Regine Prange: Das ikonoklastische Bild. Piet Mondrian und die Selbstkritik der Malerei, München: Wilhelm Fink 2006, 428 S., ISBN 978-3-7705-3994-9, EUR 54,00
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In ihrer Monografie über Mondrian legt Regine Prange nicht nur eine Neudeutung von dessen Œuvre, sondern auch einen Beitrag zur aktuellen bildwissenschaftlichen Diskussion und zugleich eine kritische Studie über die Geschichte der Kunstgeschichte vor. Entsprechend seinem weitgespannten inhaltlichen Rahmen besteht das Buch, eine überarbeitete Habilitationsschrift, aus zwei, faktisch drei Hauptteilen: Der erste, künstlermonografische Teil befasst sich mit Mondrian, der zweite, kunsttheoretische Teil besteht aus zwei großen Kapiteln über Adorno und die Methodengeschichte der Kunstgeschichte, beide jeweils unter dem Gesichtspunkt ihrer Deutungsansätze zur gegenstandslosen Kunst. Das Leitthema, das diese drei Komplexe zusammenbindet, ist der von Prange am Werk Mondrians konstatierte Zug zu einem bildimmanenten Ikonoklasmus.
Die Kernthese schließt an Yves-Alain Bois an, der zuerst vom "Ikonoklasmus" in Mondrians Malerei gesprochen hat [1], um sich jedoch sogleich von dessen Argumentation abzusetzen: Während Bois vor allem im Spätwerk des Künstlers eine Tendenz zur Auflösung der bildlichen Repräsentation und damit des subjektzentrierten Illusionismus konstatiert, verortet Prange dessen Höhepunkt in dem als "klassisch" geltenden Werk der 1920er-Jahre. Zu dieser Auffassung gelangt sie durch minuziöse Werkanalysen, die die Außerkraftsetzung der Hierarchie von Komposition und Fläche, Linie und Farbe sowie die Aufhebung jeglichen Anthropomorphismus konstatieren. Aufgrund dessen sei das "ikonoklastische Bild" zu charakterisieren als "klar strukturierte Einheit", die jedoch dem Gestaltsehen widerspricht, sich der Beschreibbarkeit ent- und folglich eine "idiosynkratische Wendung gegen sich selbst" vollzieht (87). Im Gegensatz zum klassisch-modernen Bild (etwa bei Kandinsky), dessen ideell-religiös geleiteter Antiillusionismus im Grunde die neuzeitliche Aufwertung des Bildes forttrage, leiste das "ikonoklastische Bild" bei Mondrian eine "immanente Bildkritik" (87). Um 1932 nehme diese subversive, antiillusionistische Tendenz bereits wieder ab und kehre das Prinzip der Repräsentation zurück.
In einem zweiten Argumentationsschritt nimmt Prange die kunsttheoretischen Schriften des Künstlers ins Visier, und hier wird es spannend, denn diese stehen in diametralem Widerspruch zur "Ikonoklasmus"-Argumentation. Sie konstatiert daher, dass Mondrian in seinen Schriften die in seiner Malerei geleistete Repräsentationskritik unterläuft und revidiert, ja sogar einen expliziten Repräsentationsanspruch erhebt. Denn bekanntlich betont er (darin Kandinsky nicht unähnlich) den geistigen Gehalt von Linie und Farbe und beschwört eine "universelle Schönheit", die auszudrücken das Ziel seiner Kunst sei. Seine Idee des Universalen als Versöhnung der Gegensätze steht zweifellos in der Tradition der idealistischen Ästhetik. Wie Bois bemerkt Prange, dass Mondrian den von ihm zitierten Hegel nicht verstanden hat, und zieht alternativ eine direkte Verbindungslinie zu Schelling. Dessen romantischer Kunstphilosophie sei Mondrian "unbewusst verpflichtet" (167). Der Widerspruch zwischen Werk und Schrift bei Mondrian vermag Prange also nicht zu verunsichern, vielmehr deutet sie seine Kunstlehre als "Kompensation für die ikonoklastische Destruktion" in seinem malerischen Werk (131f.). Die Künstlertheorie erscheint gegenüber dem Werk als defizitär, denn Mondrian vermochte "seine Abkehr von einer symbolischen Darstellungsweise als Theoretiker nicht ein(zu)lösen" (168).
