Kerstin Merkel: Jenseits-Sicherung. Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Grabdenkmäler, Regensburg: Schnell & Steiner 2004, 215 S., 120 Abb., ISBN 978-3-7954-1662-1, EUR 59,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Gudrun Litz: Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten, Tübingen: Mohr Siebeck 2007
Carola Jäggi / Jörn Staecker (Hgg.): Archäologie der Reformation. Studien zu den Auswirkungen des Konfessionswechsels auf die materielle Kultur, Berlin: De Gruyter 2007
Miriam Verena Fleck: Ein tröstlich gemelde. Die Glaubensallegorie "Gesetz und Gnade" in Europa zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Affalterbach: Didymos-Verlag 2010
Auf unprätentiöse Weise nähert sich Kerstin Merkel einem verrufenen Gegenstand: Ihre Kasseler Habilitationsschrift von 2003, die der vorliegenden Studie zu Grunde liegt, bearbeitet mit den Grabdenkmälern Albrechts von Brandenburg ein Gedächtnis von bekanntlich nicht allzu schönem Leumund: Während Albrecht als "Scheisbisschoff" (Luther) zumal der protestantischen Nachwelt in Erinnerung blieb, umflorten ihn andererseits doch immer seine mannigfaltigen Kunstbestrebungen. Ihrer minuziösen Aufarbeitung durch Paul Redlich 1900 kann die Verfasserin zwar keine Neufunde hinzufügen. Ihr Beitrag ist vielmehr Revision mit fallweise überraschenden Einsichten. Diese gelingen, weil Merkel konsequent die Artefakte als visuelle Quellen befragt. Zugleich drängt sie auf eine spezifisch kompensatorische Komponente von Albrechts "Jenseits-Sicherung". So erweist sich dieses Gedächtnis von ebenso furchtsamem wie selbstbewusstem Charakter und ist zugleich, obzwar alles andere als ergebnisoffen, dialogisch geprägt und ausgesprochen dynamisch.
Das Verständnis hierfür eröffnet der Lebenslauf des Kardinals (11-17), der weniger als ungleicher Gegner protestantischer Intellektualität, vielmehr als qua Herkommen prachtbewusster Kleriker mit reformtheologischen Anliegen begegnet: Die humanistische Umgebung Albrechts bestand - jedenfalls anfänglich - auch aus Befürwortern Luthers. Er selbst habe mit dem Ausbau Halles eine Einladung verbunden, "die vom katholischen Glauben Abgefallenen neu aufzunehmen" (189). Erst in den 1530er-Jahren verschloss sich diese Offerte, mündend im Verlust Magdeburgs und Halles an die Protestanten.
Für die aus der Saalestadt zurückgezogene Memoria bedeutete dies eine Entlastung von Aufwand und Rhetorik. Dies gelte auch für das 'offizielle', wieder in den Mainzer Dom zurück gekehrte Gedenken, wo eine Grabplatte in Buchgestalt Albrechts Willen zur Reform unterstrich (173-183). Jesuitisch geläutert und bildreformerischen Ideen offen (184-191) gelang es dem Kardinal schließlich in den testamentarischen Verordnungen zu seinem Grabmal loszulassen - allein schicklich ("geburlich") sollte es sein. Die Testamentsvollstrecker nutzten diese Vorgabe für Albrechts "visuelle Rehabilitation" (192, bes. 197 f.).
Im Argumentationsverlauf ist dies freilich schon der Ausklang. Steht im Zentrum doch jene Trias von Bronzegüssen, die sich heute im nördlichen Querhaus der Aschaffenburger Stiftskirche befindet. Obgleich Albrechts Epitaph von 1525, das Relief der Maria auf der Mondsichel (1530) und der große Bronzebaldachin von 1536 in ihrer Gesamtheit einst das Hallenser Grabdenkmal bildeten, überwölbt sie kein einheitlicher Masterplan (18). Merkel arbeitet vielmehr ein stetes Überdenken des Gedächtnisses heraus, was sowohl Albrechts finanziellen Rahmen als auch die Logistik der ausführenden Vischer-Werkstatt herausforderte.
