Friedrich Edelmayer / Virginia Leon Sanz / José Ignacio Ruiz Rodríguez (Hgg.): Hispania-Austria III. Der Spanische Erbfolgekrieg. La Guerra de Sucesión española (= Studien zur Geschichte und Kultur der Iberischen und Iberoamerikanischen Länder / Estudios sobre Historia y Cultura de los Países Ibéricos e Iberoamericanos; Bd. 13), München: Oldenbourg 2009, 415 S., ISBN 978-3-486-58798-2, EUR 49,80
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Angesichts der immensen Bedeutung des Spanischen Erbfolgekrieges als der für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung nicht nur Spaniens, sondern auch Europas tiefsten und folgenschwersten Zäsur im frühen 18. Jahrhundert war es - auch hinsichtlich der fortgesetzten dreihundertjährigen Jubiläen - an der Zeit, eine fundierte Bilanz des aktuellen Forschungsstands im spanischen und deutschsprachigen Sprachraum zu ziehen.
Dies zu leisten ist das Anliegen des zu besprechenden, von Friedrich Edelmayer, Virginia León Sanz und José Ignacio Ruiz Rodríguez herausgegebenen Sammelbandes, der in fünfzehn Beiträgen ausgewiesener Fachleute zahlreiche neue Erkenntnisse zu verschiedenen Facetten dieses europäischen Fundamentalereignisses vermittelt: Angefangen von politisch-diplomatischen Aspekten wie der Gesandtschaft des Grafen Ferdinand Bonaventura von Harrach in Madrid 1697/98, also noch am Vorabend des Erbfolgekrieges (Joaquim E. López i Camps, Valencia), über den so genannten "Damenkrieg" (Guerra de las Damas), der von María de los Ángeles Pérez Samper (Barcelona) behandelt wird, bis hin zu dem Fortbestehen des sog. "Austrazismus" am Wiener Hof nach dem Kriegsende (Joaquim Albareda i Salvadó, Barcelona) und den Gnadenerweisen Philipps V. zugunsten seiner Anhänger, denen er die konfiszierten Güter der Parteigänger des Österreicher Karls übertrug (Virginia León Sanz, Madrid). Ferner hervorzuheben ist ein ausgesprochen instruktiver propagandageschichtlicher Beitrag über die gezielten gegenseitigen medialen publizistischen Feindbildkonstruktion beider Kriegsparteien (Marta Riess, Wien) während des Kriegsgeschehens, welche durchaus Anklänge an die Kreuzzugsideologie aufwiesen.
Einen weiteren Schwerpunkt des Bandes bilden wirtschaftlich-finanzielle Fragestellungen wie die erheblichen ökonomischen Konsequenzen des Spanischen Erbfolgekrieges für Spanien, Österreich und Europa (Leopold Auer, Wien), die Finanzierung der Kosten für das bourbonische Heer (Francisco Andújar Castillo, Almería) sowie die organisatorischen und finanziellen Probleme Kataloniens bei der Erneuerung seiner zu dieser Zeit noch "mittelalterlichen" (143), den bourbonischen Truppen letztlich nicht gewachsenen Heeresverfassung (Àngel Casals, Barcelona).
Der Erbfolgekrieg spaltete Spanien vor allem territorial: Kastilien stellte sich hinter den Bourbonen Philipp V., der für eine zentralisierte Monarchie eintrat, wohingegen Aragonien, Katalonien und Valencia Karl III. bevorzugten, der ihre althergebrachte Autonomie zu respektieren versprach. Daher ist es konsequent und sinnvoll, wenn ein großer Teil dieses Sammelbandes entsprechenden regionalen Schwerpunkten während des Erbfolgekrieges gewidmet ist. So fokussieren einzelne Studien die Länder der Krone von Aragón (Carmen Pérez Aparicio, Valencia) sowie die der Krone von Kastilien (Pere Molas Ribalta, Barcelona), die südlichen Niederlande (Miguel Ángel Echevarría Bacigalupe, Bilbao), Gibraltar (José Manuel de Bernardo Ares, Córdoba), die Balearen (Josep Juan Vidal, Palma), Sardinien (Mario Döberl, Wien) und Süditalien (José Ignacio Ruiz Rodríguez und Pierluigi Nocella, beide Alcalá).
