Andreas Pečar: Macht der Schrift. Politischer Biblizismus in Schottland und England zwischen Reformation und Bürgerkrieg (1534-1642) (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London; Bd. 69), München: Oldenbourg 2011, X + 487 S., ISBN 978-3-486-70101-2, EUR 64,80
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Andreas Pečar / Kai Trampedach (Hgg.): Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne, München: Oldenbourg 2007
Andreas Pečar: Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003
Hanspeter Marti / Karin Marti-Weissenbach (Hgg.): Traditionsbewusstsein und Aufbruch. Zu den Anfängen der Universität Halle, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019
Andreas Pečar hat seine Rostocker Habilitationsschrift unter ein vielzitiertes Motto von Pierre Bourdieu gestellt: "Symbolische Macht ist die Macht, Dinge mit Worten zu schaffen". Wer schon immer einmal wissen wollte, was damit eigentlich konkret gemeint ist, der sollte dieses Buch lesen. Pečar fragt nach den politischen Bedeutungen religiöser Sprache in England und Schottland im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Diese politische Sprache bezeichnet er als Biblizismus. Unter dem Begriff versteht der Verfasser "die Autorisierung politischer Äußerungen und Positionen durch den Rückgriff auf biblische Textstellen" (2). Die Studie zeigt eindrücklich, dass mit dieser Perspektive wesentliche Ursachen für die Zuspitzung der politischen Krise um 1640 und den Ausbruch des englischen Bürgerkriegs 1642 aufgezeigt werden können, die bislang von der Forschung nicht oder nur am Rande berücksichtigt worden sind. Die bisherige Forschung hat die Macht der Schrift bisher unterschätzt, sowohl im Sinne des Rekurses auf die Bibel als auch in Form von gedruckten Predigten, Psalmensammlungen, Exegesen usw. Der Verfasser greift auf Kategorien der Cambridger Schule der Ideengeschichte zurück, wenn er den Biblizismus als eine politische Sprache und den Rekurs auf Bibelstellen im politischen Diskurs als Sprechakte bezeichnet. Dabei lehnt er sich aber nicht nur an Pocock und Skinner an, sondern entwickelt das Cambridger Konzept auch selbst weiter. Er sorgt für Präzisierung, wenn er die Verwendung einer politischen Sprache nicht auf Mentalitäten und habituelle Prägungen zurückführt, sondern als ein Dispositiv für mögliche Sprechakte versteht. Diese kann ein Autor unter bestimmten Umständen äußern, ohne dass damit schon ein Weltbild und unverrückbare Glaubensüberzeugungen zum Vorschein kämen. Diese Unterscheidung ist für Pečars Studie wesentlich, ermöglicht sie ihm doch die von der Cambridger Schule immer wieder geforderte historische Kontextualisierung politischer Ideen in einer Konsequenz, die man so bisher noch nicht gesehen hat.
Pečar unterteilt seine Untersuchung über die wirklichkeitsprägende Macht des politischen Biblizismus in fünf Kapitel. Er beginnt dabei mit dem Ende seiner Geschichte, der Stiftung des National Covenant in Schottland 1638 und den sogenannten Fastenpredigten vor dem (Langen) Parlament in England ab 1640 (Kap. II). In beiden Fällen wurde unter Rückgriff auf die Bibel, und hier besonders das Alte Testament, das Regiment Karls I. angegriffen, indem dieses des Ungehorsams gegen Gott bezichtigt wurde. Die königskritischen Autoren der Bürgerkriegszeit wiederholten in ihren Schriften im Grunde die Mosaische Unterscheidung (Jan Assmann) des Alten Testaments, nämlich die Unterscheidung zwischen wahrer Religion und falschen Göttern (41ff.). Für die Schotten folgte daraus die Notwendigkeit eines direkten Bundes mit Gott und die Errichtung einer Theokratie. Das Lange Parlament legitimierte damit das eigenmächtige Vorgehen gegen Karl I. bis hin zum Krieg. In beiden Fällen wurden die Konflikte mit dem König zu einem apokalyptischen Kampf um das Heil des Volkes gegen den Antichristen stilisiert, als Notstand, der jedes Mittel für rechtens erkläre. Für den Ausbruch des Bürgerkriegs in den beiden Königreichen waren also vergleichbare religiöse Diskurse mitursächlich. Die Predigten waren keineswegs bloße Mahnreden (Glenn Burgess), sondern wurden zu handlungsleitenden Bezugspunkten im Kampf gegen den frevelnden König. In den folgenden vier Kapiteln wird Stück für Stück rekonstruiert, wie es zu dieser Mosaischen Unterscheidung und ihren realpolitischen Konsequenzen kommen konnte. Pečar beschreibt, wie der politische Biblizismus zum Bestandteil der gesellschaftlichen Semantik in England und Schottland werden konnte.
