Silke Hensel / Barbara Rommé (Hgg.): Aus Westfalen in die Südsee. Katholische Mission in den deutschen Kolonien, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2018, 280 S., ISBN 978-3-496-01611-3, EUR 39,00
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Der vorliegende Sammelband ist zweifach eingebettet: Er ist Tagungsband zur Konferenz "Mission in Ozeanien während der deutschen Kolonialzeit" (im Oktober 2017 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster) und Begleitband zur Ausstellung "Aus Westfalen in die Südsee. Katholische Mission in den deutschen Kolonien" (von September 2018 bis Januar 2019 im Stadtmuseum Münster). Allein von der grundsätzlichen Disposition her verspricht der Band viel Neues, da im Gegensatz zur Frühen Neuzeit für das 19. Jahrhundert bislang vor allem die protestantische Mission untersucht ist, nicht die katholische. Der Klappentext erwähnt vielversprechend das "Bemühen [des Bandes], ländliche Gesellschaften in Westfalen und Ozeanien vergleichend darzustellen und die Verflechtungen zwischen Deutschland und Ozeanien aufzuzeigen".
Die 23 Aufsätze von 22 Autor:innen gliedern sich in drei Sektionen, zunächst "Mission und Kolonialismus". Zu Beginn scheidet Thoralf Klein die Begriffe "Mission", "Kolonialismus" und "Imperialismus" unter Einbezug der Forschungsgeschichte voneinander. Hier zeigt sich schon in einer Nussschale: Wer die zugespitzte Frage stellt, ob "die" Mission Kritikerin oder Handlangerin der weltlichen Macht gewesen sei, bekomme für eine vielschichtige und angemessene Antwort am besten den Band in die Hand gedrückt. Grundsätzlich gibt Klein beispielsweise (trotz des Gewaltdispositivs) die "geringe Durchdringungskapazität der kolonialen Bürokratie" (18) zu bedenken. Eingängig auch die Formulierung, dass das Zusammengehen von Mission (die nicht unbedingt formaladministrativer Strukturen bedurfte) und Imperialismus eher als "Zweckehe" denn als "Liebesheirat" gesehen werden könne: "Beide Seiten profitierten voneinander, verfochten jedoch in vielen Fällen unterschiedliche Interessen und gerieten daher regelmäßig in Konflikt" (21), etwa bei den Themen Landbesitz, Zwangsarbeit, Gewalt und Sexualmoral. Hermann Mückler gibt einen vergleichenden Abriss zu katholischen und protestantischen Missionsunternehmungen in Ozeanien, worauf zwei spezifischere Aufsätze aufbauen können: Silke Hensel widmet sich der Mission der rheinisch-westfälischen Ordensprovinz der Kapuziner in Mikronesien und Livia Rigotti den Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu. Dabei handelt es sich um eine Einrichtung, die eigens 1900 in Hiltrup bei Münster geschaffen worden war, um Missionsschwestern v.a. nach Deutsch-Neuguinea zu senden. Die konzisen Anmerkungen zur Quellengrundlage (61) machen eine Stärke des gesamten Bandes deutlich: Die präzisen Nachweise und die Verweise auf einige erst in Ansätzen erforschte Quellenbestände stellen einen wertvollen Impuls für künftige Forschungen dar. Dies gilt ebenfalls für Felicity Jensz' wissensgeschichtliche Analysen zu zwei Missionsperiodika der Herz-Jesu-Missionare. Georg Evers' Ausführungen zu Josef Schmidlin (1876-1944), dem "Begründer und Pionier der katholischen Missionswissenschaft" (52), nehmen eine oftmals vernachlässigte Metaebene hinsichtlich der Institutionalisierung von Missionswissen ein. Da Schmidlins ordentlicher Lehrstuhl für Missionswissenschaft 1914 an der Universität Münster geschaffen worden war, ist der regionale Bezug für den Band wesentlich - und gleiches gilt für das Thema Barbara Rommés. Die Niederlassung der Herz-Jesu-Missionare in Hiltrup (seit 1975 ein Stadtteil von Münster) hebt sie als "erste Neugründung einer katholischen Ausbildungsstätte für Missionare für die deutschen Kolonien auf westfälischem Boden" (74) hervor.
