Rezension über:

Manfred Groten / Wilfried Reininghaus / Margret Wensky (Hgg.): Handbuch der historischen Stätten. Nordrhein-Westfalen, 3., völlig neu bearb. Auflage, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2006, XXIII + 1256 S., ISBN 978-3-520-27303-1, EUR 49,00
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Rezension von:
Michael Hirschfeld
Institut für Geschichte und historische Landesforschung, Hochschule Vechta
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Michael Hirschfeld: Rezension von: Manfred Groten / Wilfried Reininghaus / Margret Wensky (Hgg.): Handbuch der historischen Stätten. Nordrhein-Westfalen, 3., völlig neu bearb. Auflage, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/05/11888.html


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Manfred Groten / Wilfried Reininghaus / Margret Wensky (Hgg.): Handbuch der historischen Stätten

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Für alle Historiker und historisch Interessierten, die in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland unterwegs sind, gibt es eine gute Nachricht. In der qualitätvollen Reihe "Handbuch der historischen Stätten Deutschlands" liegt der Band Nordrhein-Westfalen in einer dritten, neu bearbeiteten Auflage vor, die sich sehen lassen kann. Waren zwischen der ersten und zweiten Auflage nur sieben Jahre vergangen, so mussten die Benutzer nunmehr 36 Jahre warten, um den aktuellen Stand der historischen Landesforschung präsentiert zu bekommen. Dass sich in diesen mehr als dreieinhalb Jahrzehnten an Rhein und Ruhr eine ganze Menge getan hat, zeigt nicht nur rein optisch der um ca. ein Drittel gestiegene Seitenumfang der alphabetisch sortierten Artikel des "Kröner".

Als auffälligstes Merkmal der Neuauflage erscheint auf den ersten Blick die Berücksichtigung der gravierenden Veränderungen durch die Kreis- und Kommunalreformen der 1970er Jahre. Besaß - um ein Beispiel herauszugreifen - Kaldenkirchen (Landkreis Kempen-Krefeld) in der vorherigen Auflage noch einen unter dem Buchstaben K zu findenden Artikel [1], so ist dieser jetzt als Unterpunkt unter dem Begriff der gegenwärtig zuständigen Kommune Nettetal (Kreis Viersen) (790-793) zu finden. Der ortsunkundige Leser findet ihn nur noch im ausführlichen Ortsregister. Dort hätte er sich allerdings sowohl einen Verweis auf Nettetal gewünscht als auch eine Information, welche der drei hier unter Kaldenkirchen aufgeführten Seitenzahlen ihn denn nun direkt zum Ortsartikel bringt. In diesem Fall verweisen nämlich zwei der drei Seitenzahlen auf nur sekundär interessante Nennungen des Ortsnamens in den Artikeln über Brüggen und Krefeld.

Wesentlicher für die Aktualität des Bandes ist jedoch, dass sämtliche Artikel von Grund auf neu verfasst wurden und dass dabei die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe als Herausgeber ihre Autoren darauf verpflichtet haben, folgende Aspekte grundsätzlich zu berücksichtigen: erste urkundliche Erwähnung, Siedlungsgeschichte, kirchliche und staatliche Zugehörigkeit, wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Industrialisierung und Strukturwandel, NS-Zeit, Vertriebenenintegration und Wiederaufbau sowie die kommunale Neugliederung der 1960er und 1970er Jahre (vgl. Vorwort, XVIII). Dass der Akzent nunmehr, von siedlungsarchäologischen Neuerkenntnissen einmal abgesehen, primär auf zeitgeschichtliche Phänomene gelegt wurde, verdeutlicht exemplarisch der Artikel über Wewelsburg (jetzt unter der zuständigen Kommune Büren, Kreis Paderborn, 198-203, zu finden). Musste man sich in der 2. Auflage von 1970 mit der etwas vagen Formulierung zufrieden geben, die Wewelsburg sei 1934 "an die NSDAP vermietet und von der Reichsführung der SS in Benutzung genommen [worden], die umfangreiche bauliche Änderungen vornahm"[2], so wird jetzt explizit die Initiative Himmlers und dessen Plan erwähnt, die Burg "zur zentralen Repräsentationsstätte der SS-Gruppenführer mit einem gigantischen Ensemble von Gebäuden" (203) auszubauen. Dass zu diesem Zweck vor Ort ein KZ eingerichtet worden war, dessen Gelände nach 1945 zur Unterbringung von "displaced persons" und schließlich mehrere Jahrzehnte noch als Vertriebenenlager diente, wird ebenso wie die Einrichtung eines Gedächtnisortes erstmals im "Handbuch der historischen Stätten" thematisiert.

