Gabriele Köster (Hg.): Der Magdeburger Reiter. Bestandsaufnahme - Restaurierung - Forschung (= Schriftenreihe des Zentrums für Mittelalterausstellungen Magdeburg; Bd. 3), Regensburg: Schnell & Steiner 2017, 400 S., 202 Farb-, 67 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-3202-7, EUR 49,95
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Unser Wissen über den Erhaltungszustand des Magdeburger Reiters entbehrte bisher eines tragfähigen Fundaments. Das auf Initiative von Matthias Puhle, dem ehemaligen Direktor des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, in Angriff genommene und 2011-2015 durchgeführte Restaurierungsprojekt erfüllt daher eines der größten Desiderate der Erforschung mittelalterlicher Skulptur im 13. Jahrhundert in Deutschland.
Der von Puhles Nachfolgerin Gabriele Köster herausgegebene Sammelband dokumentiert die Ergebnisse einer gleichnamigen Tagung, die anlässlich des Abschlusses des Projekts abgehalten wurde (06.-07.11.2015). Den Auftakt des Bandes bilden eine knappe Fotodokumentation (mit Vorder-, Rück- und Profilansichten der restaurierten Figuren, d.h. des Reiters und der beiden weiblichen Begleitfiguren; leider keine weiteren Detailaufnahmen) sowie Tafeln mit Bestandskartierungen. 15 Beiträge sind in vier thematische Blöcke gegliedert: "Material, Konstruktion und Farbigkeit: Magdeburg, Bamberg und Naumburg im Vergleich" (5), "Beiträge zur stilgeschichtlichen Einordnung" (3), "Beiträge zur Geschichte des Reitermotivs" (3), "Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Magdeburger Reiters" (4). Es folgen als Anhang ein tabellarischer chronologischer Überblick und ein Quellen- und Literaturverzeichnis.
Wer angesichts der fast 400 Seiten umfassenden Publikation einen kompletten Überblick über den Forschungsstand zum Magdeburger Reiter erwartet, muss seine / ihre Erwartungen etwas herunterschrauben. Es werden zwar die "verschiedensten Gesichtspunkte" behandelt (201), eine systematische Erschließung aller Problemfelder wurde aber nicht versucht. Behandelt werden Einzelaspekte von unterschiedlicher Relevanz. Wer Zeit hat, den gesamten Band zu lesen, wird auch da auf neue Argumente stoßen, wo er / sie es vom Inhaltverzeichnis her nicht erwartet und dabei auch feststellen, dass die Texte und Auffassungen der Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmer weniger harmonieren und aufeinander abgestimmt sind, als das im Vorwort suggeriert wird. Dass konträre Auffassungen vorhanden sind, ist keineswegs unerfreulich; sie werden jedoch nicht deutlich diskutiert und auch nicht durch Querverweise erschlossen. Vor allem im zweiten und dritten Themenblock irritiert zudem eine wenig intensive Auswertung der bisherigen Literatur.
Der von dem Restauratorenteam (Claudia Böttcher, Ernst Thomas Groll, Ulrike Wende) vorgelegte Bericht über die Untersuchungen zur Bestandsaufnahme, frühere Restaurierungen (2011-2013) und die im Anschluss daran (2014-2015) durchgeführten Maßnahmen ist der wichtigste und ertragreichste des gesamten Bandes. Für alle weiteren Studien zum Magdeburger Reiterensemble sind die hinsichtlich Materialität, Konstruktion und Farbigkeit erzielten Ergebnisse grundlegend. Es wurde ermittelt, dass "noch mehr als 50% der Skulpturengruppe als Originalsubstanz des 13. Jahrhunderts anzusprechen sind" (14). Zur Konstruktion - die Reiterfigur besteht aus mehreren, teilweise bereits bei älteren Restaurierungen ersetzten Werkstücken - gibt es beachtliche neue Aufschlüsse. Die geringen Spuren der Farbfassung reichten leider nicht aus, um die ursprüngliche Farbigkeit zu ermitteln.
Die folgenden vier Beiträge des Themenblocks "Material, Konstruktion und Farbigkeit" ergänzen und vertiefen Einzelaspekte: Beachtenswert erscheint insbesondere die auf enge Parallelen der "Stückungstechnik" hinweisende vergleichende Analyse des Magdeburger und des Bamberger Reiters (Maren Zerbes). Ein Rückblick auf die Frage nach der Farbigkeit in der älteren Restaurierungsgeschichte (Hartmut Krohm) und die für sich gesehen instruktiven Seitenblicke auf Konstruktion und Farbigkeit der Naumburger Stifterfiguren (Dominik Jelcheswski, Daniela Karl) vermögen dagegen unserem Wissen über den Magdeburger Reiter nichts Wesentliches hinzuzufügen.
Die drei "Beiträge zur stilgeschichtlichen Einordnung" bewegen sich in traditionellen Bahnen und bestätigen in erster Linie gängige Forschungsmeinungen. Eigenständige Beobachtungen, die nicht auf Altlasten kaum noch konsensfähiger stilgeschichtlicher Kategorien angewiesen sind, liefert Achim Hubel, der in seine Analyse der Unterschiede des Bamberger Reiters und des Magdeburger Reiters auch die beiden Reiterfiguren des Regensburger Doms einbezieht.
