Craig Cooper (ed.): Epigraphy and the Greek Historian (= Phoenix. Supplementary; Vol. XLVII), Toronto: University of Toronto Press 2008, xvii + 197 S., ISBN 978-0-8020-9069-0, USD 75,00
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Christiane Sourvinou-Inwood: Athenian Myths and Festivals. Aglauros, Erechtheus, Plynteria, Panathenaia, Dionysia, Oxford: Oxford University Press 2011
Robin Osborne (ed.): Studies in Ancient Greek and Roman Society, Cambridge: Cambridge University Press 2004
Nancy Evans: Civic Rites. Democracy and Religion in Ancient Athens, Oakland: University of California Press 2010
Die Festschrift ist Phillip Harding gewidmet, dessen Verdienste um die griechische Epigraphik in Kanada der Herausgeber in der Einleitung würdigt und durch die vorangestellte Bibliographie seiner Arbeiten unterstreicht. Anhand von Beispielen soll gezeigt werden, wie und auf welchen unterschiedlichen Wegen epigraphische Quellen für die griechische Geschichte nutzbar gemacht werden können. Aufgrund des exemplarischen Zugriffs ist keine generalisierende Debatte über das Verhältnis von literarischen und epigraphischen Quellen angestrebt und eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit methodischen Fragen ihrer gegenseitigen und angemessenen Befruchtung unterbleibt.
Wenn auch unterschiedlich scharf zeigen die Beiträge insgesamt allerdings gut, dass die beiden Quellengattungen nicht immer nahtlos ineinander greifen und keinesfalls jede Inschrift ihren Angelpunkt in der literarischen Überlieferung findet. Illustriert wird ferner die freilich unumstrittene hohe Aussagekraft von Inschriften für die Geschichte von Poleis, welche nicht so sehr im Fokus literarischer Nachrichten standen wie besonders Athen, das aufgrund des hier im 5. Jahrhundert entfalteten 'epigraphic habit' zudem auch noch inschriftlich 'überrepräsentiert' ist.
Klarer hätte aber herausgearbeitet werden können, dass die Inschriften eigengesetzliche Mittel der Information, Kommunikation, Bewahrung von Erinnerung usw. sind. Zudem ist auch ihre Nutzung speziell für die politische Geschichte stärker ins Zentrum gerückt (mit Ausnahme von Robertson's Aufsatz; s.u.), als dies nach den einleitenden Worten zu erwarten war.
Fünf Beiträge befassen sich mit Schnittstellen epigraphischer und literarischer Texte in der Geschichte Athens von der Archaik bis ins 4. Jahrhundert v.Chr. Der zweite, kürzere Teil betrachtet dem Titel nach Athen aus Sicht der "Wider Greek World" in Aufsätzen, die ungleich stark epigraphisch verankert sind.
Zunächst wendet sich David Mirhady dem Gesetz Drakons zu (IG I3 104). Danach prüften die basileis ein Tötungsdelikt in einer Voruntersuchung, erklärten den Beschuldigten zum pheugon und für verantwortlich im Sinne der Verursachung. Pheugon versteht Mirhady hierbei in Anlehnung u.a. an Dem.23,66 als Bezeichnung für einen Beklagten, der vor der Ächtung und Selbsthilfe seitens der Familie des Opfers 'floh', indem er den Status eines Beklagten erhielt, sich aber dem Verfahren stellte und nicht flüchtete. Die Polis hatte sich damit der Sache angenommen und die Gemeinde vor einer Befleckung bewahrt. Im nächsten Schritt entschieden dann die ephetai, ob sie den Angeklagten für schuldig hielten, und klärten, ob willentliche oder unwillentliche Tötung vorlag. Wahrscheinlich war somit bereits in Drakons Tagen die Möglichkeit einer Berufung gegeben.
