Anne Derbes / Mark Sandona (eds.): The Cambridge Companion to Giotto, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XIX + 313 S., 46 plates, 49 illus., ISBN 978-0-521-77007-1, GBP 70,00
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Die von der Cambridge University Press herausgegebene Publikationsreihe 'Cambridge Companions to the History of Art' will unter besonderer Berücksichtigung kulturhistorischer Kontexte über den Forschungsstand wichtiger Künstler und Kunstströmungen westlicher Kulturen informieren. Das Zielpublikum sind in erster Linie "undergraduate and graduate students", denen ein Einstieg in aktuelle Forschungen ermöglicht werden soll. Daher enthält auch jeder Band eine Auswahlbibliografie.
Der Giotto gewidmete Band enthält eine Sammlung von elf Beiträgen, inklusive einer Einleitung, in der die beiden Herausgeber diejenigen Problemfelder skizzieren, auf die sie besonderen Wert legen. Genannt werden: kunstkritische und kunsthistorische Rezeptionsgeschichte des Künstlers, Arbeitsweisen künstlerischer Werkstätten, Auftraggeberforschung ("the complexities of religious and secular patronage"), Giottos Innovationen sowie Interpretationsansätze zu dem berühmtesten Werk des Künstlers, den Wandbildern der Arena-Kapelle in Padua. Die Methodenvielfalt der Beiträge wird ausdrücklich betont: "The collection should demonstrate that Giotto scholarship today is far from monolithic; our authors pursue widely varied methods, approaches, and challenges to received opinion" (7).
Giotto gehört zu jenen Künstlern, deren Œuvre in hohem Maße umstritten ist. Wer den Maler als einen der bedeutendsten Künstler der frühen italienischen Malerei vorstellen möchte -"one of the most important masters of early Italian Art" -, ist mit dieser Schwierigkeit konfrontiert. Die Herausgeber sind der Auffassung, dass das "Giotto-non Giotto"-Problem den Leser jedoch nicht beunruhigen sollte. Der mittelalterliche Werkstattbetrieb lasse die Bestimmung von "autograph works" häufig nicht zu, und präzise Zuschreibungen seien für die Problemfelder der Forschungen zur visuellen Kultur ohnehin weniger wichtig: "For historians who are concerned with other issues in visual culture - such as the interpretation of images and their reception by diverse audiences - debates about the precise attribution of a given work may seem to be of little import" (1). Die folgenden Beiträge lassen aber dann doch deutlich werden, dass es bei Zuschreibungsproblemen nicht zwangsläufig um eine kennerschaftliche Jagd nach autografen Gemälden geht, sondern um die elementare Frage, welche Werke überhaupt mit der Malerwerkstatt 'Giotto' in Verbindung gebracht werden können. Insbesondere die Gretchenfrage der Giotto-Forschung - "Wer war der entwerfende Hauptmeister der Franzlegende in der Oberkirche von San Francesco in Assisi? Der Isaak-Meister, ein Anonymus oder Giotto?" - lässt sich nicht völlig umgehen, wenn man über grundlegende Innovationen im Bereich der frühen italienischen Malerei in einem Buch über Giotto angemessen informieren möchte. Das betrifft letztlich auch die beiden Herausgeber, die einerseits durchaus dazu bereit scheinen, "to jettison traditional concerns about style and authorship" (1), andererseits aber in den Bildunterschriften des Abbildungsteils stillschweigend die "non Giotto"-Position vertreten.
Die Hauptlast, die heiklen Autor- und Werkstattprobleme abzuhandeln, haben Haydon Maginnis und Bruno Zanardi übernommen. Maginnis gibt nach einigen Hinweisen auf die literarischen Quellen einen kursorischen Überblick über die prominentesten englischsprachigen Beiträge zu den Zuschreibungsproblemen in der Giotto-Forschung. Von Seitenblicken auf die Fresken der Bardi und Peruzzi-Kapellen sowie auf Tafelgemälde abgesehen, konzentrieren sich seine Bemerkungen auf Padua und das Hauptexerzierfeld aller stilkritischen Manöver im Positionsspiel der "Giotto-non Giotto"-Debatten, d.h. auf das weite Feld der Diskussion um die Zuschreibung der Franzlegende. Maginnis hält seine eigene Auffassung nicht zurück. Er berichtet, dass er zusammen mit Andrew Ladis 1998 auf einem Gerüst vor Ort zu der Einsicht gelangte, "that the decoration of the vaults of the nave and all of its walls was carried out by Roman painters" (30). Trotz dieser unvermittelt kecken Aussage, mit der er alte und neue Überlegungen zu Giottos römischen Voraussetzungen allein mit kennerschaftlicher Rhetorik in eine radikal römische These transponiert, wird am Ende intensive Denkarbeit gefordert: "Thus, we shall need fundamentally to rethink our ideas about the decoration of the nave of the Upper Church and its chronology [...] Strange as it may seem, in Giotto's case we are still in search of a painter" (30-31).