Es konnte, wie im Vorwort betont wird, nicht Aufgabe der Tagung sein, die Geschichte des Reitermotivs "von Grund auf neu aufzurollen" (14). Gleichwohl wäre angesichts der angekündigten "neuen Argumente" von den drei diesem Thema gewidmeten Beiträgen mehr zu erwarten gewesen: Die Überlegungen zur "Mobilität" der Metzer Reiterstatue (Sabine Heiser) bewegen sich, was die Autorin selbstkritisch einräumt, im Bereich des Spekulativen (233), und die vor allem um das Motiv der parallel gestellten Beine des Pferdes des Magdeburger Reiters kreisenden Mutmaßungen sind uneingestandenermaßen ähnlich vage (Leonard Helten). Für den von Gernot Kocher beigesteuerten Beitrag "Der König als Reiter - eine Form rechtssymbolischer Kommunikation" wäre im Titel ein Fragezeichen angemessen gewesen. Er endet mit der wenig überraschenden Empfehlung, "den königlichen Reiter als Verkörperung der gesamten Herrschaftsmacht anzusehen" (268). Gleichwohl trägt er einiges zur Klärung der Ikonografie des Reiters bei. Das Resultat, dass den ikonografischen Elementen der Reiterfigur rechtliche Bedeutungskomponenten inhärent sind, eine spezifische rechtssymbolische Aussage jedoch nicht zu erkennen ist, fand bei anderen Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmern keinen Nachhall: Mehrfach wird ohne sachliche Grundlage und Präzisierung die alte Behauptung wiederholt, der Reiter habe (ursprünglich) als "Gerichts- oder Rechtssymbol" gedient.
Die Beiträge des Themenblocks "Rezeptions- und Wirkungsgeschichte" behandeln ebenfalls eher disparate Problemausschnitte: Beleuchtet werden die "Bedeutung des Magdeburger Reiters für die Magdeburger" (Gabriele Köster), seine verschiedenen, anhand 195 Belegen dokumentierten und daher auch nur knapp und summarisch kommentierten Benennungen (Claus-Peter Hasse), seine wissenschaftliche Rezeption im 19. und frühen 20. Jahrhundert (Klaus Niehr) sowie - mit ideologiekritischem Anspruch und teilweise vielleicht etwas voreiligen Thesen - seine Einbeziehung bzw. auch Nichteinbeziehung in vier kulturhistorische Ausstellungen der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der jüngsten Gegenwart (William J. Diebold). Da eine gründliche Aufarbeitung der kunsthistorischen Auseinandersetzung mit dem Reiterensemble für das 20. Jahrhundert nicht vorliegt, bleibt weitgehend unklar, inwieweit die (universitäre und museale) Kunstgeschichtsschreibung unter den sehr unterschiedlichen Staatssystemen in politische Instrumentalsierungen eingebunden war.
Der im Vorwort zu Recht als Verdienst reklamierte Impetus zu rezeptionsgeschichtlich fundierter kritischer Aufklärung, ist nicht ungetrübt: Wird doch der Tagungsband selbst in den politischen Grußworten für den Magdeburger "Ottokult" in Dienst genommen. Vielleicht könnten in Zukunft mit Verweis auf die Unwägbarkeit historischer Deutungen neben der Unsicherheit einer Identifizierung des Magdeburger Reiters seine kunsthistorische Stellung und seine Bedeutung für innereuropäische Prozesse kultureller Transformation des 13. Jahrhunderts deutlicher konturiert werden.
Eine intensivere Beachtung europäischer Perspektiven könnte auch helfen, das eine oder andere Detailproblem aufzuhellen. So findet man zum Beispiel zur Statik der freistehenden steinernen Reiterfigur in mehreren Beiträgen des Bandes dezidierte, aber konträre Aussagen, die insbesondere das Vorhandensein einer zusätzlichen Bauchstütze betreffen. Es besteht hier, was das Restauratorenteam zu Recht betont, noch Forschungsbedarf (91). Es überrascht in diesem Zusammenhang, dass die prominenten italienischen Reiterfiguren des 13. Jahrhunderts (vor allem die des Hl. Martin in Lucca) nur beiläufig und die des 14. Jahrhunderts (die der Scaliger in Verona und die des Bernabò in Mailand) überhaupt nicht beachtet wurden, obwohl sie eine vergleichbare Standmotivik aufweisen und das Mailänder Bildwerk, das annähernd zeitgleich mit dem Magdeburger Reiter Gegenstand restauratorischer Maßnahmen war, eine kleine Säule als Bauchstütze besitzt.
Die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes weisen selbst mit Nachdruck darauf hin, dass es weitere Forschungsdesiderate gibt. Es wurden die Reiterfigur und ihre beiden weiblichen Begleitfiguren zunächst ins Zentrum gestellt, da sich das Restaurierungsprojekt nur ihnen widmete. Der ursprüngliche Sockel und seine Fundamentierung, die Platzsituation auf dem Alten Markt, die Erweiterung des Monuments um vier Ritterfiguren im 14. Jahrhundert und eine gründliche kritische Aufarbeitung der bisherigen wissenschaftliche Forschungstradition (16) lassen eine Fortsetzung der erfolgreich begonnenen Initiative zur Erforschung des Magdeburger Reiters wünschenswert erscheinen.
Peter Seiler