Barbara Rommé / Bernd Thier / Regine Schiel (Red.): Schlossplatz - Hindenburgplatz - Neuplatz in Münster: 350 Jahre viel Platz. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Stadtmuseums Münster (2.10.2012 - 24.2.2013) (= Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen; 11), Münster 2012, 255 S., ISBN 978-3-939172-94-9, EUR 10,00
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Der Titel des Buchs, das als Begleitband zu der gleichnamigen Ausstellung des Stadtmuseums Münster vom 2. Oktober 2012 bis zum 24. Februar 2013 erschien, klingt zunächst harmlos. Aber am 16. September 2012 votierte ein Bürgerentscheid in der Stadt Münster für die Umbenennung des "Hindenburgplatzes", des größten Platzes der Stadt, um den es hier geht, in "Schlossplatz". Bei der Abstimmung sprach sich eine Mehrheit von 56717 Stimmen (59,4 %) für die Umbenennung in Schlossplatz, 38801 Stimmen (40,6 %) sprachen sich für die Beibehaltung des bisherigen Namens Hindenburglatz aus. Die Wahlbeteiligung lag bei 40,3 Prozent. Damit ging ein innerstädtisches Drama zu Ende, das die Universitätsstadt monatelang in Erregung versetzt hatte. Die Debatte um die Umbenennung war der aktuelle Anlass für das Erscheinen dieses Buchs.
Bereits am 21. März hatte der Rat der Stadt Münster mit einer Mehrheit von 53 zu 23 Stimmen die Umbenennung beschlossen. In der Ratsdebatte hatte sich die Mehrheit der CDU-Fraktion für die Beibehaltung des Namens Hindenburgplatz ausgesprochen, während der Oberbürgermeister Lewe (CDU), eine Minderheit der CDU-Fraktion, die SPD-Fraktion, die ursprünglich den Antrag auf Umbenennung gestellt hatte, und die Fraktionen der Grünen, der FDP und der Linken die Umbenennung in Schlossplatz unterstützten.[1]
Zwei Jahre zuvor, im April 2010, hatte der Rat eine "Straßenkommission" eingesetzt, die sich unter dem Vorsitz der Oberbürgermeisters mit der Frage der Umbenennung des Hindenburgplatzes und weiterer Straßennamen, deren Namensgeber durch die Nähe zum Nationalsozialismus belastet waren, auseinandersetzen sollte. Als Fachberater waren die Historiker Thamer und Kenkmann hinzugezogen worden. Die Kommission empfahl im Juni 2011 die Umbenennung. des Hindenburgplatzes und weiterer Straßennamen. Es folgte eine erregte innerstädtische Debatte, die vor allem in den Leserbriefspalten der beiden Tageszeitungen ausgetragen wurde und in deren Mittelpunkt schließlich die historische Figur Hindenburgs stand. Die Befürworter der Umbenennung beriefen sich dabei auf die jüngste wissenschaftliche Literatur zu Hindenburg, die den historischen Hindenburg-Mythos entlarvt habe, und vor allem auf die neue Hindenburg-Biografie von Wolfram Pyta.[2]
Erstaunlich ist, dass sich die Mitte-Links-Mehrheit des Stadtrats bei der Umbenennung ausgerechnet für "Schloss" anstelle von "Hindenburg" entschied. Auch in dem intensiven Wahlkampf, der dem Bürgerentscheid vom 16. September vorausging, wurde das "Schloss" als Alternative zu "Hindenburg" nicht in Frage gestellt. Immerhin erinnert "Schloss" an die Zeit der Fürstenherrschaft, und man verbindet "Schloss" landläufig mit den Kindermärchen der Brüder Grimm. Als Symbol steht "Schloss" kaum für ein demokratisches Geschichtsbewusstsein, für das sich die Befürworter der Umbenennung engagierten.
