Geschenktipps zu Weihnachten

Hans Günter Hockerts, München



Jonathan Wright: Gustav Stresemann 1878 - 1929. Weimars größter Staatsmann, München: DVA 2006.

"Versailles ist an Hitler schuld", hört man apologetisch raunen. Wenn man dieses Buch gelesen hat, weiß man: Nein, es gab auch ganz andere, entschieden verantwortungsvollere Möglichkeiten des Umgangs mit Versailles. Was wäre der Welt erspart geblieben, wenn sich nicht die Hitlerversion, sondern die Stresemannversion als Möglichkeit deutscher Geschichte durchgesetzt hätte! In jahrzehntelangem Quellenstudium erarbeitet, ist Jonathan Wrights große Stresemann-Biographie 2002 bei Oxford University Press erschienen. Jetzt liegt das elegant geschriebene Werk in einer sehr guten deutschen Übersetzung vor. Wright schildert den an Irrungen und Wirrungen reichen Weg, der den lern- und entwicklungsfähigen Sohn eines Berliner Bierhändlers zu staatsmännischer Größe aufsteigen ließ: Innenpolitisch ein Steuermann der Mitte, außenpolitisch die Verkörperung der Verständigungspolitik zählte Stresemann zu den größten Aktivposten der ersten deutschen Demokratie.


Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Band 3: Neuzeit. Teilband 1: Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen, Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler 2006.

Was Sie schon immer über Machiavelli oder Hobbes oder Rousseau wissen wollten, hier erfahren Sie es - und noch viel mehr. Ottmann stellt die politischen Philosophen der Frühen Neuzeit vor, erschließt das politische Denken der Reformation und würdigt obendrein Dichter wie Shakespeare, Cyrano de Bergerac oder Jonathan Swift. "Es wird mich nicht einer so leicht nachahmen, wie er mich tadeln wird", vermerkt der Autor, Hans Holbein zitierend, im Vorwort. In der Tat: So bald wird es kein anderer wagen, eine mehrbändige Geschichte des politischen Denkens von den Griechen bis zur Gegenwart zu verfassen. Aber tadeln? Im Gegenteil, dieses Werk verdient höchstes Lob, nicht nur wegen der staunenswerten Gelehrsamkeit, sondern auch wegen der leserfreundlichen Präsentation: Ottmann schreibt in einer klaren, federnden Sprache, er erläutert werknah und anschaulich, zugleich einsichtsvoll und beziehungsreich. Kurz: ein großer Wurf und eine Einladung zum Selberdenken.


Mihail Sebastian: "Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt". Tagebücher 1935-44. Herausgegeben von Edward Kanterian, Berlin: Claassen Verlag 2005, auch als Taschenbuch erhältlich: Berlin: List Taschenbuch 2006.

Bukarest war in der Zwischenkriegszeit eine blühende Kulturmetropole, das "Paris des Ostens". Aber mit dem Aufstieg der faschistischen Eisernen Garde und der deutsch-rumänischen Allianz ging ein rasanter Verfall demokratischer Strukturen und zivilisierter Sitten einher. Eugen Ionescu hat diese Wendung zum Ultranationalismus, Antisemitismus und Terrorismus in dem Theaterstück "Die Nashörner" (1959) beschrieben. Die Tagebücher des rumänisch-jüdischen Schriftstellers Mihail Sebastian spiegeln diesen Prozess aus qualvollem eigenem Erleben voll wacher Beobachtung und vielfältiger Reflexion. Seine Aufzeichnungen bilden ein "journal intime" und ein Arbeitstagebuch, zugleich ein Kriegstagebuch und eine Chronik des alltäglichen Schreckens, in der nationalsozialistische Verfolgung und rumänische Kollaboration zusammenwirkten. Am Ende steht die Erkenntnis, "wie einfach es doch ist, aus einem Menschen eine Bestie zu machen". Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt verteidigt Mihail Sebastian die Idee der Freiheit als Grundbedingung der Humanität. Man kann Philip Roth nur zustimmen: "Dieses Tagebuch verdient es, neben das von Anne Frank gestellt zu werden und genauso viele Leser zu finden".


Amin Maalouf: Samarkand. Roman. Aus dem Französischen von Widulind Clerc-Erle, Frankfurt/M: suhrkamp taschenbuch 2001.

Wir ersehnen beim Lesen geschichtswissenschaftlicher Werke, so seufzte der promovierte Historiker und Schriftsteller Sten Nadolny einmal, etwas sprachliche Anmut, Spannung vielleicht, hoffen sogar (sehr heimlich), dass sich auch im Gemüt beiläufig etwas bewegen möge, damit das Lesen nicht gar so schiere Arbeit werde. Meistens wird es das aber doch. Einen Ausgleich bieten historische Romane - wenn sie so meisterlich geschrieben sind wie die von Amin Maalouf. Die vielfach preisgekrönten Werke dieses 1949 im Libanon geborenen und seit 1976 in Frankreich lebenden Schriftstellers haben (fast) immer die Begegnungs- und Beziehungsgeschichte von Orient und Okzident zum Gegenstand. So auch "Samarkand". Der fesselnde Roman erzählt die Geschichte des 1131 verstorbenen islamischen Gelehrten Omar Khajjam und seines berühmten Manuskripts Rubaijat. Dann folgt ein Zeitsprung ins späte 19. und frühe 20. Jahrhundert. Nun geht es vor dem Hintergrund der politischen Wirren in Persien um die Suche nach dem Manuskript. Ein US-Amerikaner wird fündig und reist mit der Originalhandschrift von Europa in seine Heimat zurück - auf der Titanic. So verliert die Welt am Ende beides: das Juwel des Morgen- und den Stolz des Abendlandes.


Peggy Rathmann: Gute Nacht, Gorilla, Frankfurt/M: Moritz Verlag 2006.

Wie schwer es ist, Beruf und Familie zu vereinbaren, davon wissen viele junge Wissenschaftler/innen ein Lied zu singen. Die Vereinbarkeit zu erleichtern ist eine Großaufgabe von Politik und Gesellschaft, auch von Universitäts-Kinderkrippen. Gleichwohl ist auch findige Selbsthilfe angesagt, zum Beispiel dann, wenn die lieben Kleinen Zeter und Mordio schreien, weil sie nicht zu Bett gebracht werden wollen. Dieses Bilderbuch ändert die Lage schlagartig: Zwei- und Dreijährige finden die Geschichte so schön, die Bilder so wunderbar und den codierten Sinn so überzeugend, dass das Schlafengehen zur Verlockung wird. So lässt sich allabendlich eine ruhige Stunde am Schreibtisch oder im Lesesessel gewinnen...