Rezension über:

Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, 148 S., ISBN 978-3-534-15481-4, EUR 14,90
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Rezension von:
Florian Steger
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Florian Steger: Rezension von: Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 10 [15.10.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/10/3876.html


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Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter

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Kay Peter Jankrift legt in der Reihe "Geschichte kompakt" einen mediävistischen Band zu "Krankheit und Heilkunde im Mittelalter" vor und betritt damit ein interdisziplinäres Feld, das die "Zusammenarbeit zwischen Historikern, Kunsthistorikern, Archäologen, Theologen sowie Medizinhistorikern, Medizinern (vor allem Paläopathologen) und Vertretern naturwissenschaftlicher Disziplinen" (1) erforderlich macht.

Am Anfang seiner Darstellung steht ein Kapitel "Im Spiegel der Quellen" (1-6), in dem Jankrift Auskunft gibt über das vorhandene Quellenmaterial und dieses kurz kommentierend vorstellt. Über diese Charakterisierung hinaus macht er auf das grundsätzliche Dilemma aufmerksam - das übrigens auch für die antike Medizin zutrifft -, dass man den theoretischen Grundlagen mittelalterlicher Medizin "mühelos nachspüren" (1) kann, sich dagegen "ein Blick auf die praktische Tätigkeit der Heilkundigen als ungleich schwerer" (1) erweist. Hervorgehoben werden soll in diesem Zusammenhang noch Jankrifts wichtiger Hinweis auf die osteoarchäologischen und paläopathologischen Befunde (5-6), die im Rahmen medizinhistorischer Fragestellungen große Bedeutung haben.

An die Quellenkunde schließt sich eine Einführung in "[D]ie Grundlagen der mittelalterlichen Medizin" an (7-20). Ausgehend von den hippokratischen Schriften und Galens Systematisierungsbestrebungen erklärt Jankrift, wie sich die medizintheoretischen Grundlagen mittelalterlicher "Gesundheitspflege und Heilkunde" (9) herausgebildet haben. Dabei würdigt er auch die Bedeutung christlicher Vorstellungen und magischer Konzeptionen für die Bewahrung des klassischen Erbes (11-18). Immerhin gilt es zu bedenken, "dass [bis zur Gründung der berühmten Schule von Salerno im 11. Jahrhundert] kaum jemand [...] noch das Griechische [beherrschte], geschweige denn vermochte, die in der fremd gewordenen Sprache verfasste medizinische Literatur zu verstehen" (11). Neben der Einflussnahme durch die Klostermedizin sind ebenso "Einfluss und Assimilation der orientalischen Medizin im mittelalterlichen Westen" (18-20) zu bedenken. In diesem Zusammenhang ist auf den Terminus einer "arabischen Medizin" (18) hinzuweisen, der, wie Jankrift zurecht moniert, fälschlicherweise Verwendung findet. "Die überwiegende Zahl der Heilkundigen, deren medizinische Schriften während des hohen Mittelalters in das Abendland gelangten und die den Kern orientalischer Medizin bildeten, waren keine Araber und nicht wenige von ihnen nicht einmal Muslime" (18). Insofern plädiert Jankrift dafür, eher von einer "arabischsprachigen" oder "orientalischen Medizin" zu sprechen.

"Die Zeit der Klostermedizin" (21-40) wird in einem eigenständigen Kapitel vorgestellt. Ausgehend von der Regel des Heiligen Benedikt wird das Idealbild eines benediktinischen Klosters am Beispiel des Klosterplans von St. Gallen skizziert (23-24). Eine Beschreibung der Versorgung der Kranken im Kloster, des Mönchsarztes, der Praktik der Harnschau und der natürlichen Heilmittel im Klostergarten mündet in die Darstellung der mit dem Namen Hildegard von Bingen verbundenen letzten Blüte der Klostermedizin (30). Ein "Christus medicus" als höchster Arzt aller Ärzte hatte eine Schar an heiligen Heilern unter sich vereint, die "während des gesamten Mittelalters eine kaum zu hoch einzuschätzende Rolle" (31) spielten. Die Konzilsbeschlüsse des 12. und 13. Jahrhunderts setzten dem Zeitalter der Klostermedizin schließlich ein Ende.

