian Domenico Ottonelli, denen es vor allem um Zweck und Nutzen, oder eben um den Missbrauch von Kunst ging. Gewiss steht ganz außer Frage, dass Sforza Pallavicinos Traktate zu den wenigen Schriften des römischen Seicento gehören, in denen nicht erst wir, sondern bereits auch die Zeitgenossen Grundprinzipien der Kunst des römischen Barock und insbesondere Berninis reflektiert fanden. Im vorliegenden Buch wird die Differenz von Kunstliteratur und theologischen Schriften zur Kunst aber gerade an jenen Stellen deutlich, an denen sich Delbeke mit den Biografien Berninis befasst und teilweise große Unterschiede herausarbeiten kann.

Maarten Delbeke geht es jedoch vor allem um die Frage, inwiefern Sforza Pallavicinos Schriften zur Klärung der Frage nach einer Theorie christlicher Kunst beitragen können. Hierfür sind die Schriften Sforza Pallavicinos tatsächlich sehr aussagekräftig, geht es dem römischen Jesuiten doch besonders um eine Kunst, die nicht vor Gattungsgrenzen halt macht, sondern Literatur, bildende und darstellende Künste als Einheit betrachtet. Anstatt von Kunsttheorie zu sprechen, wäre es daher aus meiner Sicht treffender, Sforza Pallavicinos Ausführungen als Bildtheorie zu bezeichnen. Nicht von ungefähr sind seine Schriften auch zuvor bereits für eines der wichtigsten Prinzipien barocker Wirkungsmacht in Anspruch genommen worden, dem der meraviglia. Hatte Anthony Blunt in Sforza Pallavicinis Schriften eine Erklärung für den barocken Inganno und Disinganno zu entdecken geglaubt, argumentiert Delbeke nun grundsätzlicher, indem er zu bedenken gibt, dass Sforza Pallavicinos Denken mitnichten allein an einer vordergründigen Wirkungsästhetik interessiert gewesen sei, sondern vor allem das Bild als eine Offenbarung höherer Glaubensinhalte definiert habe. Der Kunst räumt der römische Jesuit vor allem im Hinblick auf ihre Fähigkeit einer unmittelbaren affektiven Überzeugungskraft einen hohen Stellenwert ein. Dem Jesuiten geht es dabei jedoch nicht um eine (billige) Art der Propaganda. Die Tatsache, dass er sie nicht auf der Höhe des Intellekts ansiedelt, sondern auf der der Affekte, ist keiner Missachtung geschuldet. Vielmehr ist der Jesuit der Überzeugung, die höhere Wahrheit der Glaubensinhalte sei nicht diskursiv erklärbar, sondern auf eine affektgeleitete Offenbarung angewiesen, die das angeborene Wissen des Glaubens aktualisiere. Der Kunst kommt in den Schriften Sforza Pallavicinos also die Rolle eines Mediums der Vermittlung von Glaubensinhalten zu, wenngleich ihm nicht der gleiche Wahrheitsgehalt zugestanden wird. Dass es sich in den Traktaten Sforza Pallavicinos vor allem um eine Bildtheorie handelt, wird besonders deutlich, weil der Autor die Künste auf die Produktion von Repräsentationen oder Bildern zurückführt, die der Sphäre des Künstlichen, des artificio, und damit des Unwahren angehörten, dennoch aber die Fähigkeit besäßen, jenseits des Intellekts Glaubenswahrheiten zu vermitteln. Im Unterschied zu der ewig unveränderbaren Wahrheit Gottes zeichnen sich Bilder Sfora Pallavicinos zufolge jedoch durch varietà und vivacità aus. Von besonderer Bedeutung sind zudem die (rhetorische) Kategorie der energaia bzw. der Evidenz der Bilder und der Unsagbarkeitstopos, der für das christliche Bild in Anspruch genommen wird.

