Aziz Al-Azmeh: The Times of History. Universal Topics in Islamic Historiography (= Pasts Incorporated CEU Studies in Humanities; Vol. IV), Budapest: Central European University Press 2007, XVIII + 310 S., ISBN 978-963-7326-73-8, GBP 33,00
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Bei einem Buch mit dem Titel Die Zeiten der Geschichte - Universelle Themen der islamischen Geschichtsschreibung beginnt man bereits vor dem Aufschlagen der ersten Seite darüber nachzudenken, was genau mit dem Gesagten gemeint ist. Dieses Entschlüsseln des von Al-Azmeh geschriebenen Wortes ist die Aufgabe, die sich dem Leser das gesamte Buch hindurch stellt. Es ist keine leichte Aufgabe.
Die hier zu besprechende Veröffentlichung ist ein Sammelband von acht Aufsätzen, die der Autor und Herausgeber in den Jahren 1994 bis 2007 verfasst hat. Sieben der acht Beiträge sind Nachdrucke von bereits publizierten Artikeln, in teils leicht überarbeiteten Fassungen, während ein Beitrag (Kap. 7) in diesem Sammelband erstmalig erscheint. Dieser Sammelband beginnt mit einem Vorwort von Hayden White und endet mit einem Sach- und einem Namensindex. Dazwischen finden sich die acht Aufsätze, von denen einige hier kurz vorgestellt werden sollen.
In Kap. 1 mit dem Titel "Tropen und Zeitliche Begrenzungen der romantischen, modernen und islamischen Geschichtsschreibung", der im Übrigen auch in deutscher Sprache erschienen ist [1], erörtert Al-Azmeh drei unterschiedliche historiographische Traditionen: die romantische, die moderne und die islamische. In diesem Zusammenhang gibt er zu bedenken, dass der Historiker Gefahr läuft, die historischen Prozesse als "zeitlos" wahrzunehmen. So kommt es in bestimmten historiographischen Beispielen vor, dass Ereignisse aus der Vergangenheit mit aktuellen Geschehnissen verknüpft werden, Zwischenentwicklungen dabei aber unberücksichtigt bleiben (15).
Im zweiten Kapitel ("Islam und die Geschichte von Zivilisationen") beschäftigt sich der Autor mit dem Zivilisationsbegriff. Inwiefern ist dieser Ausdruck brauchbar? Wo stößt er an seine Grenzen? Zur Beantwortung dieser Fragen zeigt er Beispiele auf, in der historische Prozesse sehr häufig klassifiziert und weniger erklärt werden (57). So wird die Geschichte der Muslime sehr oft auf Grundlage ihrer religiösen Schriften, des Koran und des ḥadīṯ-Materials, beschrieben, weitere bedeutende Faktoren wie politische Handlungen, religiöse, soziale oder wirtschaftliche Praktiken jedoch allzu oft vernachlässigt.
In Kap. 4 ("Der muslimische Kanon von der Spätantike bis zur Zeit des Modernismus") fokussiert al-Azmeh den Koran und die kanonisierten ḥadīṯ-Sammlungen. Er untersucht die zeitliche Dimension kanonisierter Literatur und weist darauf hin, dass die Texte eine vorkanonische Geschichte haben, die nicht aus den Augen verloren werden sollte. In diesem Zusammenhang wirft der Autor den Muslimen, sowie den "westlichen" Wissenschaftlern vor, den Koran als einen festen Text (einen textus receptus) anzusehen, zu dem er jedoch erst im zeitlichen Verlauf geworden ist (106).
Die weiteren Kapitel befassen sich mit der Verwendung von Zeit und Linearität bei den islamischen Rechtsgelehrten (Kap. 3), mit dem Zusammenhang von apokalyptischen Ideen und damit verknüpften historiographischen Konzepten (Kap. 5), mit der Darstellung paradiesischer Vergnügungen in islamischen Quellen (Kap. 6) und mit dem Vergleich europäischer und islamischer Monarchien, die beide als Formen sakraler Herrschaft einige Gemeinsamkeiten aufweisen.
Kapitel 7 ist ein langer Rezensionsartikel zu zwei kürzlich erschienenen Büchern, die sich mit politischem Denken im Islam befassen.[2] Beiden Autoren attestiert al-Azmeh, historiographische Traditionen, wie Periodisierungen oder historische Konzepte, unkritisch zu übernehmen (187) und ihre Werke an einen westlichen Leser zu richten, dem eine völlig fremde islamische Geschichte erklärt werden muss (191). Insbesondere durch dieses letzte zugrunde liegende Konzept würden die Muslime negativ stereotypisiert (249) und letztlich eine westliche kulturelle Dominanz, man könnte fast von einem Neo-Orientalismus sprechen, mitverantwortet. Al-Azmeh schlägt in diesem Zusammenhang, aber auch an vielen anderen Stellen in diesem Sammelband (58, 101), stattdessen vor, islamische, historische Prozesse in die Spätantike einzubetten und sie vor diesem Hintergrund erklären (249).
So sieht er den Koran in einer spätantiken Tradition (101) eingebettet, aus der heraus er verstanden werden müsse. Mit dieser Ansicht durchbricht al-Azmeh traditionelle islamische Positionen und setzt Impulse, die momentan zu der Hauptstoßrichtung der historischen Islamforschung gehören. In der hiesigen Wissenschaftslandschaft betreibt nicht zuletzt das Projekt "Corpus Coranicum" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch die spätantike Kontextualisierung des Koran Forschung in diese Richtung, sondern auch das kürzlich gegründete Forschungszentrum "Bildung und Religion (EDRIS)" an der Universität Göttingen, das interdisziplinär nach gemeinsamen Institutionen, Prozessen und Gedanken im Bereich spätantiker und klassisch-islamischer Bildung und Religionen fragt.
Aziz al-Azmehs Sammelband hält somit zahlreiche und bedeutsame Denkanstöße für den Leser bereit. Leider ist die Präsentation der Gedanken oft nicht sehr eingänglich. Es gibt Stellen, in denen dem Rezensenten das Geschriebene letztlich doch kryptisch geblieben ist. Auch wenn dieses Buch schwer zu lesen ist, so hinterfragt es zahlreiche gängige historiographische Konzepte, die nicht nur für die Historiker, die sich mit der islamischen Geschichte befassen, von Bedeutung sind. Auch Europa-Historiker können von diesem Werk profitieren. Insofern wirkt der Sammelband aufklärerisch und kann durchaus als intellektuelle Bereicherung angesehen werden.
Anmerkungen:
[1] Aziz Al-Azmeh: Geschichte, Kultur und die Suche nach dem Organischen, in: Jörn Rüsen / u.a. (Hrsg.): Die Vielfalt der Kulturen. Erinnerung, Geschichte, Identität, Frankfurt 1998, 74-114.
[2] Antony Black: The History of Islamic Political Thought. From the Prophet to the Present, Edinburgh 2001. Patricia Crone: Medieval Islamic Political Thought, Edinburgh 2005.
Jens Scheiner