Rezension über:

Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618) (= Historische Semantik; Bd. 6), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 560 S., 208 Abb., ISBN 978-3-525-36705-6, EUR 79,00
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Rezension von:
Heiko Laß
Marburg/L.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Heiko Laß: Rezension von: Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470-1618), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/7978.html


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Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten

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Bei der in bewährter Rechtschreibung publizierten Arbeit handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Habilschrift Müllers von 2001. Sie ist flüssig geschrieben und gut zu lesen. Müller untersucht das Residenzschloss des späten 15. und des 16. Jahrhunderts als funktionale, symbolische und künstlerische Bauaufgabe, womit er der Kunstgeschichte für diesen Zeitraum neue Felder erschließt. Der metaphorische Charakter des Schlosses war für das späte 17. und 18. Jahrhunderts bereits bekannt, und spätestens seit der Untersuchung von Joachim Zeune zu Burgen als Symbolen der Macht [1] war ebenso bekannt, dass auch die mittelalterliche Burgenarchitektur über rein funktionale Bedürfnisse hinausging. Bislang wurden Dynastie, fürstliches Regiment und Hoforganisation aber nicht als konstitutive Parameter für den Residenzschlossbau des späten 15. sowie des 16. Jahrhunderts betrachtet. Nun ist diese Lücke zwischen spätem Mittelalter und Früher Neuzeit kongenial geschlossen worden.

Müller versteht das Schloss als Medium, das in den Dienst fürstlicher Staatlichkeit gestellt wird. Aufgrund der Territorialisierung an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert sei eine Transformation landesherrlicher Schlossbauten erfolgt. Die Architektur wurde nach Müller zum Bedeutungsträger im Kontext fürstlicher Repräsentation. Die neuen Anforderungen an fürstliches Regieren hätten auch eine neue Architektursprache gefordert. Das Residenzschloss sei nun Mittelpunkt des Territoriums. Daher kann Müller es als Ort von Herrlichkeit, Gerechtigkeit und dynastischem Gedächtnis darstellen. Das Schloss wird als Sitz des weisen, wachsamen Fürsten interpretiert. Es ist in seiner Gesamtheit ein Mittel zur Visualisierung der Tugenden eines Territorialherrn.

Da Müller nicht nur baulich konstruktiv oder formal argumentiert, sondern auch historisch, kann er der Erscheinung des Schlossbaus viele neue Aspekte abgewinnen. Er leuchtet den historisch-funktionalen Hintergrund der Schlossbaukunst in der Gedächtniskultur aus und zieht dafür neben der historische Forschung auch Quellengattungen heran, die er für eine überzeugende Interpretation des fürstlichen Residenzschlosses fruchtbar macht: Hofordnungen, Fürstenspiegel, Rechtsurkunden, Inventare und Bildquellen. Es geht um die zeitgenössische Sicht. Das Ergebnis ist erstaunlich: Architekt und Auftraggeber hatten unterschiedliche ästhetische Ansprüche und Bedürfnisse (239). Der einheitliche Gesamteindruck des Schlosses war ebenso wenig erwünscht wie das zusammengesetzte Erscheinungsbild der Burg veraltet war. Im Zuge der wachsenden Bedeutung der Repräsentation spielten auch und gerade die Elemente des Schlossbaus, die von der Kunstgeschichte gern als rückständig bewertet werden, eine große Rolle. Das Spannungsverhältnis von alt und neu, die traditionelle Regellosigkeit und die neuartige Regularisierung ergänzten einander und standen nicht etwa im Widerspruch.

Altes wird teilweise aufwändig erhalten oder die formale Tradition im Neubau interpretiert, die Wahrung von Kontinuität steht immer im Vordergrund. Als Beispiel kann Müller die Vorhangfenster der Albrechtsburg in Meißen heranziehen. Hier wird das Bild einer altehrwürdigen Form vermittelt. Im Sakralbau wurden Maßwerkfenster auch noch gebaut, in der Profanarchitektur hatte sich aber schon lange das Kreuzstockfenster durchgesetzt. Die Vorhangfenster stehen also in keiner Tradition, sondern sind eine Neuinterpretation der Tradition (47).

Welch hoher Wert einem heterogenen, traditionsreichen Aussehen von Residenzschlössern beigemessen wurde, kann Müller am Beispiel der Mecklenburgischen Residenz in Güstrow nachweisen, wo nach Zerstörungen ein Neubau entstand, der nicht etwa die klare Regelmäßigkeit der italienischen, symmetrisch entworfenen Anlage, sondern die traditionsreiche Heterogenität der über Generationen hin gewachsenen Anlage vorführte (247 ff.).

