Axel Karenberg: Amor, Äskulap & Co. Klassische Mythologie in der Sprache der modernen Medizin, Stuttgart: Schattauer 2004, 216 S., 55 Abb., 4 Tab., ISBN 978-3-7945-2343-6, EUR 29,95
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Axel Karenberg gibt in "Amor, Äskulap & Co." einen überzeugenden und kulturhistorisch fundierten Einblick in die Sprach- und Begriffsgeschichte der Medizin. In 24 Kapiteln unterteilt, eröffnet er Perspektiven auf die medizinische Fachsprache, wie er diese als Hochschullehrer einer deutschen medizinischen Fakultät in konkreter Arbeit mit seinen Studierenden gewonnen hat. Es handelt sich um den Pflichtkurs für medizinische Terminologie, der sich in Karenbergs Monografie niederschlägt und der über die Pflicht hinaus die Kür erkennen lässt - dies zeigt sich schon in der ansprechenden Ausstattung des Buches durch den Verlag; als Kür - und zugleich als didaktischer Impetus - werden hier die Spuren der "[K]lassischen Mythologie in der Sprache der modernen Medizin" verfolgt. Gerade durch diesen von Karenberg gewählten Zugang macht der Band die medizinische Terminologie auch in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung klar - und damit ist der Wert dieser schönen Arbeit für die kulturhistorisch Interessierten erkannt.
Die 24 Kapitel sind von einem Prolog (1-6) und einem Epilog (176-187) umrahmt. Karenberg widmet sich zunächst der allgemeinen Frage nach den Zusammenhängen "moderner Heilkunde und klassischer Mythologie" (1), bevor er kursorisch die Grundlagen der medizinischen Fachsprache erläutert. Dabei weist er auf jenen zentralen humanwissenschaftlichen Dialog zwischen, wie er es nennt, "naturwissenschaftlich-technischen und literarisch humanistischen Bereich[en]" (6) hin, der auch in dieser Geschichte der Fachsprache zu erkennen ist. In seiner Darstellung verfolgt er jene 60 Bezeichnungen, "mythologisch-literarische[n] Eponyme", deren Namengeber ein fiktionales Wesen anthropomorpher Art ist, die sich in der medizinischen Terminologie finden und die "in mindestens einem von zwei deutschsprachigen Standardwörterbüchern der Medizin verzeichnet" (3) sind (Pschyrembel und Roche Lexikon Medizin).
Die Kapitel folgen einem einheitlichem Gliederungsschema: Nach einer knappen Darstellung der Überlieferung (unter Einschluss bildlicher Darstellungen - es sind 55 Abbildungen mit Bildunterschrift und Herkunftsnachweis reproduziert worden), die "für das Verständnis medizinischer Termini entscheidend ist" (4), folgen Überlegungen zur "Verwendungsgeschichte" (5) dieser Ausdrücke in der modernen Medizin. Am Ende eines jeden dieser 24 Kapitel finden sich hilfreiche bibliografische Hinweise, bei denen stets auch die aktuelle Forschung berücksichtigt wurde.
