Angela Fischel: Natur im Bild. Zeichnungen und Naturerkenntnis bei Conrad Gessner und Ulisse Aldrovandi (= humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte; Bd. 4), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2009, 204 S., ISBN 978-3-7861-2610-2, EUR 34,90
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Es ist der Verdienst von Angela Fischel, sich in ihrer Dissertation "Natur im Bild. Zeichnung und Naturerkenntnis bei Conrad Gessner und Ulisse Aldrovandi" erstmals aus einer dezidiert kunst- bzw. bildwissenschaftlichen Perspektive mit den beiden monumentalsten und einflussreichsten Werken der Naturgeschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt zu haben: Mit Gessners sieben, zwischen 1551 und 1560 erschienenen Foliobänden der Historiae animalium und Icones animalium sowie mit dessen 1565 gedruckten Fossilienkunde, und der über zehn Bände umfassenden, ab 1599 teils posthum erschienenen Naturhistorie Aldrovandis, die durch eine große Zahl unpublizierter Zeichnungen und Texte des Bologneser Naturgelehrten ergänzt werden. Allein schon anhand der schieren Fülle dieses Materials lässt sich unschwer Fischels analytische Leistung ermessen. Sie arbeitet heraus, welche idealen naturphilosophischen Konzepte und wesentlichen Strukturmerkmale Gessners und Aldrovandis naturkundliche Abhandlungen bestimmten. Außerdem stellt sie ausführlich dar, worin deren Abhängigkeiten und Innovationen gegenüber älteren naturhistorischen Werken von Aristoteles bis Pierre Belon, Guillaume Rondelet bzw. Ambroise Paré bestehen und gibt so dem Leser vielfach Einblick, auf welche Weise im Bereich der Naturgeschichte vor 1600 komplexe Wissenszusammenhänge enzyklopädisch aufbereitet wurden.
Überzeugend zeigt Fischel auf, wie sich faktische Naturbetrachtung und literarisch-antiquarische Tradition bei Gessner und Aldrovandi verschränken, und unterstreicht als Novum, dass beide allein die phänomenologischen Eigenschaften der Naturobjekte zur Grundlage der von ihnen entworfenen klassifikatorischen Ordnung der Natur machten. Einleuchtend ist auch Fischels Annahme (36f.) einer kausalen Verbindung zwischen diesem neuen, auf die Form gerichteten Forschungsinteresse und der damit einhergehenden Aufwertung der visuellen Wahrnehmung einerseits, und einem spezifischen, auf das Bild als Erkenntnisinstrument bezogenen methodischen Vorgehen andererseits. Fischel zeichnet nach, dass das Bild bei Gessner und Aldrovandi nun den Gegenstand selbst ("res ipsa") vertreten sollte. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedurfte es in einem weiteren Schritt einer konsequenten Bildkritik, die sicher stellte, dass das Bild "wahr" bzw. "nach dem Leben" angefertigt war. Da sowohl Gessner wie Aldrovandi ihr Material oft über Korrespondenzpartner bezogen und die Herstellung der Bilder nicht im Einzelnen überwachen konnten, hatte vielfach ein komplexer hermeneutischer Prozess die "Wahrhaftigkeit" der von ihnen präsentierten Bilder zu garantieren (55ff.). Deren Plausibilität wurde teils anhand von Charakter und Qualität der schriftlichen wie materiellen Überlieferung verifiziert, teils wurden mythologische Gestalten anhand naturauthentischer Bilder mit bekannten, lebenden Wesen identifiziert. Zu Recht stellt Fischel von daher fest, dass die dokumentarischen Bilder der Naturgeschichte des 16. Jahrhunderts trotz vielfach anderslautender Beteuerungen der Autoren nicht zwingend visuelle Eindrücke wiedergeben (67ff.), und kommt zu dem Schluss, dass sich das damalige Bild der Natur nach wie vor als menschliches Konstrukt erweist (64).
In Zusammenhang mit dieser Generierung exakter und detailgenauer naturdokumentarischer Bilder zeigt Fischel auch auf, an welchen Punkten sich die naturwissenschaftliche Bildpraxis bzw. die naturhistorische Reflexion des 16. Jahrhunderts mit Argumenten verknüpft, die im zeitgleichen künstlerischen Diskurs von Bedeutung waren. Von zentraler Bedeutung war etwa die Verbindung von Kunst und techne (9ff., 99ff., 111ff.), die Fischel anhand von Werken der hierfür gerne als Beispiel angeführten Miniaturmaler Jacopo Ligozzi und Joris Hoefnagel thematisiert. Sie belegen, wie die im Kreis der damaligen Naturhistoriker betriebene Bildkritik oft auch zu einer Kritik der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit bzw. zu einer Kritik am mimetischen Potential der Kunst wurde (115ff.).