Über die spezifischen stadt- und landesgeschichtlichen Hintergründe, die mit dem Schlossplatz zusammenhängen, informiert der Sammelband "Schlossplatz - Hindenburgplatz - Neuplatz in Münster". In 21 Beiträgen wird die Geschichte des zentralen Platzes der Stadt von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart ausführlich beschrieben, wobei neben der Entstehung und den Veränderungen des Platzes bis heute die jeweilige historisch-politische Relevanz und die durch die Jahrhunderte recht variable Nutzung des Platzes aufgezeigt wird. Zum Schluss wird die Chronologie des Platzes (Areal, Bebauung, Ereignisse und Veranstaltungen) zur schnellen Orientierung noch einmal detailliert aufgelistet. Für Anschaulichkeit sorgt eine Fülle von historischen Plänen und Zeichnungen, Abbildungen und Fotografien. Als Begleitband zur Ausstellung des Stadtmuseums erschien das Buch allerdings erst "post festum", das heißt: nach dem Bürgerentscheid. So konnten die darin zusammengetragenen Informationen in der vorausgegangenen innerstädtischen Umbenennungs-Debatte selbst noch nicht aufgegriffen werden.
Der Platz entstand ursprünglich aus einem Konflikt der Stadt Münster mit ihrem fürstbischöflichen Landesherren. Bereits 1535 war die seit dem Mittelalter ummauerte Stadt von dem damaligen Fürstbischof Franz von Waldeck niedergeworfen worden, um die Täuferherrschaft zu beenden.[3] Nachdem die Stadt gut hundert Jahre später am Ende des Dreißigjährigen Krieges vier Jahre lang die Gesandten der Friedenskonferenz beherbergt hatte, strebte sie nach dem Abschluss des Westfälischen Friedens 1648 die Unabhängigkeit und einen reichsstädtischen Status an. Das führte erneut zu einem Konflikt mit dem Landesherrn. 1661 belagerte und eroberte Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen die Stadt und unterwarf sie dauerhaft seiner Herrschaft. Die Stadt verlor ihre politische Selbständigkeit.[4] Noch heute hält die Inschrift am Sockel des Sarkophags Christoph Bernhards in einer Kapelle des Doms in goldenen Lettern die Unterwerfung der Stadt fest: "Monasterium Reduxit." ("Er unterwarf Münster").[5]
Auf jenes Jahr 1661 bezieht sich der Untertitel des Bands "350 Jahre viel Platz". Das Misstrauen des Landesherren gegenüber seiner Stadt ging so weit, dass er im Westen der Stadt die Mauer zwischen dem Jüdefelder Tor und dem Neuwerk abreißen, die davor liegenden Gräben und Wälle einebnen und im Vorfeld gegenüber der Stadt eine fünfeckige sternförmige Zitadelle als Festung errichten ließ. Die Freifläche von ca. 12,5 ha zwischen Zitadelle und Stadtrand, die unbebaut blieb, war als Esplanade angelegt und diente als freies Schussfeld zur Beschießung der Stadt mit Kanonen.[6] "So diente der spätere Neu- bzw. Hindenburgplatz zu Beginn seiner Existenz der Absicherung der fürstbischöflichen Herrschaft nach innen."[7] Die Gräben, die die Zitadelle umgaben, sind noch heute im Schlossgarten erkennbar.
Die späteren Fürstbischöfe, die sich selten in Münster aufhielten, sondern vorwiegend in ihren ländlichen Residenzen, so wie Christoph Bernhard in Coesfeld, Ahaus und Sassenberg, verloren das Interesse an der Militäranlage, wie sie überhaupt wenig Interesse für das Militärische zeigten. Clemens August von Bayern, seit 1719 Fürstbischof von Münster und Paderborn und bald auch Kurfürst und Erzbischof von Köln sowie Fürstbischof von Hildesheim und Osnabrück, von daher "Herr Fünfkirchen" genannt, ein Zeitgenosse Friedrichs des Großen, war dafür bekannt, dass er die Subsidiengelder, die er aus Wien, London, Den Haag und Paris zum Unterhalt seines Heeres und zum Bau von Garnisonen und Exerzierplätzen erhielt, für seine aufwendige Hofhaltung, Jagdveranstaltungen und den Bau von Jagdschlössern verwandte, so beispielsweise für Schloss Clemenswerth bei Sögel im Emsland.[8] Junge Bauern aus der benachbarten preußischen Grafschaft Mark entzogen sich dem Militärdienst, indem sie über die Lippe in das Fürstbistum Münster flüchteten.[9]
Münster wurde im 18. Jahrhundert so etwas wie die Hauptstadt des münsterländischen Adels. Die Freiherren errichteten hier ihre Stadtpalais wie beispielsweise den Erbdrostenhof, der noch heute erhalten ist. Vor allem im Winter hielten sie sich mit ihren Familien in der Stadt auf. 35 Adelshöfe prägten das Stadtbild von Münster, und sie blieben größtenteils bis zur Bombardierung der Stadt im 2. Weltkrieg erhalten.[10] Das adelige Domkapitel und die Stadt drängten seit längerem darauf, die Zitadelle im Westen der Stadt abzureißen. Münster sollte eine "Bühne barocker höfischer Prachtentfaltung" werden.[11] In seiner Wahlkapitulation sagte Clemens August 1719 den Landständen zu, anstelle der Zitadelle ein Residenzschloss zu errichten und die Stadtmauer im Westen wieder zu schließen.[12] Aber die Zusage wurde erst unter Max Friedrich von Königsegg-Rothenfels eingelöst, der 1761 die Nachfolge als Fürstbischof von Münster und als Kurfürst von Köln antrat.
Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) hatte die Stadt unter Bombardierungen und Besetzungen stark gelitten. Auf der Freifläche zwischen Stadt und Zitadelle lagerten damals abwechselnd die befreundeten mit Österreich verbündeten und die gegnerischen mit Preußen verbündeten Truppen.[13] Die Befestigungsanlagen der Stadt hatten sich als militärisch wertlos erwiesen. 1764 ordnete Max Friedrich die Schleifung sowohl der Zitadelle wie der städtischen Befestigungsanlagen an. Mit der Durchführung dieser Maßnahmen und der Neuplanung wurde der General und Ingenieur Johann Conrad Schlaun beauftragt. Anstelle der eingeebneten städtischen Wallanlagen legte Schlaun einen Promenadenring an, und für die abgerissene Zitadelle entwarf er den Plan für ein großes zweiflügeliges Barockschloss im Westen vor der Stadt. 1764 wurde der Grundstein für das Residenzschloss gelegt.[14] Mit dem Schloss sowie mit dem Erbdrostenhof und der Clemenskirche in Münster und zahlreichen weiteren Bauten im Münsterland gab Schlaun der Kulturlandschaft des Münsterlands ein unverwechselbares Gepräge.
Die Esplanade, die Schloss und Stadt miteinander verband und gleichzeitig trennte, wurde jetzt als Grünfläche mit Baumalleen gestaltet.[15] Ein Aufsatz des Bandes zeigt ähnliche städtebauliche Lösungen in Europa auf, so in Mannheim, Straßburg, Montpellier, Lille und Paris.[16] Die von Schlaun als Ring um die Stadt angelegte neue Promenade führte in Nord-Süd-Richtung über den länglichen Platz, der eine Ausdehnung von 600 Metern hatte. Quer dazu verband ein Weg in Ost-West-Richtung die Frauenstrasse als Eingang in die Stadt in einer direkten Linie mit dem neuen Schloss.[17] Im 19. Jahrhundert bürgerte sich für die Esplanade, also für die größere Fläche zwischen Stadt und Schloss, der Name Neuplatz ein.[18] Das kleinere Areal unmittelbar vor dem Schloss wurde Schlossplatz genannt.
Bei der Inthronisation des Fürstbischofs Maximilian Franz, des 28jährigen Sohns Maria Theresias, der zugleich Kurfürst von Köln war, am 10. und 11. Oktober 1784 stand das inzwischen fertiggestellte Schloss im Mittelpunkt eines großen politischen und gesellschaftlichen Schauspiels, das die Versöhnung von Stadt und Landesherren symbolisierte.[19] Aber es war das erste und das letzte Mal, dass sich in dem neuen Residenzschloss in Münster der geistliche Staat und die Ständegesellschaft, deren Anfänge in das Mittelalter zurückreichten, feiern konnten. Fünf Jahre später beendete die Französische Revolution diese alte Ordnung. Mit dem Tod des Kurfürsten Max Franz 1801 in Wien, der seine Residenz in Bonn nach der Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch französische Truppen 1795 verlassen hatte, starb der letzte Fürstbischof von Münster. Ein Jahr später wurde das Fürstbistum als Staat aufgelöst und von Preußen übernommen. 1806 endete mit dem Heiligen Römischen Reich jene Institution, die dem überkommenen geistlichen Staat des Fürstbistums Münster historische und politische Legitimität verliehen hatte. So wurde das Schloss von Münster zum Abglanz einer untergegangenen Epoche.