In den Mittelpunkt seiner Betrachtung hat Müller den Schlossbau in Mitteldeutschland gestellt, wobei er für die wettinischen Anlagen des späten 15. Jahrhunderts und jene der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen Innovationscharakter und eine Vorbildfunktion für die Residenzbauten anderer Fürsten, Grafen und Herren im Reich nachweisen kann. Vor allem im protestantischen Norden fanden die wettinischen Schlossbauten bis weit in das 16. Jahrhundert hinein zahlreiche Nachfolger. Initialbau ist nach Müller die Albrechtsburg in Meißen, die moderne französische Formen mit traditionsreichen einheimischen Mustern zur neuen Fürstenresidenz der beginnenden Neuzeit kombiniert.

Bei seiner Interpretation des Schlosses legt Müller seinen Schwerpunkt auf jene Teile und Bereiche der Architektur, denen er in besonderer Weise eine zeichenhafte Symbolik zusprechen kann. Als Bedeutungsträger erkennt er Turmbauten mit allen ihren Derivaten wie Erkern und Zwerchhäusern, Schlosskapellen und das fürstlichen Haus bzw. den Saalbau sowie das Schlosstor. Dem Turm spricht Müller eine Schlüsselstellung zu. Nicht der militärische Nutzen, der kaum mehr vorhanden war, sondern die symbolhafte Zeichenhaftigkeit führte zum Erhalt und zur Integrierung alter Türme sowie zum Bau neuer Türme. Sie wurden zum Träger von Recht und Gerechtigkeit, in ihnen materialisieren sich alle Aspekte fürstlicher Herrschaft. Einen besonderen Stellenwert hätten dabei die Treppentürme eingenommen, in denen Altehrwürdigkeit und Modernität sinnfällig kombiniert worden sei. Doch ist die von Müller festgestellte Bedeutung des Turms nur für den Neuzeitforscher neu, denn bereits Zeune [2] konnte ihn für das Mittelalter als Symbol der Macht charakterisieren.

Müller verlangt dem Leser nicht nur eine neue Sichtweise ab, sondern auch ein gewisses Maß an Vorwissen. Die häufigen Frankreichbezüge etwa und der Umstand, dass viele Vergleichsbauten dort stehen, dürfte nur dem Leser einleuchten, der die Studie Uwe Albrechts zum Adelssitz im Mittelalter gelesen hat. [3] Die klare und wortgewaltige Sprache Müllers überdeckt leicht die schwächeren Argumentationsteile der Arbeit. Aus einer Wahrscheinlichkeit wird im Laufe der Argumentation etwa schnell ein Faktum (327, 336). Auch würde ich mir teilweise etwas mehr Nachweise wünschen, vor allem dann, wenn etwa, wie bei der Interpretation des Bildprogramms in Schmalkalden (288, 306), als Nachweis eine Gegenmeinung genannt wird, die der Autor nicht widerlegt. Problematisch erscheint auch das Bemühen Müllers, den Treppenturm in Dessau in Abhängigkeit von Torgau zu bringen, obwohl der Dessauer früher errichtet wurde. Für seine Argumentation benötigt Müller jedoch den Vorbildcharakter des wettinischen Baus (97).

Diese wirklich sehr geringen Mängel sind aber in keiner Weise in der Lage, den großen Ertrag der Arbeit Müllers auch nur im geringsten zu schmälern! Müller ist es gelungen, ein neues Gesamtverständnis des Residenzschlossbaus am Beginn der Frühen Neuzeit auf breiter Materialgrundlage zu vermitteln. Das Schloss war ein differenziert argumentierender Bedeutungsträger fürstlicher Selbstdarstellung und hatte daher eine ikonografische Aufgabe zu erfüllen und nicht nur ästhetische Ansprüche und Ideale. Es formte und reflektierte religiöse, politische und rechtliche Normen, machte sie sichtbar, verankerte sie im Alltag. Religiöses, dynastisches und rechtliches Denken der Zeit manifestiert sich in der Architektur.

Der mitteldeutsche Raum ist hier innovativ und vorbildprägend, Kursachsen der "Hegemon". Hier wird zuerst im Deutschen Reich eine Anpassung alter Formen und an neue Realitäten vorgenommen. Die Verwendung alter Formen erfolgte, da die Zeitgenossen ihnen einen hohen Wert beimaßen und ist nicht als rückständig anzusehen. Der zergliederte, zusammengesetzte Bau galt als angemessener Sitz eines Fürsten (118). Das ändert sich erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.


Anmerkungen:

[1] Joachim Zeune: Burgen. Symbole der Macht. Ein neues Bild der mittelalterlichen Burg. Regensburg 1996.

[2] Ebd.

[3] Uwe Albrecht: Der Adelssitz im Mittelalter. Studien zum Verhältnis von Architektur und Lebensform in Nord- und Westeuropa. München und Berlin 1995.

Heiko Laß