Franz-Joseph Brüggemeier / Jens Ivo Engels (Hgg.): Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes; Bd. 4), Frankfurt/M.: Campus 2005, 379 S., ISBN 978-3-593-37731-5, EUR 34,90
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Sammelbände haben in der deutschsprachigen Umweltgeschichte eine wichtige Rolle als Schrittmacher und vorläufige Bilanzen gespielt. So widmete sich der vor einem Jahrzehnt erschienene Band von Bayerl, Fuchsloch und Meyer [1] vor allem methodischen Fragen, ein Indiz für die ausgeprägte Selbstreflexivität dieser Sparte der Geschichtswissenschaft in Deutschland in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren. Wenn das hier zu besprechende Buch ein Indiz für die derzeitige umweltgeschichtliche Arbeit in Deutschland ist, dann ist die Umweltgeschichte pragmatischer geworden, orientiert sich in der Mehrheit stärker am cultural turn und nimmt Anregungen der Zeitgeschichte expliziter auf. Gleichzeitig ist eine gewisse Selbstbeschränkung auf westdeutsche Themen und Vorgehensweisen festzustellen.
Grundlage des Sammelbandes war eine Tagung an der Universität Freiburg im November 2002. Die Klammer für die recht unterschiedlichen 18 Beiträge ist nicht eine Methode, sondern eine Periode: die Nachkriegszeit, genauer gesagt die Zeit der alten Bundesrepublik. Zwölf Autoren befassen sich mit Westdeutschland, zwei mit der DDR, je einer mit England, Frankreich und der Schweiz und einer mit der Europäischen Gemeinschaft. Es fällt schwer, sie auf einen Nenner zu bringen, da die Themenbreite von den Altlasten des Nationalsozialismus über neue Protestformen in den Siebzigerjahren bis hin zur Rolle des Umweltgedankens in der französischen Soziologie reicht. In ihrer Einleitung versuchen die Herausgeber nicht, eine umfassende Klammer für die Beiträge zu finden. Vielmehr machen sie keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen "allzu grundsätzliche Ansichten" (11) und "Großtheorien" (13) und formulieren stattdessen eine pragmatische Arbeitsdefinition für Umweltgeschichte: "alle politischen, gesellschaftlichen und publizistischen Aktivitäten [...], die den Schutz von Natur, Landschaft und der menschlichen Lebensgrundlagen zum Ziel hatten." (ebd.) Letztlich gehen sie so weit, der Umweltgeschichte keine Methode, sondern lediglich einen Gegenstandsbereich zuzugestehen.
Dass es keinen Königsweg zur Umweltgeschichte gibt und gerade Methodenvielfalt diese Subdisziplin auszeichnet, hat die US-amerikanische Umweltgeschichte gezeigt. Insofern ist der Kritik der Herausgeber am überschäumenden Methodenenthusiasmus der frühen westdeutschen Umweltgeschichte zuzustimmen. Gleichzeitig ist zu fragen, warum die Arbeitsdefinition sich auf intentionale Aktivität beschränkt, da gerade nicht-intendierte Wandlungen im Verhältnis von Mensch und Umwelt oft spannende Fragen für die Umweltgeschichte hervorbringen - etwa in der Landwirtschaft. Aber dies sei nur am Rande bemerkt.
Im Folgenden möchte ich nicht alle 18 Beiträge referieren, sondern einige Themenkomplexe diskutieren. Für die zeitgeschichtliche Forschung ist zunächst die Frage nach Zäsuren und Wendepunkten relevant. Am hilfreichsten in dieser Hinsicht sind die Beiträge von Kai Hünemörder und Patrick Kupper. Hünemörder diskutiert ausführlich den Begriff der Epochenschwelle nach Hans Blumenberg und kommt nach einer Auswertung der zeitgenössischen Tagespresse zu dem differenzierten Schluss, dass die umweltpolitischen Neuerungen 1972 "zumindest in Teilen der Mittelschichten als Beginn eines Wandels des gesellschaftlichen Selbstverständnisses interpretiert werden können" (142). Dies sei aber kein endgültiges Ergebnis: Hünemörder warnt davor, vorschnell zeitliche Fixpunkte auszumachen. Prononciert stellt Patrick Kupper am Beispiel der Haltung des Schweizer Naturschutzes zur Atomenergie fest, dass sich zwischen 1964 und 1974 ein tief greifender inhaltlicher Wandel vollzogen habe. Nicht so sehr das Problem habe sich geändert, sondern die Problemwahrnehmung. Solche Ergebnisse lassen einzelne Beiträge des Bandes als anschlussfähig an den "mainstream" der Zeitgeschichte erscheinen.
