Rezension über:

Ina Ulrike Paul: Württemberg 1797-1816/19. Quellen und Studien zur Entstehung des modernen württembergischen Staates (= Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten; Bd. 7), München: Oldenbourg 2005, 2 Bde., XIV + 1424 S., ISBN 978-3-486-56827-1, EUR 148,00
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Rezension von:
Ute Planert
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Ute Planert: Rezension von: Ina Ulrike Paul: Württemberg 1797-1816/19. Quellen und Studien zur Entstehung des modernen württembergischen Staates, München: Oldenbourg 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/5264.html


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Ina Ulrike Paul: Württemberg 1797-1816/19

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Konnten sich Historiker noch vor einem Jahrzehnt trefflich darüber streiten, ob der preußische oder der rheinbündische Weg in die Moderne als zukunftsträchtigerer Pfad zu betrachten sei [1], ist es inzwischen still um die Debatten über die Reformpolitik der deutschen Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts geworden. Zu Unrecht, denn die Akten vieler Rheinbundstaaten werden vielfach erst seit Mitte der 1990er-Jahre herausgegeben und damit einem breiten wissenschaftlichen Publikum zugänglich gemacht. Nachdem die Quellenedition der Münchner Historischen Kommission bisher bayerische und mitteldeutsche Regierungsakten umfasste [2], hat Ina Ulrike Paul nun zwei gehaltvolle Bände vorgelegt, aus denen sich die Entstehung des modernen württembergischen Staates unter Kurfürst und König Friedrich erschließen lässt.

Pauls umfangreich kommentierte Edition versammelt eine kluge Auswahl der wichtigsten Dokumente aus allen Reformbereichen: Modernisierung und Vereinheitlichung des Justizwesens, Regierungs- und Verwaltungsreformen, Ausschaltung der intermediären Gewalten durch Entmachtung des Adels und Aufhebung der altwürttembergischen Gemeindeverfassung, Polizei-, Militär- und Zensurgesetzgebung, Kirchenpolitik und Armenpflege, die Rechtsstellung der jüdischen Bevölkerung, Veränderungen im Bildungswesen sowie Neuerungen in Wirtschaft, Handel und Gewerbe.

Quellen aus dem Umfeld des württembergischen Herrschers und der Regierungsbürokratie machen den Hauptteil der Quellensammlung aus, doch gewähren die Bände auch Einblick in adelige Protestationen, Beschwerdeschreiben der württembergischen Stände oder anonyme Flugschriften. Während Preußen und einige andere Staaten ihre Reformvorhaben in zusammenhängenden Edikten kodifizierten, mussten die württembergischen Neuerungen aus zahlreichen Einzelverfügungen und aus Friedrichs Briefen an seine Minister zusammengetragen werden. Wie sorgfältig die Berliner Historikerin die Edition besorgt hat, mag man daraus ermessen, dass jedem Dokument eine kurze Inhaltsangabe und Verweise auf vorhandene Druckorte vorangestellt sind. Zahlreiche Kommentare und Literaturhinweise erleichtern die Einordnung der Texte ungemein.

Das rund 1500 Seiten umfassende zweibändige Werk bietet jedoch weit mehr als eine Quellenedition auf hohem Niveau. Nach einem Überblick über die Grundzüge der württembergischen Geschichte um 1800 ist jedem Teilbereich ein Einführungskapitel vorgeschaltet, in dem die Autorin die Grundzüge der Entwicklung - beispielsweise zur inneren Staatsbildung, zur Justizreform oder zur Absicherung der Souveränität nach innen und außen - zusammenfassend erläutert und in den historischen Kontext einordnet. Dabei werden sowohl die Verhältnisse vor dem Regierungsantritt Friedrichs diskutiert als auch der Fortgang der Rechtslage nach 1816 einbezogen. Auf der Grundlage ihrer stupenden Quellenkenntnis kann Ina Ulrike Paul dabei ältere, immer wieder vorgetragene Urteile in den Bereich der Legende verweisen.

So gilt nach gängiger Meinung der württembergische König als autokratischer Spätabsolutist, der als Einziger unter den Rheinbundfürsten die notwendigen Gesetzesvorhaben im Alleingang ausgearbeitet und seine Minister zu bloßen Ausführungsorganen degradiert habe. Paul zeigt jedoch, dass der zeitgenössische Trend zu Bürokratisierung und Spezialisierung auch an Württemberg nicht vorbeiging und sich Friedrich weitaus stärker auf seine Minister - vor allem auf den Grafen von Normann-Ehrenfels - verließ als bisher bekannt. Auch kann nicht davon die Rede sein, dass Friedrich die von Napoleon gewünschte Einführung des Code civil aus antifranzösischen Motiven abgelehnt habe, wie es die nationalistisch imprägnierte Literatur früherer Zeiten kolportierte. Denn der französische Kaiser hatte ihm die Übernahme des Gesetzbuches erst gar nicht angetragen.

Auf diese Weise werden in den einführenden Kapiteln die württembergischen Reformprozesse an der Schwelle zur Moderne sinnvoll kommentiert und in den historischen Gesamtkontext eingeordnet. Das ist umso wichtiger, als die vorliegende, zumeist ältere Literatur zur Reformperiode häufig zeitspezifische Verzerrungen aufweist. Parallel zur Textedition entstand so ein unentbehrliches Handbuch zur württembergischen Politik- und Sozialgeschichte in den entscheidenden Transformationsjahren zwischen Ancien Régime und Wiener Kongress.


Anmerkungen:

[1] Vgl. zuletzt Hans-Peter Ullmann / Clemens Zimmermann (Hg.), Restaurationssystem und Reformpolitik. Süddeutschland und Preußen im Vergleich, München 1996.

[2] Bisher liegen Editionen zu Westfalen, Berg, Frankfurt, Nassau und Hessen-Darmstadt vor; zu Nassau s. die Rezension von Karl Murk, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 5 [15.05.2003], URL: http://www.sehepunkte.de/2003/05/1722.html; zu Hessen-Darmstadt s. die Rezension von Stephan Laux, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 1 [15.01.2004], URL:

http://www.sehepunkte.de/2004/01/1872.html.

Ute Planert