Diese pointierte Deutung stellt nicht nur einen Bruch mit der bisherigen Mondrianforschung dar, sie birgt auch Sprengstoff für die Methodendebatte der Kunstgeschichte. Denn Prange hat, ohne selbst diesen Bezug herzustellen, mit Panofskys von der kunstgeschichtlichen Moderneforschung meist sträflich ignoriertem Diktum Ernst gemacht, wonach Künstlertheorien "ein der Deutung fähiges und bedürftiges Parallelphänomen" zu den Kunstwerken sind, "Objekte, nicht Mittel der sinngeschichtlichen Interpretation". [2] Selten ist dieses heuristische Prinzip so kompromisslos zur Anwendung gebracht worden wie hier: Prange verzichtet nicht nur darauf, die Werkdeutung aus der Künstlertheorie abzuleiten, sondern auch darauf, den Widerspruch zwischen Werk und Theorie harmonisch aufzulösen. Damit hebt sie sich wohltuend ab von der verbreiteten Praxis, dem Künstlerkommentar höchste Autorität in Deutungsfragen zuzuschreiben - nähert sie sich aber dem ebenso problematischen Gegenpol, Behauptungen über vermeintlich "unbewusste" Intentionen des Künstlers aufzustellen.
Die Frage nach der Tragfähigkeit von Pranges methodischem Vorgehen stellt sich umso nachdrücklicher, als sie sich ihrerseits eingehend mit Methodenfragen auseinandersetzt. Den ikonologisch orientierten Versuchen einer ideengeschichtlichen Ableitung von Mondrians Kunst [3] wirft sie zu Recht vor, entweder die Selbstdeutungen des Künstlers unkritisch nachzuvollziehen oder eine Vielzahl von "Einflüssen" aufzulisten, ohne deren Verhältnis zueinander zu klären (179ff.). Allerdings kann Prange die beiden grundlegenden Fragen - 1. Wie kommt es zu den beobachteten Divergenzen zwischen Werk und Theorie? und 2. Wie kommt es zu den Konvergenzen zwischen Mondrians Theorie und Schellings Philosophie, wenn er diese gar nicht kannte? - letztlich ebenso wenig beantworten wie ihre ikonologisch argumentierenden Vorläufer. Auch sie ist bei ihren ideengeschichtlichen Herleitungen gezwungen, den konkreten Nachweis etwa einer Schelling-Lektüre durch das Aufzeigen inhaltlicher Analogien zu ersetzen. So bleibt sie der Ikonologie viel mehr verpflichtet als sie zugibt.
Im zweiten Teil des Buches geht es über Mondrian hinaus um "Die Moderne als Bildersturm". Hier befasst sich Prange vor allem mit Adornos Konzept des negativen Kunstwerks, das sie auf Mondrian bezieht. Adornos Theorie sei Mondrians "ikonoklastischem Bild" weit mehr adäquat als dessen bisherige kunsthistorische Deutung. Denn die moderne Kunstgeschichte habe sich aufgrund ihrer Verwurzelung in der idealistischen Denktradition die Selbstdeutungen von Avantgardekünstlern wie Kandinsky unkritisch zueigen gemacht. Unter dem Vorzeichen eines repräsentationsaffirmativen "ideellen Ikonoklasmus" habe sich so die "geistige" abstrakte Kunst in der Nachkriegszeit etablieren können, wohingegen der repräsentationskritische "reine" Ikonoklasmus unter den Tisch gekehrt worden sei. Dieser Abschnitt liefert nicht nur eine anregende Darstellung der Fachgeschichte unter dem Gesichtspunkt ihres Umgangs mit der modernen Kunst, sondern auch eine instruktive Erörterung der Entwicklung von Adornos Kunstbegriff. Allerdings stellt sich die Frage nach der hermeneutischen Relevanz dieser Feststellung einer Kongruenz von Adornos Ästhetischer Theorie der 50er Jahre und Mondrians Malerei der 20er Jahre, die vermutlich keiner der beiden Protagonisten so akzeptiert hätte. Prange, die sich durchweg an der Grenze von Kunstgeschichte und Kunstphilosophie bewegt, verlässt an dieser Stelle das eigentliche Feld kunsthistorischer Hermeneutik und geht zur kunstphilosophischen Reflexion über.
