Konrad Elmshäuser / Adolf E. Hofmeister (Hgg.): 700 Jahre Bremer Recht 1303-2003. Begleitband zur Ausstellung des Staatsarchivs Bremen "700 Jahre Bremer Recht", 28.11.2003-16.1.2004 (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen; Bd. 66), Bremen: Staatsarchiv Bremen 2003, 376 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-925729-34-8, EUR 39,00
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Dieser Sammelband erschien 2003 als begleitender Katalog einer Ausstellung im Staatsarchiv Bremen anlässlich der 700 Jahre zurückliegenden Begründung des Bremer Stadtrechts, dessen Kodifikation ein Ausschuss des Magistrats 1303 beschlossen hatte. Im Anhang wird der 1931 in einer textkritischen "Schulausgabe" von Karl August Eckhardt transkribierte niederdeutsche Text samt Glossar abgedruckt, der, so Konrad Elmshäuser in der Einführung, zwar auch im Textarchiv des Deutschen Rechtswörterbuchs online greifbar [1], in der Druckversion aber vergriffen ist.
Unter Rückgriff auf die Eckhardt'sche Wiedergabe ist die zentrale Quelle knapp wie folgt zu beschreiben: Der ursprüngliche Text ist auf drei Hefte mit insgesamt vier Teilen verteilt. Sie wurden von den drei ermittelten Verfassern nicht sukzessive beschrieben, sondern vielmehr vom ersten angelegt und partiell ausgefüllt, vom zweiten ergänzt und zusammengebunden und vom letzten abermals vervollständigt und abgeschlossen. Während der erste Teil auf eine ältere Bremer Vorlage in lateinischer Sprache zurückgeht, sind andere Teile andernorts entlehnt, zu genau einem Viertel vor allem dem Hamburger Recht von 1270 (dem so genannten "Ordelbok"). Fertig gestellt wurde das Stadtrecht erst 1308. Seine komplizierte Genese bedingt eine große Bandbreite an Implikationen. Ihnen widmet sich der Sammelband in 16 Aufsätzen in den folgenden Teilen: "Vorgeschichte und Kodifikation des Stadtrechts" (1), "Die Bremer Stadtrechtsfamilie und Einflüsse fremden Rechts" (2) und "Das Bremer Stadtrecht der Neuzeit" (3).
Zunächst skizziert Dieter Hägermann, emeritierter Ordinarius für mittelalterliche Geschichte an der Universität Bremen, die topografische, wirtschaftliche und politische Entwicklung des Orts seit seiner Ersterwähnung (782) in karolingischer Zeit. Erst die Konsolidierung der bischöflichen Rechte und die damit verbundene "geistliche Zentralität" (18) bildete die Voraussetzung für den späteren Weg der Zivilgemeinde - der im 11. Jahrhundert erstmals bezeugten "civitas" - in das 12. Jahrhundert, das für Bremen das "kommunale Saeculum schlechthin" war. Die seitdem ergangenen Privilegien und gewohnheitsrechtlichen Praktiken wurden ab 1303 von der Bürgerschaft fixiert. Der Rekurs auf Karl den Großen, der spätestens 789 den Ort zum Bischofssitz bestimmt hatte, blieb dabei, so Hägermann, im städtischen Symbolbestand allgegenwärtig.
Herbert Schwarzwälder nimmt das Faktum, dass das Stadtrecht keine bischöfliche Rechtsverleihung, sondern eine autonome Rechtssetzung war, zum Anlass, nach den Interessen seiner Initiatoren zu fragen. Er kommt zu dem schon in seiner großen Bremer Stadtgeschichte (Band 1, 1975) entwickelten Schluss, dass sich parallel zur Abfassung des Stadtrechts ein tiefer Interessenszwiespalt innerhalb der städtischen Oberschicht auftat, deren nach innerstädtischen "Unruhen" obsiegende Fraktion mit der Ausgestaltung des Rechts ostentativ ihre Regelungsansprüche dokumentierte.
Weitere Beiträge in diesem Abschnitt befassen sich mit Handschriftenvorlagen von 1303 und den nachfolgenden Kodifikationen von 1428 und 1433 (zwei Beiträge von Elmshäuser), der im Stadtrecht verwendeten mittelniederdeutschen Sprache (Ute Siewerts) und den dort punktuell auftretenden schiffs- beziehungsweise frachtrechtlichen Bestimmungen (Ulrich Weidinger).