Bei der preußischen Übernahme 1802 richteten sich der für die Zivilverwaltung zuständige Kammerpräsident Freiherr vom Stein auf dem Nordflügel und der für die Militärverwaltung zuständige Generalleutnant von Blücher auf dem Südflügel des Schlosses ein. Nach der preußischen Niederlage von Jena und Auerstedt 1806 und dem Frieden von Tilsit, durch den Preußen sämtliche Gebiete westlich der Elbe verlor, residierte im Schloss zur Zeit der napoleonischen Herrschaft von 1806 bis 1813 eine französische Verwaltung. Nach der Zuteilung Westfalens und des Rheinlands an Preußen durch den Wiener Kongress 1815 wurde Münster der Sitz des Oberpräsidenten der neugeschaffenen Provinz Westfalen. Der Oberpräsident bezog seinen Dienst- und Wohnsitz im Nordflügel des Schlosses und der Kommandierende General des für Westfalen zuständigen VII. Armeekorps den südlichen Flügel des Schlosses.[20]
Kurz nach 1900 wurden in der Nähe des Schlosses am nördlichen Rand des damaligen Schlossplatzes noch weitere Gebäude für die Verwaltung des Oberpräsidiums und für das Provinzialschulkollegium errichtet. Dabei blieb es, auch im Freistaat Preußen nach dem Sturz der Hohenzollernmonarchie 1918, bis zur Zerstörung des Schlosses am Ende des 2. Weltkriegs.[21] Der letzte von den Briten 1945 eingesetzte Oberpräsident vor der Auflösung der Provinz Westfalen, Rudolf Amelunxen, beschreibt den Anblick des Schlosses in seinen Erinnerungen: "Durch die Fensterlöcher meines Dienstzimmers schaute ich auf das zerstörte Schloss, das sich in eine gespenstische, von Rauch geschwärzte Ruine verwandelt hatte."[22]
Nach dem Wiederaufbau des Schlosses zog die Universität in das Schloss ein, die hier das Rektorat und einige Hörsäle einrichtete. Das Foyer und die Aula des Schlosses werden seitdem für festliche Veranstaltungen genutzt. So erhielt das Schloss zum Teil jene repräsentative Funktion wieder zurück, für die es ursprünglich im 18. Jahrhundert gebaut worden war.
Im 19. Jahrhundert war Münster eine Garnisonsstadt. Am Nordrand des Neuplatzes wurden eine Kaserne, ein Militärkasino, eine Reitbahn, ein Artilleriewagenhaus und das Standortlazarett errichtet. Der Platz selbst wurde als Exerzierplatz, Militärreitplatz und für Militärparaden genutzt. Ein Reiterstandbild, das 1897 vor dem Schloss errichtet wurde, erinnerte an die Reichsgründung von 1871 und an Kaiser Wilhelm I. Mit der Ausdehnung der städtischen Bebauung über den Promenadenring hinaus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigte die Stadt wachsendes Interesse an der Nutzung des Platzes. Er wurde häufig für Zirkusgastspiele genutzt. Seit 1879 wurden hier regelmäßig Viehmärkte abgehalten. Um die Jahrhundertwende wurde der dreimal im Jahr stattfindende Jahrmarkt, der Send, aus dem Stadtinnern auf den Neuplatz verlegt.