Pranges Mondrianbuch ist also weit mehr als eine Künstlermonografie. Es argumentiert vielschichtig, enthält eine Fülle an über das Thema hinausführenden Aspekten und ist reich an originellen Thesen, dabei in allen Punkten gleichermaßen anregend wie angreifbar. Wie stets schreibt Prange durchweg auf hohem theoretischen Niveau, komplex und sehr verdichtet. Dabei ist der Verdichtungsgrad ihrer Argumentation mitunter so hoch, dass sie eher apodiktisch als argumentativ erscheint. Wie ein roter Faden durchzieht das Buch eine hegelianische Perspektive auf die Kunstgeschichte; gleichzeitig hat Prange die poststrukturalistische Subjektkritik ihrem Hegelianismus amalgamiert. Dies hat einen Hang zur Normativität zur Folge, der etwa in der Bemerkung zutage tritt, in Mondrians Theorie sei der "konservative Einspruch des Künstlers gegen die eigene aufklärerische Arbeit am Bild" (382) tätig gewesen. Dem ganzen Buch liegt die Prämisse zugrunde, dass der "reine" Ikonoklasmus positiv-aufklärerisch sei, der "ideelle" Ikonoklasmus hingegen negativ-konservativ - hier ist eine teleologische Argumentationsstruktur installiert, die in der poststrukturalistischen Repräsentationskritik ihren Zielpunkt hat.
Problematisch erscheint auch, dass Prange die Begriffe "Bild", "Kunst" und "Repräsentation" durchweg synonym verwendet. Die darin implizierte Gleichsetzung ist nicht nur grundsätzlich nicht haltbar, sondern auch bezogen auf die konkreten Untersuchungsgegenstände begrenzt tragfähig. Nur um den Preis der etwas gewaltsamen und ungenauen Reduktion von "Kunst" und "Bild" auf den Aspekt der Repräsentation gelingt es der Autorin, die drei Hauptteile ihres Buches so eng aufeinander zu beziehen und in den Dienst ihrer Metathese zu stellen. Jeder der drei Hauptteile für sich genommen ist hingegen höchst lesenswert und im besten Sinne des Wortes aufklärend. Vor allem hat Prange mit dem Perspektivwechsel von den "geistigen" Inhalten gegenstandsloser Malerei zu der in deren Gestaltung verorteten "Selbstkritik" des künstlerischen Bildes der Forschung über moderne Kunst einen Weg gewiesen jenseits des unhaltbaren Dualismus von "Form" und "Inhalt": Auch die bildimmanente Überwindung der Bildlichkeit ist ein Gehalt, den es zu analysieren gilt. Damit hat Prange, ohne dies zu beabsichtigen, einen wichtigen Beitrag für die Ikonologie der Moderne geleistet.
Anmerkungen:
[1] Yves-Alain Bois: Der Bilderstürmer, in: Kat. Piet Mondrian 1872-1944, Haags Gemeentemuseum u.a.,1995/96, Bern 1995, 313-380.
[2] Erwin Panofsky: Der Begriff des Kunstwollens, in: ders.: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, 29-43, 32.
[3] Siehe v. a. Jaffé, Hofmann, Wismer und Deicher.
Verena Krieger