Manfred Groten (Hg.): Hermann Weinsberg (1518-1597). Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk (= Geschichte in Köln - Beihefte), Köln: SH-Verlag 2005, 301 S., ISBN 978-3-89498-152-5, EUR 19,80
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In der Frühneuzeitforschung gibt es wohl kaum jemanden, der nicht schon einmal 'etwas über Hermann Weinsberg gemacht hätte', kaum ein Thema, das sich nicht auch 'bei Hermann Weinsberg' fände, kaum ein Paradigma der Forschung, das sich nicht unter Rückgriff auf ihn be- oder widerlegen ließe. Dabei war der Kölner doch nur "ein unbedeutender Ratsherr", ein "mittelmäßiger Magister" und "nicht gerade erfolgreicher Advokat", ein "privatisierender, unauffälliger Rentier" und "liebenswürdiger, kauziger Sonderling", zudem ein "fast krankhaft geiziger Mitbürger" (alle Zitate: 15). Doch über fünf Jahrzehnte seines Lebens schrieb Weinsberg minutiös alles auf, was er in irgendeiner Hinsicht für überlieferungswürdig erachtete. Einen Aufstieg in die Spitzen der städtischen Gesellschaft - quasi das 'von' im Namen, das ihm die neuere Forschung wieder aberkannt hat - im Wortsinn herbeizuschreiben gelang ihm damit zwar letztlich nicht. Aber Tausende von eng beschriebenen Seiten bewahrten ihn und sein Haus doch wirkungsvoll vor dem gefürchteten Vergessen - zumindest gemessen an der Rezeption in der Forschung!
Die vielfältigen Schriften Weinsbergs waren bisher zu großen Teilen überhaupt nicht, zu anderen nur in verstümmelnden Auszügen ediert - Auszügen, die nichtsdestotrotz schon fünf Bände und zahlreiche Artikel und Miszellen füllen. Seit einigen Jahren nun wird am "Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn" an einer vollständigen digitalen Neuedition gearbeitet. [1] Der vorliegende Band beinhaltet eine Bestandsaufnahme der Weinsberg-Rezeption, die im Zusammenhang mit diesem Projekt entstanden ist.
Sie wird eröffnet durch einen Wiederabdruck von Wolfgang Herborns schon klassisch gewordenem Lebensbild Weinsbergs aus dem Jahr 1988. Fasste dieses die ältere Forschung zusammen, so bietet Tobias Wulf einen Überblick über neuere Tendenzen und Perspektiven. Ausgehend von der jüngeren Diskussion vor allem über die Intentionen und die gattungstypologischen Hintergründe der Schreibtätigkeit Weinsbergs lenkt er den Blick auf neue Möglichkeiten, etwa die serielle Auswertung mit prosopographischem oder kommunikationsgeschichtlichem Hintergrund. Wolfgang Herborn mit "Hermann Weinsberg als Student" und Robert Jütte mit "Krankheit und Gesundheit im Spiegel von Hermann Weinsbergs Aufzeichnungen" zeigen, dass die Handschriften des Kölners bei allen neuen Forschungsansätzen ihren von Wulf eher beklagten Stellenwert als kulturgeschichtliche "Fundgrube" (44) wohl behalten werden. Welche neuen Möglichkeiten eine digitale Edition bieten kann, führt hingegen der Linguist Robert Möller mit seinen Beobachtungen zum Umbruch von der ripuarischen zur hochdeutschen Schreibsprache vor, wie er sich in den Aufzeichnungen Weinsbergs abbildet.
Aus der großen Zahl noch unerschlossener Texte von der Hand Weinsbergs, wie sie Wulf präzise auflistet, stellt Joachim Oepen eine echte Trouvaille vor: Das Memorialbuch für die Pfarrkirche St. Jakob, bisher quasi unbekannt, zeigt den angeblich wahllosen Vielschreiber Weinsberg als konzeptionell und thematisch präzisen Chronisten seines Kirchspiels und zugleich als potenten Mitgestalter der Kirchenverwaltung. Mehr als ein Drittel des vorliegenden Bandes nimmt der Beitrag von Alexandra Vullo ein. Aus den Aufzeichnungen des "unbedeutende[n] Ratsherr[en]" (Herborn, 15) zieht sie mikroskopisch Indizien für die Verfassungswirklichkeit seiner Stadt. Nachhaltig wird mit dem hartnäckigen Fehlurteil aufgeräumt, Weinsberg sei in seinem Leben gescheitert - sei es an den Umständen, sei es an eigenen Defiziten oder seiner anspruchslosen Mentalität: Er erweist sich vielmehr als gesellschaftlicher und politischer Akteur von großem Realitätssinn und ausgeprägtem Reflexionsvermögen. Mit der Wahl zum Ratsrichter erreichte er einen Status, der im Rahmen der zeitgenössischen Möglichkeiten für ihn schlicht nicht zu übertreffen gewesen wäre. Von diesem Befund aus stellt sich nun die Frage etwa nach den Hintergründen der genealogisch-historischen Konstruktionen Weinsbergs ganz neu. Und umgekehrt: Gerade das Bedürfnis, diese Konstruktionen argumentativ abzusichern, brachte ihn immer wieder zu Reflexionen, deren analytische Prägnanz Forschungen des 19. und 20. Jahrhunderts vorwegnimmt, wie Walter Hoffmann anhand einer Aufzeichnung "Von veranderungen der zunamen" (275) von 1581 zeigt. Um die früheren Bewohner seines angeblichen Stammhauses in die Ahnenreihe seines angeblichen Geschlechts integrieren zu können, entwarf Weinsberg hier eine ganze Typologie von Namensgebungsverfahren.
Diese Beiträge, die den Quellenwert der Schriften Weinsbergs aus dem konkreten Kontext ihrer Entstehung heraus zu reflektieren helfen, sollten auch für jene unverzichtbar werden, die seine Texte weiterhin vor allem auf der Suche nach Fallbeispielen heranziehen. Dankbar werden sie und die ganze Forschung auch die von Tobias Wulf besorgte Bibliographie zur Kenntnis nehmen. Neun teils bisher unveröffentlichte eigenhändige Illustrationen werfen einmal mehr ein Schlaglicht auf den unschätzbaren Fundus, der von einer vollständigen Erschließung der Weinsbergschen Manuskripte zu erhoffen ist. So ist dieser Band vielleicht kein Meilenstein der Weinsberg-Forschung, wohl aber eine wichtige Momentaufnahme auf dem Weg.
Anmerkung:
[1] URL: http://www.weinsberg.uni-bonn.de
Gregor Rohmann