In der Weimarer Zeit - Münster hatte inzwischen die Einwohnerzahl von 100 000 überschritten und war Großstadt geworden - wurden Schlossplatz und Neuplatz als Orte für Großveranstaltungen und Demonstrationen entdeckt. Am 7. September 1930 fand der Festgottesdienst des 69. Deutschen Katholikentages vor dem Schloss statt. Ein eigener Beitrag des Bandes befasst sich mit dem inzwischen in Hindenburgplatz umbenannten Neuplatz als Aufmarschplatz für nationalsozialistische Massenkundgebungen. Das letzte Foto dieses Beitrags zeigt den Platz mit Soldaten der Reichswehr bei einem "Heldengedenktag" am 21. März 1943.[23] Im Krieg veränderte sich die Szenerie des Platzes durch die Anlage von Luftschutzanlagen, einem Löschteich und die Umwandlung der Rasenfelder in Kartoffel- und Getreidefelder. Gegen Kriegsende diente er zur Ablagerung des Trümmerschutts aus der zerstörten Innenstadt: "Statt eines großen Paradeplatzes, umgeben von prächtigen historischen Gebäuden, .... sah man dort nun nur noch Bombenkrater, Trümmer, Reste von Bunkern und einen riesigen Löschwasserteich sowie abgeerntete Getreidefelder."[24]
Nach dem Krieg brauchte man sechs Jahre, um die Schutthalten wieder abzubauen. Die britische Besatzung errichtete Baracken und halbrunde Nissenhütten auf dem Platz, die später von der Universität als Seminarräume und Hörsäle übernommen wurden, bis sie in den 1960er Jahren abgerissen wurden. Der Platz, der direkt neben einer Bundestrasse liegt, verwandelte sich allmählich in einen riesigen Parkplatz für Autos und Busse. Alle Pläne der letzten Jahrzehnte für eine Bebauung und Umgestaltung des Platzes scheiterten bisher.[25] Die Kampagne StadtBauKultur NRW umschrieb den Platz 2008 als "Steinwüste, Schlaglöcher, Staub und Sand und ... Autos, so weit das Auge reicht".[26] Dieser Zustand minderte aber nicht die Popularität des Platzes in der Bevölkerung. Sie rührt vor allem von seiner Nutzung für die dreimal im Jahr stattfindende Großkirmes des Send her, sowie den regelmäßig hier stattfindenden großen Flohmärkten, Zirkusveranstaltungen, einem jährlichen Reitturnier und weiteren "Events".
Ein Beitrag des Bandes vergleicht die heutige innerstädtische Funktion des Platzes mit der des mittelalterlichen Prinzipalmarkts in der Altstadt.[27] Kunstprojekte und die Skulpturenaustellungen der Jahre 1977, 1987, 1997 und 2007 versuchten den Platz in die Szenerie der Stadt gleichsam als Gesamtkunstwerk einzubeziehen.[28] Sie belegen, dass von ihm eine eigenartige Faszination ausgeht: "Bis heute lebt dieser unschiere Platz von der Konstanz seiner Größe und bloßen Weite. Innerhalb der kleinteiligen münsterischen Baustruktur bildet er eine enorme Ausnahme. Möglicherweise ist das gerade das Gegengewicht, das die Stadt benötigt, um sich nicht auf ihrer Niedlichkeit auszuruhen."[29]
Bei der Debatte um die Umbenennung des Platzes in den Jahren 2011 und 2012 ging es nicht um dessen Funktion, Bebauung oder Gestaltung, sondern lediglich um dessen Namen. 1927 war der damalige "Neuplatz" zum Anlass der Feiern zum 80. Geburtstag des Weltkriegsgenerals und Reichpräsidenten Hindenburg in "Hindenburgplatz" umbenannt worden. Eigentlich hatten Münster, Westfalen und das Rheinland keine besonderen Beziehungen zu Hindenburg. Bei der Wahl des Reichspräsidenten im Jahre 1925, bei der der protestantische "Ostelbier" Hindenburg als Kandidat der nationalen Rechten gegen den früheren Reichskanzler und katholischen rheinische Politiker Marx als Kandidat der demokratischen Parteien antrat, hatte Marx in Rheinland und Westfalen weit vor Hindenburg gelegen. In der Stadt Münster gewann Marx von den 54128 Wählerinnen und Wählern 71 Prozent der Stimmen, während für Hindenburg nur 29 Prozent stimmten.[30] Aber es gab damals in Münster eine starke nationalkonservative Gruppe, an deren Spitze der Oberbürgermeister Sperlich stand, der die Umbenennung über einen Magistratsbeschluss durchsetzte.[31]