Craig Cooper untersucht die Beziehungen Athens zu Keos um die Mitte des 4. Jahrhunderts. Vier Inschriften, deren Abfolge und Zusammenhang unterschiedlich gedeutet wurden, helfen die Hintergründe einer stark fragmentarischen Rede des Hypereides zu erhellen. Sie richtete sich (Ende 362 oder Anfang 361) gegen Aristophon. Der beantragte ein Dekret (IG II2 111: Ende 363/2), das nach der zweiten Intervention auf der Insel unter seinem Kommando härtere Regelungen beinhaltete als ein auf das erste athenische Eingreifen unter Chabrias folgender Beschluss (IG II2 404), mit dem eine großzügigere, durch diesen Strategen stipulierte Vereinbarung ratifiziert worden war. Cooper verknüpft den Angriff gegen Aristophon mit einer Serie von Attacken junger Rhetoren gegen 'gestandene' Politiker des voraufgegangenen Jahrzehnts vor der Heliaia. Aristophon, "the Teflon man of Athenian politics" (48), wurde nur knapp freigesprochen, so dass die Rede gleichwohl ein Erfolg des 'Anfängers' Hypereides war. Die Argumentation ist ein gutes Exempel für minutiöse Abwägungen von epigraphischen und historische Indizien und Plausibilitäten, die zur ereignishistorischen Rekonstruktion eines Zeitabschnitts beitragen (müssen), für den detaillierte historiographische Berichte fehlen.
David Whitehead prüft das Ehrendekret IG II2 283, worin ein unbekannter Zyprer für den Freikauf athenischer Gefangener geehrt wurde. Letztere identifiziert er als Opfer von Piraten, möglicherweise Kaufleute und nicht als Besatzungsmitglieder attischer Trieren, die nach Isaios 6,1 (in unemendierter Lesung) in sizilischen Gewässern operiert hatten und dort gefangen genommen worden waren. Nach eingehender Abwägung spricht sich Whitehead jedoch für die Unvereinbarkeit dieses Zeugnisses mit der Inschrift aus, die z.T. als weitere Stütze für die erneute und wohl wieder gescheiterte Sizilienexpedition Athens zwischen 369 und 365/4 gewertet worden ist. Somit steht IG II2 283 exemplarisch für Testimonien, deren Einordnung keinen literarischen Ansatz findet, der sich methodisch verlässlich sichern ließe.
IG II2 1622 verzeichnete in den 340er Jahren eine Auflistung der Rückzahlungen von Schulden durch Trierarchen und Beamte der Marineverwaltung an Athen. Sie resultierten daraus, dass Ausrüstungsteile der Trieren nicht oder ohne vorherige Reparatur zurückgegeben worden waren bzw. die Beamten zugelassen hatten, dass dies geschah, oder sich selbst bereicherten. Kathryn Simonsen macht nun darauf aufmerksam, dass ein Teil der Schulden schon recht alt war, mitunter sogar älter als eine Generation, und sich z.T. auf mehrere Schiffe bezog. Offenbar war hinsichtlich der Schuldeneintreibung seit den frühen 70er Jahren nicht viel geschehen und es mangelte nun an Ausrüstungsteilen. Die Gründe, warum die alten Außenstände ab 345 binnen vier Jahren mit Nachdruck eingetrieben werden sollten, und zwar bes. von den Schatzmeistern und den Werftaufsehern (oder ihren Erben), sieht Simonsen im Mitte des 4. Jahrhunderts wachsenden Bedürfnis, die Schlagkraft der zuvor ineffizienten Seemacht zu verbessern. Der finanzpolitische Schritt ist folglich als Teil mehrerer Maßnahmen einzuordnen, welche die militärische Kraft und Moral der Athener steigern sollten.