Die für die Bildtheorie Sforza Pallavicinos grundlegende Unterscheidung von arteficio und Wahrheit diskutiert Delbeke schließlich an konkreten Bildkonzepten. In der Diskussion der concetto-Theorie des Jesuiten zeigt der Autor, welche Probleme hier für den an der Wahrheit interessierten Denker im Unterschied zu den Autoren des concettismo auftreten, die wie Giambattista Marino alle Mittel der Erzeugung der Meraviglia legitimiert hatten. Indem Sforza Pallavicino das Bild jedoch an die Wahrheit rückbindet, steht er in der Tradition der von Urban VIII. angestoßenen Dichtungsreform eines Giovanni Ciampoli, deren Ziel die Begründung einer christlichen Meraviglia war.

Solche Differenzierungen machen auch besser verständlich, warum der Jesuit, der von Alexander VII. zum Kardinal erhoben worden war und in seinem Gutachten über die Frage, ob der Papst seine Residenz vom Vatikan in den Quirinal verlegen könne, so großen Wert auf die öffentliche Präsenz der Person des Papstes legte, gerade seinen Porträts im öffentlichen Raum eher skeptisch gegenüber begegnete. Delbeke diskutiert am Beispiel der vom Chigi-Papst abgelehnten Ehrenstatue auf dem Kapitol Fragen nach dem öffentlichen Bild des Papstes. Während die meisten hiermit befassten Autoren die Ablehnung aus Angst vor einer erneuten Statuenschändung verstanden, zeigt Delbeke anhand der Argumentation Sforza Pallavicinos, dass der Jesuit das 'Bild im Herzen der Untertanen' für lebendiger und bedeutsamer hielt, als die schönste Ehrenstatue. Neben der in dem Trattato del Bene ausgebreiteten concetto-Theorie diskutiert Delbeke den Begriff des contrapposto im Hinblick auf die Frage, ob die komposite Form einen Stil der höheren Wahrheit definieren könne. Delbeke gelingt es anhand der Analyse der Beschreibungen von Berninis Baldachin in Skt. Peter von Lelio Giudiccioni (die wenig bekannte Ara Maxima Vaticana) und Domenico Bernini zu zeigen, wie sehr die komposite Form hier einerseits als Ausdruck des Genies Gianlorenzo Berninis, aber andererseits auch als Offenbarung einer höheren Wahrheit verstanden wurde.

Delbeke ist es damit gelungen, zentrale Aspekte der Bildtheorie Sforza Pallavicinos in ihrer Komplexität und ihrer übergreifenden Logik darzustellen. Als wichtiges Ergebnis kann festgehalten werden, dass Sforza Pallavicino eine Theorie des christlichen Bildes jenseits hergebrachter Positionen einer reinen Funktionalisierung des Bildes und bloßer Propaganda entwickelt hat. Indem Sforza Pallavicino die Funktion des Bildes aufgrund seiner Fähigkeit einer affektiven Vermittlung von Glaubensinhalten positiv bestimmt, setzt er sich nicht zuletzt von ängstlichen Verboten und vorwiegend an Inhalten bestimmten Bildtheorien der katholischen Reform wie Gabriele Paleotti oder Domenico Ottonelli ab. Offen bleibt jedoch die Frage, inwieweit die Dichte der Kontextualisierung von Sforza Pallavicinos Denken im römischen Seicento tatsächlich etwas über die Bildpraxis aussagt und wie nah Bernini dieser umfassenden Theorie tatsächlich stand.


Anmerkung:

[1] Vgl. meine eigenen Überlegungen zu Sforza Pallavicinos Schriften im Hinblick auf Pietro da Cortona: Elisabeth Oy-Marra: Profane Repräsentationskunst in Rom von Clemens VIII. Aldobrandini bis Alexander VII. Chigi. Studien zu Funktion und Semantik römsicher Deckenfresken im höfischen Kontext, Berlin 2005, 268-273.

Elisabeth Oy-Marra