In den ersten 13 Kapiteln wird Figuren der griechischen Mythologie nachgegangen (7-90); dabei widmet sich Karenberg in "Von den Heilgöttern der Hellenen: Äskulapstab, Hygiene und Panazee" (69-75) dem bedeutenden griechischen Heilgott Asklepios, der bei den Römern den Namen Aesculapius erhielt, und seinen beiden Töchtern Hygieia und Panakeia. Seine Darstellung überzeugt durch klare Sprache und eine an den aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen orientierte ausgewogene Argumentation. In Kapitel 14, "Ägyptische Gottheiten und ihr Nachleben in der Medizin: Ammonshörner und Horusaugen", folgt ein Blick in das alte Ägypten (91-96); daran schließen sich zwei Kapitel zu römischen Göttern (Venus, Amor, Minerva; Saturn, Merkur, Ianus) (97-111) an, zwei zu biblischen Erzählungen (122-139), ein Kapitel über "Dichter, Denker und Despoten", in dem er auch auf Sappho zu sprechen kommt (112-121), sowie ein weiteres zum Hl. Antonius, in dem es dann um den Veitstanz geht (140-149). In den drei abschließenden Kapiteln (150-169) spricht Karenberg über das Verhältnis von Literatur und Pathologie, wenn er beispielweise das Thema Syphilis vertieft (150-156), und er endet in "Schriftstellerische Neigungen? Sadismus und Masochismus" (170-175) bei "zwei moderne[n] Schriftstellern (de Sade, Sacher-Masoch)" (4). In einem Anhang findet man ein nützliches Glossar (188-201), das kurze Erläuterungen von Achilles über Hermaphroditos bis hin zu den Zyklopen bietet, eine Übersichtstabelle zu griechischen Götternamen und ihren römischen Äquivalenten (202) und eine Zusammenstellung benutzter Nachschlagewerke (203-204), die dem Interessierten zugleich Hinweise zum Vertiefen bietet.
Im Epilog "Pathologie, Poesie und die Praxis einer Fachsprache" (176-187) stellt Karenberg unter anderem in einer übersichtlichen Tabelle (177) erstes Auftreten und Herkunft von den zur Sprache gekommenen Gestalten aus Mythologie, Bibel und Literatur zusammen. Bemerkenswert ist dabei, dass "erst nach 1700 [...] ärztliche Wortschöpfer, die Popularität griechischer und römischer Gottheiten stärker zu nutzen [lernen]" (176), die Beliebtheit im 19. und 20. Jahrhundert einen gewissen Höhepunkt erreicht, bis "im Jahr 1948 [...] die Fügung 'Charon evagatus' den letzten und bereits vergeblichen Versuch dar[stellt], ein klassisches Vorbild einzuführen" (176). So zieht Karenberg Resümee: "Die meisten Vorbilder aus Dichtung und bildender Kunst fanden erst innerhalb der vergangenen 200 Jahre Eingang in den Technolekt der Medizin, geschaffen von einem merkwürdigen Bedürfnis des Menschen: dem Wunsch nach Verzauberung durch Poesie" (178). Karenberg schließt den Epilog mit einer ernüchternden Einschätzung, dass in Anbetracht der Zunahme von Akronymen, Anglizismen und Amerikanismen das Weiterleben mythologisch-literarischer Benennungen stark zu bezweifeln sei, und er begründet dies mit der zunehmend fehlenden klassischen Bildung (186). Wenngleich diese negative Sicht auf die Verhältnisse nicht von der Hand zu weisen ist, kann Karenberg als "Grenzgänger zwischen der Welt der Poesie und der Welt der Wissenschaft" (187) mit seiner Kulturgeschichte medizinischer Fachsprache nicht nur zum Speicher kultureller Tradition beitragen, sondern in ansprechender Weise auch Interesse an eben jenen Phänomenen wecken, die verzaubern können.
Karenberg bestimmt den Anspruch seiner Arbeit selbst, wenn er im Vorwort schreibt "[...] sind die folgenden Seiten als muntere Plauderei abgefasst - nicht mehr, aber auch nicht weniger wollen sie sein. Am treffendsten wäre ihr Inhalt mit dem französischen Wort 'causerie' umschrieben, was heißen soll: eine heiter-gepflegte Unterhaltung unter Freunden" (V). In der Tat macht die Lektüre seiner einzelnen Kapitel von der Götterwelt über die Mischwesen hin zu Reflexionen über Literatur und Pathologie bis zu Sadismus und Masochismus Spaß. Es ist aber Karenberg nicht nur gelungen, mit seinem Buch die Generation der "Spaß-Kultur", mag es diese denn geben, anzusprechen, sondern ein Buch mit wissenschaftlich fundiertem Anspruch vorzulegen, das man gerne in die Hand nimmt und dem viele interessierte Leserinnen und Leser zu wünschen sind.
Florian Steger