Den Generationen die nach 1945 in Münster aufwuchsen, war der Platz nur noch unter dem Namen Hindenburgplatz bekannt. Das erklärt zum Teil den Widerstand gegen eine Umbenennung. Dem Ratsbeschluss vom März 2012, den Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen, waren mehrmonatige innerstädtische Debatten vorausgegangen, die mit einer großen öffentlichen Diskussion auf dem Rathaus am 29. 2.2012 endeten. Sie stand unter dem Motto: "Ehre, wem Ehre gebührt?! - Geschichte und Verantwortung in einer demokratischen Gesellschaft". Die Kontroverse über den Namen des Platzes war inzwischen zu einer geschichtspolitischen Debatte über die historische Identität der Stadt und ihre Erinnerungskultur geworden. Mit der gebotenen historischen Ironie sollte angeführt werden, dass eine vergleichbare Debatte auf dem Rathaus in Münster über die Identität der Stadt schon einmal im Jahre 1533 stattgefunden hatte, als über die Annahme oder Ablehnung der Lehre der Wiedertäufer gestritten wurde.[32]
Mit dem Ratsbeschluss war die innerstädtische Debatte jedoch noch nicht beendet, sondern sie eskalierte. Die Anhänger des Namens Hindenburgplatz schlossen sich zu einer Bürgerinitiative zusammen, die gegen den Ratsbeschluss ein Bürgerbegehren einbrachte, das auf Anhieb über 15 000 Stimmen erhielt, obwohl für einen Bürgerentscheid nur 10 000 Stimmen erforderlich gewesen wären. Das Bürgerbegehren führte an, dass "viele Münsteraner" mit dem Namen Hindenburgplatz "ein Stück Heimat" verbinden: "Wir möchten Erinnerungskultur bewahren, anstatt die Geschichte einfach auszulöschen." Mit dem Bürgerbegehren und dem Bürgerentscheid war die Hindenburgdebatte kein akademischer Streit mehr, sondern sie wurde eine Sache der kommunalen Demokratie. Das war ungewöhnlich. Denn einen Bürgerentscheid über die historische Identität einer Stadt hat es bisher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.[33]
In dem Wahlkampf für den Bürgerentscheid, der auch im Internet und auf Facebook ausgetragen und teilweise mit schrillen Tönen geführt wurde, beriefen sich die Anhänger des Namens Hindenburgplatz auf die positiven Erinnerungen, die mit dem Namen verbunden seien: "Der Platz trägt den Namen Hindenburgs seit 85 Jahren, ohne dass dies ein schlechtes Bild auf die Stadt Münster geworfen hätte. Send, Fahrradrennen, Münster-Marathon, Zirkusvorführungen und zahlreiche weitere Veranstaltungen fanden auf dem Platz statt. Geschadet hat der Name dem Ansehen unserer Stadt nie." Die Anhänglichkeit der Bevölkerung für den Platz wurde hier mit der für den Namen Hindenburg gleichgesetzt.[34]
Die Anhänger der Umbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz spitzten dagegen die Entscheidung auf die Alternative für oder gegen Hindenburg zu: "Nein zu Hindenburg heißt Demokratie leben." In dem Wahlaufruf hieß es: "Hindenburg war ein erklärter Gegner der Demokratie. Er hintertrieb aktiv das parlamentarische System der Weimarer Republik. Er verfolgte das Ziel einer 'nationalen Einigung' unter einer autoritären Staatsführung. Auch deshalb setzte er Adolf Hitler als Reichskanzler ein. ... Eine Umbenennung des heutigen Schlossplatzes in 'Hindenburgplatz' wäre eine Ehrung der Person Hindenburgs, die sich aus unserer Sicht verbietet. Als Stadt des Westfälischen Friedens wäre ein solcher Vorgang für Münster nicht nur äußerst peinlich, sondern kann auch zu einem dauerhaften Imageschaden führen."[35] Gegenüber deutschnationalen Geschichtsbildern beriefen sich die Schlossplatz-Anhänger auf die europäische Tradition, die in Münster mit der Erinnerung an den Westfälischen Frieden verbunden ist, so in der Europaratsausstellung in Münster von 1998.[36]
Die Anhänger des Hindenburgplatzes verteidigten die historische Rolle Hindenburgs, indem sie ihn zum Gegner Hitlers stilisierten. Ihr Wahlaufruf verwies auf die Kandidatur Hitlers gegen Hindenburg bei der Reichspräsidentenwahl 1932. Man berief sich dabei ausgerechnet auf die SPD als historischen Kronzeugen: "Die rechten Parteien wollten Hindenburgs Wiederwahl nicht unterstützen, sondern Hitler als Kandidaten aufstellen. Die SPD und bürgerliche Parteien trugen nun Hindenburgs Kandidatur. Sie sahen in ihm den einzigen, der unabhängig von Parteienkämpfen und weltanschaulichen Gräben die Nation zu einen möge und Hitler verhindern könnte." Ein knappes Jahr später stimmte die SPD als einzige Partei im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz, das Hindenburg unterzeichnete.
