Rüdiger Klessmann: Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578-1610, Wolfratshausen: Edition Minerva 2006, 302 S., ISBN 978-3-938832-06-6, EUR 29,90
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Es sind nicht immer die Jubiläen, sondern manchmal nur eine Häufung von Zufällen, also das unvorhersehbare Interesse mehrerer Forscher, das den Fokus auf manch einen von der Kunstgeschichte eher stiefmütterlich behandelten Künstler lenkt. So geschehen im Falle von Adam Elsheimer (1578-1610), dem sicherlich wichtigsten deutschen Maler des 17. Jahrhundert. Sein schmales erhaltenes, nicht einmal 40 Gemälde umfassende Œuvre ist nach dem Tode des wichtigsten Elsheimer-Kenners, Keith Andrews (1920-1989), nur selten Gegenstand innovativer kunsthistorischer Untersuchungen gewesen. [1] Nun jedoch wurden Elsheimer jüngst ein Symposium in der Bibliotheca Hertziana (2004) [2] sowie zwei Ausstellungen in München (2005) [3] und Frankfurt/ Edinburgh/London (2006) gewidmet. [4]
Für die nach 40 Jahren erste große Retrospektive des Frankfurter Städel, in dem sich die größten Bestände des Künstlers befinden, hat man mit dem bereits lange pensionierten Rüdiger Klessmann den zweifellos ausgewiesensten deutschen Elsheimer-Kenner gewonnen. In der begleitenden Publikation, die hier zu besprechen ist, wird Klessmanns Haupttext (11-41) und Katalog (43-191) ergänzt um Beiträge von Christian Tico Seifert, der Elsheimers künstlerischen Umkreis in Rom in den Blick nimmt (209-223, Katalog: 225-278), und Emilie E. S. Gordenkers materialreiche Untersuchung der britischen Sammlungsgeschichte Elsheimers (193-207).
Herausgekommen ist, um es vorwegzunehmen, ein wirklich solides Buch, das in keiner größeren kunsthistorischen Bibliothek fehlen sollte, inhaltlich aber leider keine wesentlichen neuen Akzente setzt. Eine Ausnahme stellt Gordenkers ebenso originelle wie nahe liegende Fragestellung dar, befindet sich doch die Hälfte von Elsheimers Bildern in Großbritannien, während sich etwa in Italien, dem Hauptwirkungskreis des Künstlers, mit Ausnahme des nicht ganz gesicherten Selbstporträts der Uffizien (178), kein Original mehr von Elsheimer finden lässt. Seiferts umfangreiche Untersuchung führt in klassischer Manier zu zahlreichen neuen Detailkenntnissen im Hinblick auf jene nordische Künstlerkreise, die um 1600 in Rom residierten und mit Elsheimer in Kontakt standen. Bei seinen fleißigen Recherchen zu Paul Bril, David Teniers d.Ä. bis hin zu Hendrick Goudt und Johann König entsteht dabei allerdings kein wesentlich neues Bild der Zeit oder der Kunst Elsheimers [5], was schlicht mit der geringen Anzahl überlieferter Dokumente zusammenhängt, auf die sich Seifert stützen kann: Ein ernüchterndes Ergebnis einer prinzipiell fraglos sinnvollen Kontext-Forschung.
Interessant gewesen wäre natürlich auch die Frage nach Elsheimers Position im Kontext der italienischen Kunst selbst, den Seifert in Anknüpfung an ältere Forschungen, allein mit Carlo Saraceni in den Blick nimmt (209, 216). In der Tat geben die Quellen dafür nichts her, doch hält man sich Elsheimers Teilnahme am intellektuellen Diskurs seiner Zeit vor Augen, die Andreas Thielemann unlängst mehr als plausibel machen konnte, dann kann man sich kaum vorstellen, dass er die Kunst Caravaggios, Domenichinos oder Carraccis, um nur einige römische Kollegen zu nennen, nicht einmal rezipiert haben sollte. Selbst wenn es nur darum ginge, Unterschiede aufzuzeigen, wäre es durchaus sinnvoll, die in der Elsheimer-Forschung früh einsetzende einseitige Fokussierung auf Verbindungen zur nordalpinen Kunst langsam einmal zu lockern.
Eine vergebene Chance ist in dieser Hinsicht auch Klessmanns einführender Beitrag. Am Leitfaden einer klassischen, biografisch aufgebauten Erzählung schreibt er die vielfach dem 19. Jahrhundert entstandenen Mythen über Elsheimer fort. Selbst wenn diese ebenso wenig beweis- wie widerlegbar scheinen, lassen sich die meisten Thesen zum Leben und zur Genese des Werkes von Elsheimer allein durch eine stilkritisch argumentierende Annahme von "Einflüssen" aufrecht erhalten, was methodisch allerdings nicht reflektiert wird. Lässt man sich auf diesen Ansatz ein, dann sind Klessmanns, nach Andrews erfolgte Neuzuschreibungen zum Werk Elsheimers interessant und in jedem Fall diskutabel. Kaum eines dieser Bilder ist allerdings eine wirkliche Neuentdeckung (vgl. z.B. Kat. Nr. 12). Einzig die bislang in der Literatur immer wieder angezweifelte Zuschreibung der "Anbetung der Könige" überrascht, die Klessmann offenbar deswegen wieder aufgreift, um so die zuletzt angezweifelte Beziehung zu Johann Rottenhammer dennoch plausibel zu machen. Doch werden, wie Klessmann selbst eingesteht und zuletzt von Repp-Eckert nachdrücklich betont wurde [6], auch hier die Grenzen der ausschließlich stilkritisch argumentierenden Kunstgeschichte deutlich.
Wer keine anderen Fragen stellen möchte, wird mit dieser Publikation, welche die Forschungen der letzten beiden Jahrzehnte zusammenfasst und um diverse Details bereichert, zufrieden sein. Doch wer die Kunstgeschichte nicht auf Stilkritik beschränken möchte und Aspekte wie Erzählstrukturen, Bild-Funktionen, Vergleiche mit italienischen Zeitgenossen (unabhängig davon, ob der Künstler sie wirklich persönlich gekannt hat oder nicht) oder auch nur die historische Rezeptionsforschung (etwa die Mythologisierung des Künstlers im 19. Jahrhundert) für nicht minder relevant hält, wird auch im Anschluss an dieses Buch noch genügend Themen bei der Beschäftigung mit Adam Elsheimer finden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Keith Andrews: Adam Elsheimer. Werkverzeichnis der Gemälde, Zeichnungen und Radierungen, München 1985 (geringfügig überarbeitete Fassung der englischen Ausgabe Oxford 1977).
[2] Vgl. Anke Repp-Eckert: Adam Elsheimer und sein römischer Kreis, in: Kunstchronik, 57, 2004, 599-606.
[3] Vgl. Von neuen Sternen. Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten, hrsg. v. Reinhold Baumstark, Ausst.Kat. München/Köln 2005. Vgl. die Ausstellungsbesprechung von Willibald Sauerländer in Kunstchronik, 59, 2006, 50-54.
[4] Vgl. die Ausstellungsbesprechung von Anke Repp-Eckert in: Kunstchronik 60, 2007, 115-121 sowie von Luuk Pijl, in: The Burlington Magazine, 148, 2006, 567-569.
[5] Vgl. The Genius of Rome, 1592-1623, Ausst.Kat. London/Rom 2001.
[6] Vgl. Repp-Eckert 2007 (wie Anm. 4), 119.
Stefan Gronert