Auffallend ist zweitens, dass ein Gutteil der Beiträge die gesellschaftliche Konstruktion und Konstituierung von Umwelt und Umweltproblemen mit explizit kulturhistorischem Impetus betreibt. Umweltgeschichte, die am Anfang ein Spießgeselle der Umweltbewegung zu sein schien, wird damit zu ihrem dekonstruierenden Beobachter. Damit folgt die Umweltgeschichte der Frauen- (und heute Geschlechter-)Geschichte, die sich überwiegend nicht mehr als Handlangerin der Frauenbewegung versteht. Jens Ivo Engels untersucht Verhaltensstile und Handlungsroutinen und zeigt aufschlussreich, wie sich die Umweltbewegung nach 1970 in einer Verwobenheit von Form und Funktion änderte: Der Umweltschutz sei in neuen Stilen kontextualisiert worden. Dies geht über bisherige Annahmen eines bloßen Wandels vom Naturschutz zum Umweltschutz hinaus. Zu fragen bleibt allerdings, warum Engels zwölf von 18 Seiten methodischen Überlegungen widmet. Die Rolle von Vertrauen in die Atomkraft und Angst davor in den Siebzigerjahren analysiert Albrecht Weisker. Er bestätigt Joachim Radkaus Annahme, dass Angst ein Hauptmovens der Atomkritik war und fächert ihre Formen und Wirkungen auf. Innovativ auch der Beitrag von Anna-Katharina Wöbse: Sie zeigt, wie eine Analyse von Bildern und Symbolen zu einer kulturellen Verortung von Naturschutz und Naturschützern beitragen kann. Weitere ikonografische Arbeiten könnten viel versprechend sein. Nur am Rande untersucht werden allerdings Natur-Bildbände, die als massenhaft verbreitete Medien zeitgenössische Natur-Bilder breiter Schichten mitformten. [2]
Drittens beziehen sich einige der Beiträge explizit oder implizit auf die Wissenschafts- und Technikgeschichte und science studies. Dies ist geboten, da die "Verwissenschaftlichung" der Nachkriegs-Umweltbewegung von einigen Autoren angesprochen wird. Am anregendsten in dieser Hinsicht ist der Beitrag von Andrea Westermann. Sie untersucht, ausgehend von einer Lokalstudie von Arbeitsplatzvergiftungen durch Vinylchlorid-Produktion bei Dynamit Nobel in Troisdorf bei Köln, wie die Grenzen zwischen Laien und Experten, Bürgern und Politikern, Betroffenen und Beobachtern im Laufe der Auseinandersetzung verschwammen und überwunden wurden. Andere Autoren, darunter Hünemörder, nehmen die gesellschaftlich verhandelte Grenzziehung zwischen "Laien" und "Experten" aber als gegeben hin. Es fällt außerdem auf, dass zur akademischen Ökologie im Lande Ernst Haeckels wenig zu erfahren ist.
Im Großen und Ganzen ist der Sammelband gelungen und führt die Bandbreite derzeitiger Forschungen zur Umweltgeschichte nach 1945 vor. Zu begrüßen ist, dass mit den Beiträgen von Karl Ditt zu England und Florence Rudolf zu Frankreich die enge westdeutsche Perspektive zumindest im Sammelband als ganzen überwunden wird. Die meisten anderen Autoren greifen solche internationalen Ansätze aber nicht oder nur in Ansätzen auf. Das ist bedauerlich, ebenso wie die Verinselung der beiden Beiträge zur DDR, die weder den Stand der historischen Forschung widerspiegeln noch in den anderen Kapiteln reflektiert werden. Dabei war doch die Systemkonkurrenz zwischen Bundesrepublik und DDR eine der Grundtatsachen der deutschen Nachkriegsgeschichte und wäre somit ein Ausgangspunkt für Fragestellungen auch zur Geschichte von Naturschutz und Umweltschutz.
Es verblüfft schließlich, dass die Partei der Grünen zwar immer wieder angesprochen, aber nicht Gegenstand eines eigenen Kapitels ist. Die alte Bundesrepublik hatte die stärkste grüne Partei im internationalen Vergleich, und der rasante Aufstieg der Grünen zur politischen Kraft in den Achtzigerjahren veränderte nicht nur die Parteienlandschaft. Eine systematische historische Einordnung dieses Phänomens wäre also wünschenswert. Ihr Fehlen im vorliegenden Band ist aber nicht den Herausgebern anzulasten, die lediglich die Bandbreite derzeitiger Forschungen zum Thema in Deutschland widerspiegeln wollten.
Aber solche Überlegungen bauen eher auf den Leistungen des Bandes auf, als dass sie eine fundamentale Kritik darstellen. Für die weitere Forschung zu diesem Zeitabschnitt wird er auf einige Zeit hin ein nützlicher Referenzpunkt sein. Wenn dieser Band der festeren Etablierung der Umweltgeschichte an deutschen Universitäten dient, dann hätte er sich schon gelohnt. Denn: Den Kinderschuhen ist die Umweltgeschichte in Deutschland zwar mittlerweile entwachsen, wie die Herausgeber zutreffend anmerken. Ihren Platz in der Erwachsenenwelt, sprich der Universitätslandschaft, sucht sie aber noch.
Anmerkungen:
[1] Günter Bayerl/Normann Fuchsloch/Torsten Meyer (Hg.): Umweltgeschichte - Methoden, Themen, Potentiale, Münster/New York 1996.
[2] Für eine anregende Untersuchung in dieser Hinsicht aus der US-amerikanischen Umweltgeschichte siehe Finis Dunaway: Natural Visions: The Power of Images in American Environmental Reform, Chicago 2005.
Thomas Zeller