Schon Heinrich VIII. gründete seine Geltungsansprüche als Oberhaupt der englischen Kirche auf Bibelübersetzungen und Rekurse auf das Alte Testament. Dabei blieb der Biblizismus allerdings keine exklusive Ressource des Königtums. Sowohl in England wie in Schottland rekurrierten darauf auch die aus unterschiedlichen Lagern stammenden Kritiker der königlichen Politik. Biblizismus war zudem keine exklusive Domäne der Theologen, selbst wenn die Kanzel der bevorzugte Ort dieser politischen Sprache wurde. So offen wie die Verfügung über die Bibel als diskursives Arsenal war auch die Exegese von Bibelstellen, etwa der Bücher Samuel oder der Apokalypse. Sowohl die Monarchie als auch ihre Kritiker bedienten sich daraus (Kap. III).
Die Kapitel IV-VI beziehen sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf Jakob VI./I., dessen Wirken als Autor sich für die Geschichte des politischen Biblizismus als Dreh- und Angelpunkt erwies. Entsprechend liegt hier auch der Schwerpunkt der Studie. Pečar demonstriert eindrucksvoll, wie die biblizistisch argumentierenden Frühschriften des schottischen Königs in unterschiedlicher Weise auf konkrete Situationen bezogene politische Instrumente darstellten: "als Mittel der Diplomatie, als Beitrag zur politischen Kontroverse um die Erbmonarchie, als Demonstration seiner theologischen Qualitäten" (238). Ein einheitliches Programm und Weltbild lagen Jakobs Schriften dabei aber gerade nicht zugrunde. Die Leistungsfähigkeit des diskursgeschichtlichen Ansatzes dieser Studie zeigt sich wiederum besonders bei solchen Themen, die in der Forschung als festgefahren erscheinen. Dies trifft etwa auf die Diskussionen um das sogenannte Divine Right of Kings (Kap. V) zu, das Pečar als ein fallweise gewähltes Argumentationsmuster dekonstruieren kann. Ein anderes Beispiel ist die müßige, weil falsch gestellte Frage, ob William Laud oder Richard Montagu Arminianer waren: Sie wurden im Kosmos der biblizistischen Debatten von den Zeitgenossen jedenfalls als solche wahrgenommen (396). Die Blick von außen auf die großen Themen der britischen Geschichte des 17. Jahrhunderts wirkt hier besonders erfrischend.
Der Clou von Pečars Deutung der Schriften Jakobs liegt darin, sie zugleich als Form der Inszenierung von Königsherrschaft und als Medium seiner politischen Kommunikation zu dechiffrieren. In England inszenierte sich Jakob als sacred majesty, als König, Priester und Prophet in einer Person. So sehr Jakob in der Zeit um 1600 diese mediale Selbstdarstellung gelang - seine gedruckten Schriften konnten sich auch gegen ihn wenden. Am Beginn des Dreißigjährigen Krieges verfolgte Jakob eine Art Neutralitätspolitik (anstelle den Glaubensbrüdern auf dem Kontinent zur Hilfe zu kommen) und strebte ein Heiratsprojekt mit Spanien an (für die englischen Protestanten das Reich des Bösen). Beides leitete Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker. Diese diagnostizierten zwischen seiner faktischen Politik und seinen antikatholischen Frühschriften, also zwischen Worten und Taten, eine problematische Kluft. Dies war nicht nur seinem Image abträglich, sondern bereitete auch den Boden für die "Unterscheidung von Lex Dei und Königsherrschaft" (Kap. VI.). Der Plan, den Thronfolger Karl mit einer spanischen Infantin zu vermählen, wurde von den Kritikern Jakobs in der Sprache der Psalmen als Götzendienst ausgelegt, als Ungehorsam gegen Gott. Genau so wurde auch die Heirat Karls I. mit der französischen Prinzessin Henrietta Maria 1625 und das Zaudern Karls I. bei der Unterstützung der bedrängten Protestanten im Reich und in Frankreich gedeutet.
Jakob I. hatte bereits 1620 seine Rolle als Autor aufgegeben. Der politische Biblizismus war seitdem eine Domäne der Gegner der Krone geworden. Beide Könige, Jakob wie auch sein Sohn Karl, versuchten sich zwar mit Zensurmaßnahmen zu helfen, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Stattdessen breitete sich immer mehr die Überzeugung aus, dass man im Zweifelsfall Gott und nicht dem König Gehorsam schulde. Wenige Jahre später wurde aus dem Sagbaren schließlich das Machbare: Widerstand und Krieg gegen den König.
Immer wieder ist in der Forschung davon die Rede, dass es für die politische Krise und den Bürgerkrieg selbstverständlich auch religiöse Gründe gäbe. So klar wie in diesem Buch aber wurde der Zusammenhang von religiöser Sprache und politischer Strukturbildung, von Religion und Politik im Jahrhundert vor dem Bürgerkrieg noch nicht dargestellt. Der Studie ist daher auch eine englische Übersetzung zu wünschen.
André Krischer