Fischels nachfolgende, über 40 Seiten und zwei Kapitel reichende Ausführungen zu Aldrovandis Beschäftigung mit monströsen Naturwesen lesen sich wie ein ausführlicher Exkursus zu der mittlerweile klassischen Darstellung der Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston (Wonders and the Order of Nature 1150-1750, New York 1998, bes. Kap. 4-5; gekürzt als: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität, Frankfurt a.M. 2001) und hätte ruhig kürzer ausfallen dürfen. Fischel führt den Leser hier zur der Erkenntnis hin, dass diese Gruppe der "monstra" bzw. "prodigia" seit Aldrovandi unter einem neuen Gesichtspunkt, nämlich in Verbindung mit natürlichen Reproduktionsprozessen - Stichwort: Embryogenese - studiert wurden. Unklar bleibt allerdings, ob es sich bei dieser "Naturalisierung des Monstrums" (127) wirklich um einen "neuen Aspekt der Monsterdarstellung seit Mitte des 16. Jahrhunderts" handelt (128; kritisch hierzu Daston 1998, 187), oder nur um eine neue Akzentsetzung gegenüber den Meinungen der älteren Naturgeschichte (so 122). Letzteren Eindruck erweckt Fischel dadurch, dass sie (123, 126) ausführlich referiert, wie schon antike Schöpfungsmythologien bzw. Aristoteles und Isidor von Sevilla Monster als integralen Teil ihres Naturkonzepts behandelten.
Überhaupt vermittelt Fischels Text gelegentlich den Eindruck, dass der Argumentationsgang einer weiteren Glättung bedurft hätte. So finden sich Redundanzen im Text mit teilweise wörtlichen Wiederholungen (vgl. 13 mit 172). Gelegentlich stolpert man über innere Widersprüche, etwa wenn einerseits behauptet wird, dass der Text und die Bilder von Gessners Historiae animalium "weder für die Bestimmung von Tieren besonders geeignet war, noch der Konstruktion eines biologischen Systems diente" (14), wie es überhaupt generell "zuviel verlangt [wäre], suchte man in frühneuzeitlicher Naturforschung nach Klassifikationen und nach Konstruktionen biologischer Systeme" (173). Andererseits unterstreicht Fischel dann wiederum, dass Gessner mit Hilfe von Bildern eine neue Ordnung des Naturwissens konstruiert und die Basis für eine verbindliche wissenschaftliche Nomenklatur geschaffen habe (15, 71ff.). Irritierend wirkt zudem, dass Fischel die Begriffe "Naturgeschichte" und "Naturphilosophie" teils synonym verwendet (etwa 7f., 16), teils durch ihre Formulierungen andeutet (172), dass es sich bei "der neuzeitlichen Naturphilosophie und Naturgeschichtsschreibung" um zwei distinkte Erkenntnisbereiche handelt. Außerdem werden manche in der vorhandenen Forschungsliteratur etablierte Deutungsansätze gelegentlich etwas übereilt zur Seite geschoben, etwa wenn Fischel einleitend (13) kurzerhand feststellt, dass die Bilder in der Naturgeschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts "inhaltlich [...] heutigen Vorstellungen der Objektivität nicht entsprechen" und damit "nicht ohne Weiteres in die Vorgeschichte der Objektivierung von Natur eingeordnet werden können". Teilweise bleibt Fischel auch die Begründung für ihre Thesen schuldig, etwa wenn sie Conrad Gessner und Ulisse Aldrovandi einführt als "ein Gegensatzpaar, das durch wenige, aber entscheidende Unterschiede scharf getrennt ist" (15; ebenso 174), diese Behauptung dann aber nur durch den knappen Verweis auf die unterschiedliche Konfession der beiden Naturforscher rechtfertigt. Dabei hätte sich in diesem Zusammenhang etwa die Frage, inwiefern Aldrovandis "erkenntnisorientiertes Bildideal" (139) unter dem Einfluss gegenreformatorischen Gedankengutes stand, ebenso näher erörtern lassen wie die, ob Gessners Legitimation seiner neuen, bildorientierten Naturgeschichte durch den Verweis auf die Verbindung von Gott und Natur und auf die über das Bild der Natur vermittelte Gotteserkenntnis (52ff.) als Antwort auf ein von protestantischem Bilderzweifel geprägtes Publikum zu verstehen ist.
Ulrike Ilg