Ebenso knapp wird in zahlreichen Städteartikeln auf den Strukturwandel von Industriestandorten zu Dienstleistungszentren hingewiesen sowie ggf. in kurzen Zügen die Geschichte jüdischer Gemeinden vor Ort geschildert. So interessant und wichtig es auch ist, in jedem Artikel über die Existenz einer Synagoge bzw. eines jüdischen Friedhofs informiert zu werden, so sinnvoll wäre es gewesen, ebenso konsequent die Historie der christlichen Gemeinden zu schildern wie es etwa im Artikel Kamp-Lintfort (536) mit der Auflistung aller Kirchen geschehen ist. Bei Halver (Märkischer Kreis) (418f.) beispielsweise wird zwar eine Pfarrkirche St. Nikolaus genannt, die Bedeutung der Reformation hingegen mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr muss man zu dem Band von 1970 greifen, um zu erfahren, dass besagte Kirche seit 1583 evangelisch ist. Über eine katholische Kirche in Halver, die seit 1930 besteht, erfährt man nichts, während beispielsweise im westfälischen Clarholz (Kreis Gütersloh) (465) die Errichtung einer evangelischen Kirche im Jahre 1952 eine Erwähnung wert gewesen ist.

Etwas übertrieben erscheint der in der Einführung gegebene Hinweis, dass die Neuauflage des Handbuchs "stärker ... als Wegweiser vor Ort konzipiert" (XVII) worden sei. Damit lässt sich sicherlich rechtfertigen, dass unter Verweis auf die landesgeschichtliche Literatur auf einen umfänglichen historischen Abriss der Territorialgeschichte, welcher 1970 immerhin rund 150 Seiten umfasste, verzichtet wurde. Ansonsten sind lediglich archäologische Stätten wie auch Baudenkmäler im laufenden Text durch Kursivdruck hervorgehoben. Einen Reiseführer im herkömmlichen Sinn kann der Band auf diese Weise dennoch nicht ersetzen, dafür treten sowohl die geographischen Beschreibungen als auch die bau- und kunsthistorischen Hinweise zu sehr in den Hintergrund. Auch die für jede vorgestellte Kommune angegebenen Einwohnerzahlen sind - mit dem Stand von 2000 - nicht mehr ganz aktuell.

Für die (Groß-)Städte mit historischer Bedeutung wie etwa Aachen, Bonn, Düsseldorf, Herford, Köln, Münster oder Xanten erlauben jedoch die beigefügten insgesamt 34 Stadtpläne einen anschaulichen Eindruck von der Topographie der Altstädte und der Lage ihrer Sakral- und Profanbauten. Im Vergleich zur 2. Auflage ist nicht nur die Verdoppelung der Anzahl von Stadtplänen, sondern auch deren grundlegende Neukonzeption positiv hervorzuheben. Die relativ blassen Zeichnungen von 1970 sind durch deutlich konturierte Innenstadtpläne ersetzt worden, in die erhaltene wie nicht erhaltene Baudenkmäler geschickt eingefügt wurden. Ergänzend sind thematische Karten zur Entwicklung der Stadtgebiete in den letzten zwei Jahrhunderten beigegeben; besonders für die von Eingemeindungen betroffenen Städte wie Bielefeld, Bonn, Essen, Gelsenkirchen, Hamm, Wuppertal usw. ist dies hilfreich. Bereits die Kartenauswahl und vor allem der Umfang der Artikel zu den größeren bzw. historisch bedeutsamen Städten - allein Xanten sind knapp acht Textseiten gewidmet (vgl. 1126-1134) - weist auf eine zentrale Problematik des Handbuchs hin, auf die Übergewichtung urbaner Zentren. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Münsters, von dessen zahlreichen Eingemeindungen der 1970er Jahre nur Angelmodde und Wolbeck einen eigenen Artikel erhalten haben (vgl. 771-785), nicht jedoch Hiltrup, Nienberge und Roxel, um nur einige Beispiele anzuführen.

Hinsichtlich ländlicher Gemeinden, also in der Fläche, weist der "Kröner" auch in seiner Neuauflage einige weiße Flecken auf, die auszufüllen einerseits ein Desiderat für die 4. Auflage darstellt. Andererseits wird es angesichts der zunehmenden Fülle zu berücksichtigender Daten dann kaum mehr möglich sein, die Informationen so sinnvoll zu komprimieren, dass der Rahmen eines einbändigen Handbuchs nicht gesprengt wird. Vor diesem Hintergrund ist eine Reduktion des Stoffes unabdingbar, wobei die Frage, welcher Ort und welches Baudenkmal verzichtbar sind, natürlich stets kontrovers diskutiert werden kann.

Summa summarum fallen bei einem Werk dieser Größenordnung die aufgeführten Monita allerdings wenig ins Gewicht. Vielmehr ist die Leistung der Redaktion sowie der vier Herausgeber Manfred Groten, Peter Johanek, Wilfried Reininghaus und Margret Wensky, allesamt vielfach ausgewiesene Fachleute auf dem Gebiet der historischen Landesforschung, ausdrücklich zu würdigen. Die insgesamt 1.400 Artikel von 251 Autorinnen und Autoren mit unterschiedlichen Prägungen und Vorlieben termingerecht einzufordern und zu redigieren, erfordert ein Höchstmaß an Disziplin, Geduld und Organisationsgeschick. Der mit einem knappen allgemein historischen Glossar, Literaturverzeichnis, Orts- und Personenregister sowie Territorial- und Regierungsbezirkskarten abschließende Band legt davon ein beredtes Zeugnis ab.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands: Nordrhein-Westfalen, Zweite, neubearbeitete Auflage, Stuttgart 1970, 372f.

[2] Vgl. ebd., 780.

Michael Hirschfeld