So weist die Verfasserin etwa nach, dass der Kardinal von dem anfänglich vorgesehenen, auch dynastische Rückschau haltenden Hochgrab mit bronzener Liegefigur schnell wieder abkam. Schon 1527 bestellte er eine steinerne Grabplatte und ließ dem bereits fertig gestellten Bronzeguss einen neuen oberen Abschluss und eine ruhmredige Schrifttafel hinzufügen (27-33). Was sich an Herrschaftszeichen (Porträtsiegel) orientierte, knüpfte zugleich an Epitaphien des Nikolaus von der Kues in Bernkastel und S. Pietro in Vinculi an - Albrechts explizit erbetener Titularkirche. Doch erkennt Merkel in solcher Imitatio Einsicht und Anspruch zugleich: Neben dem intellektuellen Vermögen des Cusanus perspektivierte Albrechts "Humanistendenkmal" (59-65) wohl auch dessen katechetische Arbeit und strebte insgesamt nach demutsvoller Amtsfolge.
Der Bedeutungsgehalt des Epitaphs ist damit nicht erschöpft. Eine weitere Sinnschicht ergab sich durch die Kombination von Epitaph und Marienplatte im Chor der Hallenser Stiftskirche. Im aufrechten Stand beider Monumente hätte sich ein 'Ewiges Gebet' ergeben. Mit diesem Terminus erweist sich das zweite Kapitel unbeschadet seiner Kürze (75-95) von begriffsbildendem Anspruch: Denn die Bezeichnung als 'Ewiges Gebet' markiert hier die bildmagische Komponente dieser monumentalisierten Andachtssituation, deren strategische Anteile sich allerdings erst im folgenden Kapitel erschließen (125 f., 153): So strebte Albrechts Einsicht in eine schwindende Gedächtnisfolgschaft nach einer "selbsttätigen" Memorialanlage, die im denkbar schlimmsten Fall die ausbleibende Fürbitte im 'Ewigen Gebet' selbst übernommen hätte. Für den Regelzustand vertraute der Kardinal hingegen auf eine zumal durch seine Reliquiensammlung geschaffene 'do ut des'-Struktur, die den Beter gewissermaßen auf sein Gedächtnis hin genötigt hätte.
Nimmt sich dieser Befund für eine Zeit 'arithmetischer Heilssicherung' (T. Lentes) zwar stimmig aus, muss er sich doch im konkreten Motivhaushalt begründen. Sicher trifft zu, dass Abbildungen der Andacht den Gläubigen zu Gebetsleistungen reizten, wie die Blume die Bienen anzog. [1] Eben deswegen hoben Epitaphien diese Situation aber auch hervor. Das Grabdenkmal Uriels von Gemmingen, mit dem Merkel das 'Ewige Gebet' in die Memoria der Mainzer Erzbischöfe eingeführt sieht (88 f.), verdeutlicht dies. Im Gegensatz hierzu bleibt das Hallenser Beisammensein von Albrecht und Muttergottes aber eher ein Gegenüber zweier Solitäre. Zwischen ihnen eine szenische Leerstelle wahrzunehmen (und aufzufüllen), dies dürfte dem zeitgenössischen Betrachter nicht sofort eingefallen sein. Es sei denn, sie wurde ihm mündlich ausgewiesen - doch sollte ein Verstummen der Memoria ja eigentlich überbrückt werden.
Die Divergenz zwischen Form und (postuliertem) Anspruch fällt deswegen überhaupt auf, weil Merkel die individuelle Verbindlichkeit der Bildaussagen wirkungsgeschichtlich so betont. Dies prägt zumal den dritten Abschnitt zu dem mit Kerzenhaltern und vier Leuchterengeln versehenen Baldachin (97-157). Merkel erkennt in ihm typengeschichtlich eine dauerhafte 'capella ardente' als ewigem "Schauplatz der Absolution" (133). Wenn Albrecht sich mit dieser auf Heiligengräber spekulierenden Mausoleumsform vielleicht gar übergebührlich aufwertete, so bestimmten doch individuelle, hinsichtlich ihrer Sichtbarkeit geradezu private Einrichtungsgegenstände dieses 'Haus des Toten' (A. Angenendt). Sie kommen zur Sprache in zwei Abschnitten über die Wunden und das Herz Jesu (137-153), die der Unterseite des Baldachins eingraviert sind. Ihr Stellenwert "als Portal in das Paradies" (151) resultiere aus dem Funktionszusammenhang der Andachtspraxis, für den Merkel auf Albrechts persönliches Gebetbuch verweist, das in seiner Passionsbetrachtung einer Erbauungsschrift Johannes Oekolampads von 1520 folgte.