Abhängigkeiten und Wirkungskreis des Bremer Stadtrechts umreißt in Teil 2 zunächst Albrecht Eckhardt mit einer Überblicksdarstellung der Entwicklungen in den Bremer "Tochterstädten" Verden, Oldenburg, Wildeshausen, Delmenhorst, Harpstedt (Oldenburg) und (ungesichert) in Neustadt am Rübenberge (an der Leine). Daraufhin knüpft Dagmar Hüpper Zusammenhänge zwischen dem Bremer und dem Hamburger Recht sowie dem Sachsenspiegel. Jürgen Bohmbach blickt knapp auf die ebenfalls vom Hamburger Recht abhängigen "Stader Statuten" von 1279. Thomas Elsmann bietet einen illustrierten Überblick und Katalog der ursprünglich aus verschiedenen Bremer Bibliotheken stammenden Handschriften rechtlichen Inhalts zur Hansestadt.
Teil 3 berührt die Rolle des Stadtrechts vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Dabei untersucht zunächst Walter Barkhausen den Beitrag des ab 1605 amtierenden Bürgermeisters Heinrich Krefting (1562-1611) zur Reform des Bremer Strafrechts, der allerdings nur in einer von einem Mitarbeiter kommentierten Abschrift dokumentiert ist. Elmshäuser geht in einer plastischen Beschreibung Verfahrensformen der städtischen Kriminalgerichtsbarkeit nach. Adolf E. Hofmeister äußert sich zur Druckgeschichte des Codex von 1303/1308. Bettina Schleier zeichnet unter Berücksichtigung der Schriftgutbildung im Ratsarchiv den allerdings sichtlich gesunkenen Stellenwert des alten Stadtrechts um 1800 nach. Besonders lesenswert, da perspektivisch weitsichtig ist Andreas Schulz' Beitrag zur Bremer Verfassungsdiskussion im 19. Jahrhundert. Hofmeister beschließt den Aufsatzteil mit Reflexionen über die Ratsverordnungen vom 15. bis ins 20. Jahrhundert.
Da für Archivare und Bibliothekare, überdies für Sprachwissenschaftler und Rechtshistoriker im Umgang mit mittelalterlichen Rechtstexten andere Aspekte im Vordergrund stehen als für den in aller Regel ja an den realgeschichtlichen Implikationen historischer Normen interessierten Allgemeinhistoriker, tritt die konkrete sozial- beziehungsweise rechtsgeschichtliche Praxis im Gefolge des Bremer Rechts von 1303/1308 in der vorliegenden Publikation eher in den Hintergrund. Das ist, gemessen an dem erklärten Ziel einer "Darstellung der allgemeinen Genese der Entwicklung in Bremen" (12), zu verschmerzen. Allerdings bezeugt mancher Beitrag eine Vertiefung, die die Lektüre für ein allgemein interessiertes Publikum ohne nähere Kenntnis der städtischen Ereignis- und Strukturgeschichte schwierig machen dürfte.
Aber auch Experten dürften weiterhin bei der von Schwarzwälder (31) implizit aufgeworfenen, insgesamt aber nicht konsequent beantworteten zentralen Frage stocken, welche konkrete Bedeutung das Traditionsjahr 1303 für die Bremer Geschichte denn eigentlich hatte. Abgesehen davon nämlich, dass das Bremer Recht bestehendes und auswärtiges Recht bündelte und 1303 nicht statuierte, sondern nur in Angriff nahm, fielen die wirklich entscheidenden Umarbeitungen beziehungsweise Erweiterungen in die späteren Jahre 1428 und 1433: Während der Text von 1303/1308 im Wesentlichen Zivil- und Strafrecht kodifiziert hatte, schuf erst die Version von 1433 ein Stadtrecht im Sinne einer abgeschlossenen, verfassungsmäßigen Definition der kommunalen Grundinstitutionen - man könnte auch vom eigentlichen inneren 'Herrschaftsrecht' sprechen.
Immerhin: Die für die ältere Bremer Rechts- und Verfassungsgeschichte wichtigen Jahre 1308, 1428 und 1433 bergen den kulturpolitischen Vorzug, der Stadt 2008 auf einen Schlag wahlweise ein 700-, ein 580- und 575-jähriges, abermaliges Jubiläum zu bescheren - und damit den Interessierten die Möglichkeit, die offen gebliebenen Fragen noch einmal ins Auge zu fassen.
Anmerkung:
[1] Unter der URL: http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw/t/BremRQ2.htm#, dazu gegliederte Grundinformationen unter der URL: http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/hdhs/objekte/2328.htm#inhalt. Unter erstgenannter Adresse finden sich auch die Weiterführungen im 15. Jahrhundert, nämlich die Stadtrechte von 1428 und 1433 und die nach Pergamentsrollen benannten "Kundigen Rullen" von 1450 und 1489.
Stephan Laux