Die Ausführungen von Bruno Zanardi sind ganz auf das Assisi-Problem konzentriert. Der Beitrag, den die Herausgeber als ein "authoritative guide to the organization and methods of a fresco workshop in late medieval Italy" präsentieren (7), wurde als eine Art kurzes Resümee zwischen zwei Buchpublikationen verfasst, in denen der Autor die Ausführungsmodalitäten der Wandbilder der Franzlegende ausführlich dokumentiert und analysiert. [1] Die vorgelegten Materialien liefern wichtige neue Aufschlüsse und stellen daher die aktuelle Grundlage für die stilkritische Auseinandersetzung mit der Ausmalung des Langhauses der Oberkirche dar. Anhand der Köpfe der Figuren ermittelt Zanardi den Gebrauch unterschiedlicher Schablonen (patroni) sowie verschiedene Modi der maltechnischen Ausführung des Inkarnats. Der Befund lasse auf die Tätigkeit dreier 'capomaestri' schließen, von denen einer starke Übereinstimmungen mit Pietro Cavallinis 'Jüngstem Gericht' in S. Cecilia in Rom aufweise. Welche Tragweite den ausschließlich auf technische Ausführungsdetails bezogenen Analysen zugemessen werden kann, bleibt unsicher. Sauerländers in Verbindung mit Zanardis zweitem Buch gegebener euphorischer Kommentar ist zweifellos zu wenig kritisch und allzu optimistisch. Die Herangehensweise Zanardis sei frei von jeglichem kennerschaftlichen Subjektivismus ("esclude a priori qualsiasi soggettivismo, com'è quello su cui si fonda la connoisseurship"). Dass die Ergebnisse des renommierten Restaurators tatsächlich das Ende der Debatte über die Urheberschaft der Franzlegende bringen [2], ist zu bezweifeln. Erste kritische Einwände sind mittlerweile bereits erfolgt.
Zwei Beiträge befassen sich mit Einzelaspekten von Giottos künstlerischem Schaffen. William Tronzo untersucht vorrangig am Beispiel der Beweinung Christi in der Arena-Kapelle Giottos Rezeption antiker Skulptur, wobei er einen kritischen Umgang mit antiken Werken diagnostiziert und als Neuheit gegenüber den Rezeptionsweisen früherer Künstler betont. Ob man Nicola Pisano, da er antiken Vorbildern in einigen Fällen näher ist als Giotto, die Fähigkeit zu kritischer Auseinandersetzung mit antiker Kunst absprechen sollte, sei dahin gestellt. Auch andere Beobachtungen wären wohl etwas weniger zugespitzt worden, wenn statt des Meleager-Sarkophags in Ostia derjenige des Louvre in Paris zum Vergleich herangezogen worden wäre. [3]
Gary M. Radke befasst sich mit der Rolle Giottos als Architekt bzw. mit den gemalten architektonischen Rahmungen und Bildarchitekturen seiner Fresken. Behandelt werden die Arena-Kapelle, die malerische Ausstattung der Bardi- und Peruzzi-Kapellen sowie der Campanile des Florentiner Doms. Trotz der vielfältigen Bemerkungen, mit denen die schlichte These "Giotto: Painter more than architect" untermauert wird, macht das am Schluss gezogene Fazit dem Leser deutlich, dass auch hier noch weitere Denkarbeit zu leisten ist: "Giotto was, in the end, a painter who used architecture as a frame through which even today we can better understand his art and his particular genius" (102).
