Nicola Tranfaglia: La transizione italiana. Storia di un decennio, Mailand: Garzanti Libri 2003, 210 S., ISBN 978-88-11-74014-8, EUR 13,50
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Italien ist in der Krise. Die Wirtschaft lahmt, die Ausgaben des Staates wachsen stärker als die Einnahmen, Streiks, auch wilde Streiks, legen das öffentliche Leben immer wieder lahm, die Regierungsparteien widmen sich mehr kleinlichen Querelen als den Staatsgeschäften, ein Reformgesetz nach dem anderen verfängt sich im Dschungel der Institutionen. Und Silvio Berlusconi, der Regierungschef? Ihn scheint das alles nicht anzufechten, er verfolgt unbeeindruckt seine Ziele, feiert das zehnjährige Jubiläum seiner Partei "Forza Italia" und strahlt wie eh und je über das ganze Gesicht, dem - so behaupten böse Zungen - vor kurzem die Künstlerhände berühmter Schönheitschirurgen den letzten Schliff gegeben haben. Die Opposition, die ihren wichtigsten Widersacher aller Probleme zum Trotz nicht zu stellen vermag, bemüht sich mit allen Mitteln, am Strahlemann-Image des Medienzaren zu kratzen, ohne dabei groß auf den politischen Inhalt ihrer Botschaft zu achten. So ließ Francesco Rutellis Partei "La Margherita" in Rom vor kurzem das Plakat anschlagen: "Belusconi non è andato a Nassiriya - è andato a farsi il lifting", um darauf hinzuweisen, dass der Ministerpräsident zwar keine Zeit für einen Besuch am Ort des verheerenden Terroranschlags gegen italienische Sicherheitskräfte im Irak, wohl aber für eine Schönheitsoperation gefunden habe. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Hilflosigkeit zuweilen nur ein anderes Wort für Schwäche ist, hätte ihn "La Margherita" hiermit geliefert.
Über Silvio Berlusconi ist inzwischen so viel geschrieben worden, dass eine weitere Veröffentlichung nicht unbedingt der Rede wert sein muss. Wenn sich aber Nicola Tranfaglia zur Sache äußert, so liegen die Dinge anders. Schließlich gilt der Turiner Historiker, der für seine scharfe Feder bekannt ist, als einer der bedeutendsten Historiker des Landes; aufgrund einiger übersetzter Aufsätze und seiner Tätigkeit im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts ist er zudem auch in Deutschland kein unbeschriebenes Blatt mehr. Tranfaglia, der aus seiner Sympathie für die Linke keinen Hehl macht und vielleicht gerade deshalb so scharf mit ihr ins Gericht geht, stellt eine einzige Frage: Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte es so weit kommen, dass das von Berlusconi geführte Parteienbündnis "Casa delle libertà" (Haus der Freiheiten) im Mai 2001 siegreich aus den Wahlen hervorgehen konnte, nachdem er doch als Regierungschef 1994 schon einmal schmählich gescheitert war?
Tranfaglia versucht diese Frage aber nicht zu beantworten, indem er dem Werdegang Berlusconis nachspürt oder sein Medienimperium durchleuchtet. Seine Themen sind gesellschaftliche Veränderungsprozesse, strukturelle Defekte des politischen Systems und der Parteienlandschaft sowie Richtungsentscheidungen führender Politiker, die den Aufstieg des Unternehmers aus Mailand ermöglicht oder zumindest begünstigt haben. Berlusconi ist dabei zwar stets präsent, steht aber nur im letzten Kapitel im Zentrum der Darstellung, in dem eine Zwischenbilanz der Arbeit des zweiten Kabinetts Berlusconi gezogen wird.
Ausgehend vom Scheitern des "historischen Kompromisses" zwischen der Democrazia Cristiana und der Kommunistischen Partei Italiens nach der Ermordung des christdemokratischen Spitzenpolitikers Aldo Moro durch die Roten Brigaden 1978 schildert Tranfaglia, wie sich in den achtziger Jahren während des Kondominiums der Sozialistischen Partei Bettino Craxis und der Christdemokraten Giulio Andreottis unter dem Deckmantel der Stabilität Misswirtschaft, Immobilismus und Korruption breit machten. Er schildert aber auch den nachhaltigen Wertewandel, dem die italienische Gesellschaft in diesen Jahren ausgesetzt war, und die Durchsetzung eines neuen, amerikanisierten Lebensstils, zu dessen Grundelementen ein hedonistischer Konsumismus ebenso gehörte wie ein egoistischer Individualismus oder ein aktivistischer Unternehmergeist. Dass Tranfaglia die Fernsehsender Berlusconis mit ihren oberflächlichen Shows und Serien, in denen dem Zuschauer die heile Welt der Reichen, Schönen und Erfolgreichen vorgegaukelt wird, als zentrale Katalysatoren dieses Wertewandels ansieht, braucht kaum eigens betont zu werden. Gleichsam nebenbei erfährt der Leser in diesem Kapitel auch, dass es der Sozialist Craxi war, der Berlusconi in den Achtzigerjahren nicht nur wertvolle Schützenhilfe beim Aufbau seines Medienimperiums leistete. Durch seinen auf Personalisierung, Simplifizierung und mediale Vermittlung setzenden Regierungsstil stand er zudem Pate für ein Modell, das später von Berlusconi in gewisser Weise nachgeahmt und perfektioniert worden ist.