Wird so eine Spiritualität des Kardinals kenntlich, die sein Gnadenhoffen mit Luthers Turmerkenntnis verbindet (154-157), bilden die Kehrseite dieser Beziehung Demontage und Rücknahme der Grabanlage 1540. Mit dem neuen Aschaffenburger Standort war nun die Einrichtung einer Gnadenstätte um besonders bevorzugte Reliquien verbunden. Dem Baldachin wurde der gläserne Margarethensarkophag aufgesetzt, sodass ihn seine Herkunft aus dem Heiligengrab jetzt funktional stimmig einholte (159-170). Hinsichtlich der Provenienz der Renaissanceformen verweist Merkel im Übrigen auf Skizzenmaterial des früh verstorbenen Hermann Vischer (101-111), mithin bleibt die Nähe zu druckgrafischen Bettentwürfen Peter Flötners aber zumindest bemerkenswert. [2] Freilich sollte man dabei eher an den Stellenwert des Paradebettes im Totenkult denken als an Albrechts Bettgeschichten - obschon er diese in angstvoller Sündigkeit ikonografisch aufarbeitete (67, 195).
Die zugegeben launige Wendung weiß sich im Recht, insofern Merkels Schlusswort nochmals die Kunst als "Spiegel der Menschen" hervorhebt, "die sie erdacht oder geschaffen haben" (204). Rückwirkend begründet sich darin die immer wieder von der Hauptperson ausgehende Erzählhaltung der Arbeit, die dem Beobachteten nie vorschnell epochale Bedeutung zuweist. Kenntlich wird vielmehr ein bildanthropologischer Zugang, wie auch Warburgs Rede von der "Ausgleichspsychologie" hier schon aufgrund der bildmagischen Anteile greifen könnte. [3] Arbeitet Warburgs Denkfigur die als Lebensstil veranschlagte Amalgamierung von Gott- und Selbstvertrauen heraus, erweisen sich für Merkel 'Gegenreformation' und 'Gedächtnis' miteinander verknüpft. So gewinnt Albrechts berühmte Hieronymus-Stilisierung (181-183) hier eher reformpolitisches denn philologisches Profil.
"Jenseits-Sicherung", dies wird insgesamt kenntlich, ist in ihrer verinnerlichten Weise ein dem 'Habitus-Konzept' aufmachender Deutungsschlüssel (vgl. 97-100: "Ein Leben unter dem Baldachin"). Doch arbeitet der Blick 'in den Chor' und der "lange, innere Weg" (181), auf dem Albrecht bis zu einem (schließlich) 'entmaterialisierten Grabmal' (191) begleitet wird, ganz auf den Kirchendiener hin, als der der Kardinal gewissermaßen Gott und Seinesgleichen gegenübertrat. Albrecht wird darin zum tiefgläubigen, innerer Neuerung verpflichteten Kleriker aufgewertet und zugleich (Einfluss des komparativen Konfessionalisierungsansatzes?) gewissermaßen lutheranisiert. Man wird Merkels Studie keinen Vorwurf daraus machen wollen, dass sie stringent nach dem fragt, was ihr Titel fordert. Allerdings verlieren sich im Argumentationsverlauf bisweilen die herrschaftspolitischen Züge von Albrechts Gedächtnis, was in Sonderheit auf den Mainzer Marktbrunnen zurück kommen lässt: Ihn 'schenkte' der Erzbischof seiner Hauptstadt 1526 nach dem Entzug seines Gedächtnisses und überließ ihr nicht nur ein Siegesdenkmal, sondern auch ein 'Ersatzgrabmal'. [4] Dass es hier fehlt, ist perspektivisch nachvollziehbar, überrascht aber doch, insofern Merkels Untersuchung vor dem Marktbrunnen erklärtermaßen (7) ihren Anfang nahm.
Anmerkungen:
[1] Die schöne, an patristisch-mittelalterliche Bildsprache anknüpfende Metaphorik bei Thomas Noll: Zu Begriff, Gestalt und Funktion des Andachtsbildes im späten Mittelalter, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67 (2004), 297-328, hier 323.
[2] Barbara Dienst: Der Kosmos des Peter Flötner. Eine Bilderwelt der Renaissance in Deutschland, München / Berlin 2002, 560 f. mit Abb. 279.
[3] Aby Warburg: Francesco Sassettis letztwillige Verfügung (1907), erneut in: ders.: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance, Studienausgabe Berlin 1998, Bd. I, 127-158 und 353-365, hier 155.
[4] So Stefan Heinz / Barbara Rothbrust / Wolfgang Schmid: Die Grabdenkmäler der Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz, Trier 2004, 171 f.
Thomas Packeiser