Die neun nachfolgenden Artikel halten die hervorragende Qualität des Bandes, sind aber unter einem nicht ganz zutreffenden Sektionstitel zusammengefasst. "Ländliche Gesellschaften im Vergleich" sind angekündigt, doch sind vielmehr Artikel zu Westfalen unverbunden neben Erkenntnisse zu Mikronesien/Ozeanien/Papua-Neuguinea/Neu-Irland gestellt. Völlig isoliert steht der Beitrag von Constanze Sieger, eine kenntnisreiche, handbuchartige Abhandlung zur Verwaltung im preußisch gewordenen Westfalen - lediglich wenige Zeilen zu Prozessionen rücken ihn ansatzweise Richtung Gesamtthema. Ulrich Pfisters summarische Ausführungen zur westfälischen Wirtschaft rufen ins Gedächtnis, dass "ländlich" nicht ausgerechnet "agrarisch" bedeutet und das Montangewerbe ebenso zu Westfalen gehört - wobei auch Pfister, sogar explizit (182), einen Bezug zur Mission nicht eingehen will.
Die letzte Sektion ist "Verflechtungen zwischen Deutschland und Ozeanien" gewidmet. Von den einleitenden Bemerkungen von Reinhard Wendt zur "Heidenmission in der Heimat" ist besonders bedenkenswert, dass "Mutterhäuser von Orden und Missionsgesellschaften in der Heimat [...] sich ebenfalls zu einer Art transkultureller Kontaktzone und Vermittlungsinstanz" (200) entwickelten - die Verflechtung hat also zwei Enden, nicht nur an der kulturellen Grenze in anderen Weltgegenden, sondern auch in Europa. Dass Missionar:innen im Vergleich zu anderen Europäer:innen "schon allein berufsbedingt engere Kontakte mit den lokalen Bevölkerungen" (200) pflegten wird ebenfalls selten in verflechtungsgeschichtlichen Studien berücksichtigt. Auch in den weiteren Beiträgen können passgenau spezifische Expertisen von Vertreter:innen der entsprechenden Institutionen platziert werden, insbesondere in Bezug auf Sammlungen von Ethnographica und naturkundlichen Exponaten, wobei letztere zu Unrecht oft ein Schattendasein fristen. In gewisser Weise schließen diese Betrachtungen nahtlos an Alexis von Posers Ergebnisse zur Sammlung der Hiltruper Missionsschwestern, schon in die Vorsektion eingefügt, an. Besonders zu erwähnen ist Markus Schindlbecks Beitrag zum Handel mit Ethnographica aus Ozeanien, da er vor originären Forschungsergebnissen knapp und allgemeingültig in die beteiligten Akteursgruppen einführt. Somit ist der Band auch ein echter Gewinn für Oberstufen und Proseminare, nicht nur für die interessierte Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Forschung. Auch das Kapitel zu einem wenig bekannten Quellenschatz für die visual history ist sehr anschlussfähig: Andrea Gawlytta zeigt anhand von Beispielen aus der Fotosammlung der rheinisch-westfälischen Kapuzinerprovinz (seit 2010 an der Universitäts- und Landesbibliothek in Münster), wie Abbildungen (mehrfach) verwendet, retuschiert und rekontextualisiert wurden - spannenderweise auch außerhalb von Missionsperiodika, wie etwa in "Kolonie und Heimat in Wort und Bild".
Dem Band gelingt es also vorbildlich, Spannungsverhältnisse und Konvergenzen bei Mission und Kolonialismus aufzuzeigen, und das anhand von konkreten Raumbezügen. Einem regionalen Publikum wurde mit Band und Ausstellung eine umfassende Verflechtungsgeschichte veranschaulicht, Studierenden, Forschenden und Lehrenden wird der Band dauerhaft eine Hilfestellung bei der Analyse oftmals kaum beachteter, vielversprechender Quellenbestände sein - ein doppelter Gewinn.
Fabian Fechner