Ein sehr hilfreiches und von Katharina Arnegger (Wien) sorgsam erstelltes Personen- und Ortsnamenregister rundet das positive Erscheinungsbild des Bandes ab und erhöht den praktischen Nutzwert durch schnelle Zugriffsmöglichkeiten auf die gesuchte Information erheblich. Gleiches gilt für die "Resumenes" bzw. Abstracts: Die in Deutsch oder Spanisch verfassten Artikel sind am Textende mit Zusammenfassungen in der jeweils anderen Sprache versehen.
Aus der Vielzahl der bemerkenswerten Forschungserträge, die hier schon aus Platzgründen nur kurz angesprochen werden können, seien exemplarisch drei genannt, die Themen betreffen, zu denen es in der bisherigen deutschsprachigen Literatur über den Spanischen Erbfolgekrieg noch überhaupt keine umfassenden neueren Studien gibt und die daher substantielle Lücken füllen:
Ausgesprochen wertvoll ist der Beitrag von Andújar Castillo über das scheinbar unentwirrbar komplizierte Geflecht der Kriegsfinanzierung - wie war es für die bourbonische Seite möglich, ein neues, kostspieliges Heer von ca. 80.000 Mann in 1711 auf die Beine zu stellen (1701 waren es erst ca. 20.000 Mann), was Kosten von ca. 57 Millionen Reales (129) verursachte, ohne die ohnehin strapazierten königlichen Finanzen völlig zu ruinieren. Hier kommt Andújar Castillo zu dem überzeugenden Schluss, dass neben der Einführung einer neuen Finanzverwaltung durch Jean Orry auch neue moderne Formen der Rekrutierung dazu beitrugen, die Kosten in den Griff zu bekommen. Einen nicht geringen Teil der Belastungen übernahmen nämlich die Königreiche und Munizipien Spaniens, die ihre eigenen Soldaten aufstellten und ausrüsteten sowie deren Kommandeure ernannten. König Philipp V. verlor damit zwar das Recht, die Offiziere der so aufgestellten Truppen zu bestimmen, sparte dafür aber viel Geld für die Unterhaltung derselben. Ohne diese Maßnahme wäre es ihm schlicht unmöglich gewesen, ein so großes Heer ins Feld zu schicken. Diese Truppen waren umso erfolgreicher, als die Gegenseite, das pro-habsburgische Katalonien, bei seiner Mobilisierung, wie Àngel Casals zeigt, auf mittelalterliche Formen wie die so genannten Miqueletes und die städtischen Milizen zurückgreifen musste. Erst ab 1713 schuf der Kriegsrat Kataloniens ein reguläres modernes Heer - zu spät, um den Sieg Philipps V. noch zu verhindern.
Leopold Auer betont die ökonomischen Gründe, die auf beiden Seiten für den Kriegsausbruch entscheidend waren, da nach seiner Einschätzung "nur jemand in Unkenntnis der eigentlichen Ursachen den Krieg für eine primär dynastische Auseinandersetzung halten könne" (145f.). Sowohl die Seemächte wie auch Frankreich hatten entscheidende ökonomische Interessen zu verteidigen, insbesondere im Hinblick auf die Schiffsrouten des transatlantischen Sklavenhandels sowie der Edelmetalllieferungen aus Südamerika nach Spanien (146f.).
Joaquim Albareda i Salvadó vermag mit seinem Beitrag zu zeigen, dass längst nicht alle spanischen Adligen, die mit dem Habsburger Karl III. nach dessen Niederlage aus Spanien nach Wien geflohen waren, nach dem Frieden von Wien 1725 nach Spanien zurückkehrten, sondern am Wiener Hof bis in die 1730er Jahre eine "austrazistische" Parteiung existierte (322, 332). Virginia Leon Sanz betont, dass der Vertrag von 1725 auch in Spanien selbst nicht den inneren Ausgleich brachte, sondern die Repressionspolitik Philipps V. gegenüber den früheren Anhängern Karls III. noch lange fortdauerte, und zwar "mit unterschiedlicher Intensität während seiner gesamten Regierungszeit" (391).
Wenn man, mit dem Abstand von drei Jahrhunderten, den Spanischen Erbfolgekrieg in seiner Gesamtheit betrachtet, so ist es umso erfreulicher, dass nunmehr mit dem vorliegenden Sammelband ein wertvoller Kristallisationspunkt des gegenwärtigen Forschungsstandes zu diesem neuzeitlichen "Weltkrieg im Barock" gegeben ist.
Michael Müller