Neben den Aspekten medizinischer Praxis ist auch "[D]ie Entwicklung der medizinischen Bildung" (41-49) von großem Interesse. Die Schule von Salerno, die "Hüterin des antiken Heilwissens" (41), steht am Anfang einer Entwicklung mittelalterlicher Universitäten. "Sie wurde zum Modell späterer Universitätsgründungen im gesamten Abendland" (42); durch die Einflussnahme der salernitanischen Schule konnten sich Anatomie, Chirurgie und Pharmazie zu Disziplinen mit einem eigenständigen Programm entwickeln. Jankrift weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die von Roger II. von Sizilien im Jahr 1140 erlassene Medizinalordnung durch Kaiser Friedrichs II. "Liber Augustalis" dahingehend eine Erweiterung erfuhr, dass Medizinstudium, Approbation, Spezialisierung und Apothekenaufsicht geregelt wurden; zugleich erinnert Jankrift daran, dass Jahrhunderte vergingen, bis sich die Medizinalgesetzgebung im deutschsprachigen Reichsgebiet durchsetzen konnte.

Im folgenden Kapitel "Der Umgang mit Krankheit im hohen und späten Mittelalter" (51-76) werden zunächst die großen Hospitalorden (Hospitaliter oder Johanniter, Lazariter, Antoniter, Deutscher Orden) behandelt (51-57). Dabei arbeitet Jankrift heraus, dass die Hospitalorden "neue Impulse für ein karitatives Institutionengefüge" mit sich brachten. Die mittelalterlichen Hospitäler waren zwar keine Hospitäler (ganz im Gegensatz zum Leprosenhaus) im modernen Sinn, sie boten vielmehr Obdach mit einer strengen (religiös orientierten) Hausordnung, und es wurden Nahrung und Kleidung gewährt (58-66). Schließlich stellt Jankrift anhand ausgewählter Beispiele Ärzte, Heilkundige und Patienten vor (66-76). Insbesondere hier präsentiert er zum Teil noch unpublizierte Ergebnisse eigener Forschungen (München, Soest).

Abschließend widmet sich Jankrift in seiner Überblicksdarstellung "[den] großen medizinischen Bedrohungen der mittelalterlichen Gesellschaft: Pest, Lepra und andere Geißeln" (77-133). Er schreibt selbst davon: "Gefährliche Infektionskrankheiten stellten bei weitem die größte medizinische Bedrohung der mittelalterlichen Gesellschaft dar" (78). Insofern ist es durchaus angemessen, abschließend und auf breitem Raum die "Geißeln" exemplarisch zu behandeln. Besonders hervorzuheben ist Jankrifts grundsätzliche Warnung vor einer "unter anachronistischer Rückprojizierung gegenwärtiger medizinischer Erkenntnisse auf Befunde in historischen Schriftzeugnissen" (79) zu ziehenden retrospektiven Diagnostik, die seines Erachtens "ein höchst fragwürdiges Unterfangen darstellt" (79). Diese Einschätzung ist sehr zu begrüßen und zu unterstreichen, umso mehr als sich trotz einer diesbezüglich kritisch geführten medizinhistorischen Forschungsdiskussion oftmals recht unreflektiert retrospektive Diagnostikbemühungen ausmachen lassen. Jankrift geht auf das "große Sterben", das heißt auf den so genannten Schwarzen Tod und die Pest, ein (80-104) und führt hierbei im Rahmen seiner Überblicksdarstellung einige lokalhistorische Beispiele (Köln, Aachen, Dortmund) an; er widmet sich tödlich verlaufenden Infektionserkrankungen des Magen-Darm-Traktes (105-112), der Grippe (112-113), den Pocken (113-114) und der Lepra (114-126), wobei er hier auch auf die Institution der Leprosorien zu sprechen kommt (118-126); schließlich behandelt er noch das so genannte Antoniusfeuer (126-129), eine Intoxikationserkrankung, die Syphilis und den so genannten Englischen Schweiß (129-133).

Ein knapper Anhang bisher unedierter einschlägiger Quellen (134-137), eine den Kapiteln nach geordnete kommentierte Auswahlbibliografie (139-143) sowie ein nützliches Personen- und Sachregister (145-148) beschließen den Band.

Jankrift ist es gelungen einen kompetenten Einblick in die mittelalterliche medizinische Theorie und Praxis zu geben. Er hat die aktuelle Forschung mit einem interdisziplinären Blick kundig ausgewertet und durch seine eigenen Forschungsergebnisse angereichert. Gerade für die Reihe "Geschichte kompakt" kann sein Band als ein Gewinn angesehen werden, da er in einem flüssigen Stil Geschichte durch Geschichten erzählt. Die Vielzahl seiner angeführten Beispiele, die oftmals durch den Abdruck von Originalquellen ergänzt werden, geben einen nahezu lebendigen Einblick in das medizinische Treiben im Mittelalter. Insofern erscheint der Band gerade auch für die akademische Lehre sehr geeignet.

Florian Steger