Vier Essays sind Fragen der Beziehungen Giottos zu seinen Auftraggebern gewidmet. Das Hauptaugenmerk gilt den Franziskanern, aber auch den Dominikanern (Joanna Cannon, William Cooke) und Humiliaten (Julia Miller, Laurie Taylor-Mitchell). Lesenswert ist vor allem der Text von Joanna Cannon ("Giotto and Art for the Friars"), der einen materialreichen, aber dennoch konzisen und sachbezogen kritischen Überblick über den aktuellen Forschungsstand liefert. Die "lay patrons" werden im Titel eines Beitrags von Benjamin Kohl als Gegenstand angekündigt. Dieser konzentriert sich jedoch im Wesentlichen auf Enrico Scrovegni. Für die Bardi und Peruzzi fallen kaum mehr als zwei Seiten ab. Die 'patronage' von Angehörigen der päpstlichen Kurie sowie kommunaler Institutionen und von Herrschern wird vernachlässigt.
Die beiden letzten Beiträge befassen sich ausschließlich mit der Arena-Kapelle. Anne Derbes und Mark Sandona widmen ihre Aufmerksamkeit dem Triumphbogen, für dessen "program" sie "multiple readings" (9) vorschlagen. Der letzte Beitrag besteht in dem Wiederabdruck von "Andrew Ladis's now classic essay, 'The Legend of Giotto's Wit and the Arena-Chapel'" (9).
Die den Leser zu weiterem Studium anleitende "Selected Bibliography" präsentiert 122 Titel, von denen 75 Giotto betreffen und 47 den "cultural context". Die deutsche Giotto-Forschung der letzten dreißig Jahre ist nur spärlich vertreten, die ältere kommt überhaupt nicht vor. Man findet neun deutschsprachige Titel. Bei einer Durchsicht der Literaturangaben der einzelnen Beiträge stellt man fest, dass immerhin drei der zwölf Autoren (Cannon, Tronzo, Ratke) auch deutsche Forschungsbeiträge berücksichtigen, die nicht ins Englische übersetzt wurden.
Es fällt auf, dass sich in den Beiträgen des Bandes die Hauptaufmerksamkeit überwiegend auf diejenigen gut erhaltenen Werke konzentriert, die seit jeher zu den bevorzugten Werken der Giotto-Forschung gehören. Auch Unternehmungen, die sich "other issues in visual culture" verpflichtet fühlen als die ältere Kunstgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts, scheinen sich nicht ohne Weiteres von traditionellen ästhetischen Sensibilitäten und Vorlieben zu lösen. Eine gewisse Neigung, nur diejenigen Werke, deren Zuschreibung weitgehend unstrittig ist, als "major works" einzustufen, ist ebenfalls nicht zu verkennen. Der Mut, neue Forschungsansätze am Beispiel weniger berühmter Werke zu testen, scheint begrenzt. So ist zum Beispiel bedauerlich, dass die Fresken des Vierungsgewölbes der Unterkirche von S. Francesco in Assisi, die Cannon zurecht als "a milestone in the history of large-scale allegorical painting" erwähnt (130), nicht näher behandelt werden. Es finden jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer Zuschreibung umstrittene oder weniger gut erhaltene Werke wenig Beachtung. Die Tatsache, dass das malerische Œuvre Giottos umfangreicher war, als die erhaltenen Beispiele, wird in dem gebotenen Überblick vernachlässigt. Unberücksichtigt bleiben insbesondere auch Quellennachrichten und Forschungen zu verlorenen profanen Werken im Bereich der öffentlichen Wandmalerei, obwohl Giottos Bedeutung für diese in der visuellen Kultur des Trecento florierenden Bildgattungen von der Forschung häufig betont wurde.
Der von Anne Derbes und Mark Sandona herausgegebene Band vermittelt einen guten Eindruck davon, unter welchen, sicherlich nicht optimalen sprachlichen Voraussetzungen und mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten und methodischen Präferenzen an amerikanischen und anderen englischsprachigen Universitäten Studenten internationale Beiträge zur Giotto-Forschung vermittelt werden.
Anmerkungen:
[1] Bruno Zanardi: Il cantiere di Giotto, le storie die San Francesco ad Assisi, Mailand 1996; ders.: Giotto e Pietro Cavallini. La questione di Assisi e il cantiere medievale della pittura a fresco, Mailand 2002.
[2] Willibald Sauerländer: Giotto, Assisi e la crisi die conoscitori, in: Zanardi 2002, 7-12.
[3] Albert Bush-Brown: Giotto - Two Problems in the Origin of his Style, in: The Art Bulletin 34 (1952), 42-46.
Peter Seiler