Ende des 5. oder Anfang des 4. Jahrhunderts haben Sklaven sich an Seekämpfen Athens beteiligt und sind dafür mit der Inschrift IG I3 1032 geehrt worden, die rund 40 % der bekannten athenischen Sklavennamen beinhaltet. Bruce Robertson, der mit seiner Abhandlung und den angefügten Tabellen mit Sklavennamen aus dieser Inschrift und einer Kontrollgruppe von Bürgernamen aus derselben Zeit Ergebnisse und Materialien aus seiner PhD thesis vorlegt, untersucht ihre Namen und vergleicht sie mit denen der Bürger. Greifbar wird die attische Ideologie, die den polaren Gegensatz zwischen Politen und Unfreien eben auch in den Namen herausstellte bzw. (als natürliche Vorgabe) sozial konstruierte. Neben Kongruenzen stehen eigene Namensgruppen für die beiden Kategorien. Die den Sklaven eigenen Namen waren weniger variantenreich als die der Bürger. Häufiger sind bei ersteren Benennungen nach Ethnika oder Toponymen, mit ethnischen Spitznamen oder nichtgriechischen Namen. Die auffällige Häufung derartiger Nomina erhellt u.a., dass sie weniger die reale Herkunft der Sklaven als ein Vereinfachungsbedürfnis der Athener spiegeln, die nicht an einer differenzierten und individualisierenden Benennung der Unfreien interessiert waren; sie blieb dem eigenen Kreis vorbehalten.
Frances Pownall handelt über Theopomp und die öffentliche Dokumentation eigener 'Großtaten' des 5. Jahrhunderts in Athen. Sie analysiert die scharfzüngigen Angriffe des Chiers auf die rhetorische und epigraphische Selbstdarstellung der Stadt (FGrHist 115 F 153-156) und thematisiert, wie attische Inschriften, die als Text, Monument und Symbol wirkten, von außerhalb Athens betrachtet werden konnten. Theopomp versteht sie als ersten Autor, der Inschriften für eine historische Kritik nutzte, und den ersten, der einen Zusammenhang zwischen ihnen und dem "imperialism" der Athener herstellte. Er versuchte ihre patriotischen Ansprüche auf historische Größe und auf die moralische Legitimierung einer hegemonialen Stellung, die sich nicht zuletzt epigraphischer Instrumente bedienten, zu zertrümmern - ein begrenzter, wenn auch in seiner Einseitigkeit verständlicher Blick auf die Inschriftenproduktion Athens.
Kulturhistorische Aspekte dominieren in Gordon Shrimpton's Essay, der die Leistungen Ioniens, der wahren 'Schule von Hellas' lange vor Athen, auf diesem Gebiet hervorkehrt. Viele seiner Überlegungen zur Geschichte der Ostionier verdienten eine genauere Erörterung, doch ist bei alldem der Bezug zur Epigraphik nicht gerade ausgeprägt. Sie leiten über zu dem berechtigten Hinweis, dass die Historie kleinerer Staaten darauf angewiesen ist, Inschriften zu berücksichtigen, gerade um Verzerrungen durch die Perspektiven der großen Akteure entgegenwirken zu können.
Systematischer wendet sich der epigraphischen Basis von Lokalgeschichte Sheila Ager zu. Sie blickt auf Thera, denn die literarisch kaum erwähnte Insel "is the perfect model for the epigraphic recovery of local history" (150). Nach einem Überblick über den Inschriftenbestand geht es um die Rekonstruktion der politischen Geschichte (Soziales und Religion bleiben explizit ausgeklammert (166)). Damit wird allerdings die Chance vertan, einen Gesamtblick auf die epigraphische Kultur der Polis zu werfen und auf deren Unterschied zu anderen 'epigraphical habits'. Doch gelingt es Ager basierend auf der divergierenden Verteilung von literarischen Zeugnissen und Inschriften auf die archaische, klassische und hellenistische Phase Theras geradezu exemplarisch aufzuzeigen, in welcher Relation die beiden Quellengruppen zueinander stehen können. Besonders hier gelingt es, die anvisierte Korrektur athenozentrischer Sichtweisen mittels lokalhistorisch aufschlussreicher Inschriften plausibel zu machen.
Bernhard Smarczyk