Während des Kampfs der Leserbriefe in den Lokalzeitungen schienen die Anhänger Hindenburgs noch in der Mehrzahl zu sein. Das änderte sich während des Wahlkampfs für den Bürgerentscheid, als die Hindenburg-Gegner zunehmend an Anhang gewannen. Zahlreiche Persönlichkeiten der Stadt bekannten auf Wahlplakaten und in der Wahlkampfzeitschrift der Schlossplatz-Anhänger ihre Ablehnung des Namens Hindenburgs, der mit dem Untergang der Weimarer Demokratie und dem Aufstieg Hitlers und des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wurde. So wurde aus der Abstimmung über den Namen des Platzes zugleich eine Abstimmung über die historische Rolle Hindenburgs, also eine Art historisches Plebiszit.
Nach der Abstimmung vom 16. September 2012 heißt der größte Platz der Stadt Münster künftig Schlossplatz. Damit wurde der bereits bestehende Name auch auf die größere Fläche zwischen Schloss und Stadt ausgedehnt. Der Sammelband über die Geschichte des Platzes, der zum Ende des innerstädtischen Dramas erschien, sollte offensichtlich die Emotionen, die in der Debatte hochgekocht waren, wieder besänftigen. Tatsächlich war die Geschichte des Platzes bei den erregten geschichtspolitischen Kämpfen um die Umbenennung völlig in den Hintergrund gedrängt worden. Der Sammelband ruft die enge Verflechtung von Stadt und Schlossplatz, die durch die Jahrhunderte bestand, wieder in Erinnerung. Das Buch macht auch deutlich, dass durch die Umbenennung des Platzes in Schlossplatz, Geschichte nicht "einfach ausgelöscht", sondern in einer größeren Dimension zurückgewonnen wurde.
Anmerkungen:
[1] Abdruck der Reden der Fraktionssprecher auf der Internetseite der Stadt Münster: http://www.muenster.de/stadt/strassennamen/hindenburg.html
[2] Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. München 2007; Jesko von Hoegen: Der Held von Tannenberg. Genese und Funktion des Hindenburg-Mythos (1914-1934), Köln u. a. 2007; Anna von der Goltz: Hindenburg. Power, Myth, and the Rise of the Nazis. Oxford 2009.
[3] Barbara Rommé (Hg.): Das Königreich der Täufer. Reformation und Herrschaft der Täufer in Münster (Ausstellungskatalog), 2 Bde., Münster 2000.
[4] Norbert Reimann: Die Haupt und Residenzstadt an der Wende zum 18. Jahrhundert, in: Franz-Josef Jakobi (Hg.): Geschichte der Stadt Münster, Bd. 1, Münster 1993, 325-363; Wilhelm Kohl: Christoph Bernhard von Galen. Politische Geschichte des Fürstbistums Münster 1650-1678, Münster 1964, 138-161.
[5] Udo Grothe: Das Grabmal des Fürstbischofs Christoph Bernhard von Galen (http://www.paulusdom.de/index.php?myELEMENT=133086).
[6] Stephan Winkler: Freies Schussfeld, aber kein freier Platz. Die Befestigungen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Schlossplatz, 33-38; Alfred Pohlmann: Der Platz zwischen Mauern und Wällen. Die Esplanade vor der Zitadelle, in: Schlossplatz, 39-46.
[7] Mechthild Black-Veldtrup: Ein Platz im Zentrum Westfalens. Seine Bedeutung für den Landesherren, in: Schlossplatz, 143-152; hier: 143.
[8] Wilhelm Ribhegge: Gesellschaft, Kultur und Politik im Fürstbistum Münster im 18. Jahrhundert, in: Klaus Bußmann / Florian Matzner / Ulrich Schulze (Hgg.): Johann Conrad Schlaun 1695-1773. Architektur des Spätbarock in Europa (Ausstellungskatalog), Münster 1995, 43-83.
