Hans-Werner Goetz (Hg.): Konrad I. Auf dem Weg zum "Deutschen Reich"? Unter Mitarbeit von Simon Elling, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2006, 478 S., 11 Abb., ISBN 978-3-89911-065-4, EUR 49,90
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Der ostfränkische König Konrad I. (911-918) gilt traditionell als gescheiterter Herrscher. Weder habe er den Verlust Lothringens verhindern noch der Ungarngefahr wirksam entgegentreten können, die aufstrebenden Regionalfürsten habe er weder dauerhaft niederzuringen noch als Partner in seine Herrschaft einzubinden vermocht, und schließlich sei es ihm nicht einmal gelungen, eine neue Königsdynastie zu begründen. Als einzige zukunftsträchtige Tat seiner Regierung gilt folglich die Designation des Sachsen Heinrich als Nachfolger, der dann sämtliche angesprochenen Probleme zur allgemeinen Zufriedenheit bewältigte.
Es war höchste Zeit für die Geschichtswissenschaft, dieses überkommene Bild einmal kritisch zu überprüfen. Bemerkenswert ist, dass der Anstoß dazu nicht aus dem Fach selbst, sondern von außen kam, nämlich von einer in Fulda begründeten "bürgerschaftlichen Initiative", die es sich seit 2001 zur Aufgabe gemacht hat, die Person Konrads wieder stärker im allgemeinen historischen Bewusstsein zu verankern. In Fulda, wo Konrad begraben liegt, wurde deshalb im September 2005 eine hochkarätig besetzte wissenschaftliche Tagung veranstaltet, deren 24 Vorträge nun in einem sehr sorgfältig redigierten und durch ein Register erschlossenen Band versammelt vorliegen. Die Themen reichen dabei von Konrads familiärem Hintergrund über die politischen Verhältnisse in den verschiedenen Teilen des Ostfränkischen Reichs während seiner Regierung und Konrads Rolle bei der Entstehung des Deutschen Reichs bis hin zu seiner Beurteilung in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichtsschreibung. Besonderes Augenmerk gilt außerdem Fulda als einem bedeutenden Reichskloster des 10. Jahrhunderts und als Begräbnisstätte des Königs.
Als allgemeine Tendenz schält sich aus den Beiträgen heraus, dass das negative Image Konrads dringend der Revision bedarf, ist es doch hauptsächlich eine Folge des Umstandes, dass die ab 919 regierende Ottonendynastie mit der äußeren und inneren Befriedung des Reichs, mit dem Beginn der deutschen Ostexpansion, mit der Eroberung Italiens und schließlich mit der Erlangung der römischen Kaiserkrone eine ungleich bessere Erfolgsbilanz vorzuweisen hat - alles Leistungen, die vor allem die national-konservative Geschichtsforschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beeindruckt haben. Legt man diese Brille einmal ab, dann präsentiert sich Konrads Herrschaft zwar immer noch nicht als glänzende Erfolgsstory. Doch wird sie in etwas günstigeres Licht getaucht, wenn man sie vor dem Hintergrund der damaligen Voraussetzungen und Möglichkeiten betrachtet. Der König erscheint dann nicht mehr als politischer Versager, sondern als ein Herrscher, der sich redlich bemüht hat, den Herausforderungen seiner Zeit zu begegnen, was ihm in Grenzen durchaus gelang. Grund dafür, dass ihm durchschlagender Erfolg letztlich versagt blieb, scheint weniger eine verfehlte Politik als vielmehr eine langwierige Krankheit gewesen zu sein, die ihn in seinen letzten beiden Lebensjahren weitgehend handlungsunfähig machte und ihn vorzeitig dahinraffte. Was Konrad bei längerer Regierung und guter Gesundheit noch hätte leisten können, bleibt der Spekulation überlassen.
Die titelgebende Entstehung des Deutschen Reichs wird man heutzutage nicht einfach mehr mit den Dynastiewechseln von 911 oder 918/19 veranschlagen, sondern eher als lang gestreckten Prozess verstehen, der im 9. Jahrhundert beginnt und erst im 11. Jahrhundert einigermaßen abgeschlossen ist. Konrads Herrschaftsantritt und Tod verlieren damit zwar ihren Charakter als epochemachende Ereignisse, wichtige Weichenstellungen werden in einigen Beiträgen jedoch seinem Wirken zugesprochen, darunter vor allem der Ausgleich mit den sächsischen Ottonen, die sich dadurch für die Nachfolge auf dem Thron empfahlen. Man hat deshalb Konrad vielleicht weniger als den letzten Repräsentanten des karolingischen "Systems", sondern vielmehr als Wegbereiter des neuen ottonischen Herrschaftsstils einzustufen.
Die Beiträge zu Konrads Nachleben schließlich zeigen, wie rasch dieser König aus dem allgemeinen Geschichtsbewusstsein verdrängt wurde, und wie die Wertungen der pro-ottonischen Historiographie des 10. Jahrhunderts bis in die jüngste Zeit stets unkritisch weitergeschleppt wurden. Allerdings ist auf diesem Feld das letzte Wort noch nicht gesprochen, haben sich doch einige der Autoren teilweise zu einer recht merkwürdigen Quellenauswahl entschlossen; das von ihnen präsentierte Bild dürfte deshalb nicht immer repräsentativ sein.
Das ist aber eine der wenigen kritischen Bemerkungen, die man zu diesem sehr gelungenen Band machen kann. Insgesamt zeigt er, wie fruchtbar die Hinterfragung traditioneller Klischees für die Geschichtswissenschaft immer wieder sein kann. Da die Perspektive der Tagung von vornherein nicht auf die Person Konrads verengt war, kann man hier außerdem wesentlich mehr Neues über diese kurze, aber wichtige Periode in der Entwicklung vom Frankenreich zum Deutschen Reich erfahren, als es der bloße Titel vermuten lässt. Der Band zählt damit zu den wichtigsten neueren Publikationen zur Geschichte des 10. Jahrhunderts.
Roman Deutinger