Auf die Frage, warum sich Berlusconi vor den für Ende März 1994 angesetzten Wahlen dafür entschieden habe, in die Politik zu gehen, gibt Tranfaglia drei Antworten. Zum einen habe die wirtschaftliche Lage seines Medienkonzerns Anlass zur Sorge gegeben, zum Zweiten sei der Unternehmer immer stärker durch Ermittlungen der Justiz bedrängt worden, und zum Dritten habe er seine traditionellen Bündnispartner in Regierung und Parlament verloren, nachdem im Zuge zahlreicher Korruptionsskandale große Teile der traditionellen politischen Elite des Landes ihre Legitimation verloren hätten und tragende Säulen des Parteiensystems eingestürzt seien. Nur durch das so entstandene Vakuum ist es zu erklären, dass Berlusconi auf der schwankenden Basis einer improvisierten Partei und an der Spitze eines heterogenen Bündnisses zwischen seiner "Forza Italia", der aus der neofaschistischen Partei hervorgegangenen "Alleanza Nazionale" und der aggressiv-populistischen "Lega Nord" den Wahlsieg davontragen konnte.
Der "Cavaliere" war jedoch bereits wenige Monate später am Ende und musste als Regierungschef zurücktreten. Nach einer Übergangsfrist wurden für April 1996 Neuwahlen ausgeschrieben, die das Mitte-Links-Bündnis "Ulivo" (Ölbaum) unter der Führung Romano Prodis knapp gewann. Die drei Kapitel, in denen Tranfaglia die fünfjährige Herrschaft der Mitte-Links-Regierungen von Romano Prodi, Massimo D'Alema und Giuliano Amato beschreibt, sind vielleicht die stärksten des ganzen Buches, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Autor hier aus einem reichen Fundus an Hintergrundinformationen und Zeitzeugeninterviews schöpfen kann. Schonungslos, ja zuweilen fast abrechnend analysiert Tranfaglia das Scheitern und den Zerfall des Mitte-Links-Bündnisses, das nach unbestreitbaren Erfolgen bei der Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen nicht mehr die Kraft hatte, sich auf weitere Reformprojekte zu verständigen. Während sich die Linke in der Regierung selbst aufrieb - der Sturz Romano Prodis im Oktober 1998 gilt Tranfaglia als größter Sündenfall -, bereitete Berlusconi systematisch sein Comeback vor, nicht zuletzt durch dem Umbau der "Forza Italia" zu einer schlagkräftigen, im ganzen Land verankerten, straff geführten und autoritär organisierten Massenpartei. Dies konnte er umso ungestörter tun, als die um unvereinbare strategische Konzeptionen ringende Regierungsmehrheit nicht in der Lage war, ein Gesetz zu verabschieden, das Berlusconi im Falle eines Falles gezwungen hätte, entweder auf das Amt des Regierungschefs oder auf seinen Medienkonzern zu verzichten. Die Linke habe, so Tranfaglia, trotz aller Warnungen die geballte Medienmacht der drei landesweiten Fernsehsender unterschätzt, die der Medienmogul aus Mailand habe aufbieten können, um im Wahlkampf ein Trommelfeuer zu entfachen, dem seinen Gegner kaum etwas entgegenzusetzen gehabt hätten. Für Tranfaglia ist der Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Wahlentscheidung evident, und um dies zu untermauern, zitiert er eine Untersuchung aus dem Jahr 2001, nach der die Wahrscheinlichkeit einer Wahlentscheidung zu Gunsten der "Forza Italia" mit jeder Stunde steige, die ein Wähler vor dem Fernsehschirm verbringe.
Das letzte Kapitel von Tranfaglias Buch ist eine ebenso nüchterne wie bittere Bestandsaufnahme der Gesetzgebungsarbeit von Regierung und Parlament nach Berlusconis zweitem Wahlsieg im Mai 2001. Tranfaglia zählt Gesetze und Verordnungen auf, die dazu dienen sollen, den Wohlstand des Regierungschefs und seiner Klientel zu mehren, Berlusconi selbst vor Strafverfolgung zu schützen, den Rechtsstaat auszuhöhlen, Bürgerrechte zu beschneiden und den Sozialstaat im Sinne eines globalisierten Neoliberalismus zu demontieren. Entsprechend düster fällt sein Fazit aus. Teile der Linken, so schreibt er, seien nach wie vor blind genug, um zu behaupten, dass Berlusconi noch nicht damit begonnen habe, eine Art Regime zu errichten. Wenn man ihn frage, ob in Italien bereits ein autoritäres Regime existiere, so müsse er dagegen antworten, dass es noch nicht so weit sei, aber dass "die Regierung daran arbeite, dieses aufzubauen - Schritt für Schritt".
Thomas Schlemmer