[9] R[ulemann] Fr[iedrich] Eylert: Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III. (Dritter Teil, erste Abteilung), Magdeburg 1846, 17.
[10] Eugen Müller: Die Adelshöfe der Stadt Münster i. W., Münster 1921, 7-10 u. 236-238.
[11] Mechthild Black-Veldtrup, 145.
[12] Mechthild Black-Veldtrup, 144.
[13] Bernd Thier: Paradeplatz und Reitplatz. Die militärische Nutzung der Esplanade und des Neuplatzes (1661-1918), in: Schlossplatz, 165-170; hier: 165.
[14] Mechthild Black-Veldtrup, 144-147.
[15] Uwe Siekmann: Der Platz vor dem Schloss, in: Schlossplatz, 47-54; Ders.: "Historisches Grün" auf dem Neuplatz, Schlossplatz und dem Hindenburgplatz, in: Schlossplatz, 56-64.
[16] Eberhard Grunsky: Der Platz in Münster und andere Esplanaden, in: Schlossplatz, 131-141.
[17] Eberhard Grunsky: Ein Platz für viele Zwecke, in: Schlossplatz, 13-17.
[18] Hannes Lambacher: Viele Namen für einen Platz. Die langwierige Namensfindung, in: Schlossplatz, 153-162.
[19] Ribhegge, Gesellschaft, Kultur und Politik im Fürstbistum Münster im 18. Jahrhundert, 43 f.
[20] Mechthild Black-Veldtrup, 148-152.
[21] Bernd Thier: Am Platzrand. Das Areal und die Bebauung rund um die Esplanade, den Schlossplatz, den Neuplatz und den Hindenburgplatz seit 1661, in: Schlossplatz, 197-217.
[22] Rudolf Amelunxen: Ehrenmänner und Hexenmeister. Erlebnisse und Betrachtungen, München 1960, 148.
[23] Bernd Thier: Aufmarschplatz. Nationalsozialistische Großveranstaltungen auf dem Hindenburgplatz (1933-1944), in: Schlossplatz, 171-176.
[24] Bernd Thier: Luftschutz, Trümmer und Kartoffeln. Der Hindenburgplatz im Zweiten Weltkrieg (1939-1945), in: Schlossplatz, 177-182; hier: 182.
[25] Eberhard Grunsky: Der verplante Platz. Nicht realisierte Projekte 1719-2003, in: Schlossplatz, 81-117.
[26] http://www.sehenlernen.nrw.de/sehstation/muenster-standort02.html
[27] Barbara Rommé: Ein Platz im Bild. Grafik und Fotografien, in: Schlossplatz, 121-130.
[28] Regine Schiel: Viel Platz für Kunst, in: Schlossplatz, 65-70; Brigitte Franzen: Von hier aus. Münsters Hindenburgplatz als Transmissionsraum für Kunstprojekte 1977-2007, in: Schlossplatz, 71-80.
[29] Brigitte Franzen, Von hier aus, 80.
[30] http://www.gonschior.de/weimar/php/ausgabe_gebiet.php?gebiet=1451
[31] Tilman Pünder: Georg Sperlich. Oberbürgermeister von Münster in der Weimarer Republik, Münster 2006; Hans-Ulrich Thamer: Stadtentwicklung und politische Kultur während der Weimarer Republik, in: Jakobi, Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, Münster 1993, 219-284.
[32] Niederschrift über die Disputation auf dem Rathaus am 7. und 8.August 1533 in: Robert Stupperich (Hg.): Die Schriften Bernhard Rothmanns, Münster 1970, 95-119.
[33] Wilhelm Ribhegge: Stadt und Nation in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Entstehung der Zivilgesellschaft aus der Tradition der Städte, Münster 2002, 83-105.
[34] Vgl. die Internetseite der Bürgerinitiative Pro Hindenburgplatz: http://www.hindenburgplatz-muenster.de/index.html
[35] Vgl. die Internetseite der Bürgerinitiative Schlossplatz: http://schlossplatz-ms.de
[36] Klaus Bußmann (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa, 2 Bde (Ausstellungskatalog), Münster 1998.
Wilhelm Ribhegge