Martina Fetting: Zum Selbstverständnis der letzten deutschen Monarchen. Normverletzungen und Legitimationsstrategien der Bundesfürsten zwischen Gottesgnadentum und Medienrevolution (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; Bd. 30), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013, 414 S., 8 s/w Abb., ISBN 978-3-6316-2964-2, EUR 66,95
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Skandale sind von der neueren Forschung als analytischer Zugang zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im deutschen Kaiserreich genutzt worden. So konnte in dieser spezifischen Perspektive sichtbar gemacht werden, wie der mediale Massenmarkt politische Handlungsbedingungen veränderte und auf ihm gesellschaftliche Wertvorstellungen verhandelt wurden. Wer politischen Einfluss ausüben wollte, musste medial präsent sein. Dies galt auch für die Institution Monarchie. Sie hatte sich erstaunlich überlebensfähig gezeigt. Bis zum 1. Weltkrieg überstand sie alle Revolutionen und auch alle Prozesse staatlicher Neu- und Umbildungen, in denen seit der Zeit um 1800 zahlreiche kleinere Staaten mitsamt ihren Thronen untergingen. Monarchen waren gefährdet, nicht die Monarchie. In Deutschland verlief im Unterschied zu Italien auch die Entstehung des Nationalstaates für die einzelstaatlichen Dynastien relativ schonend. Die meisten überlebten als Bundesfürsten. Für ihren Status gab es historisch kein Vorbild: ein monarchischer Bundesstaat, dessen Glieder mit nun stark begrenzten Kompetenzen ihre Fürsten behielten. Souverän war nur das Reich, nicht die Länder. Darin war sich die zeitgenössische Rechtslehre nach intensiven Debatten einig geworden. Dass die Reichsverfassung in der Souveränitätsfrage unbestimmt blieb, war der Preis für die Zustimmung der einzelstaatlichen Monarchen zu ihrer faktischen Entmachtung gewesen. Ihre neue Position als kompetenzbeschränkte Regionalmonarchen mit der Aura des Gottesgnadentums umgeben zu wollen, war aussichtslos. Umso entschiedener wurde der Anspruch auf eine Sonderstellung der Dynastien in der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung verteidigt. Das Prinzip der Ebenbürtigkeit bei der Eheschließung war ein Element in diesem Verteidigungskampf. Doch es wurde brüchig. Dies zeigen auch die vier Skandalfälle, die Martina Fetting in ihrer Erfurter Dissertation untersucht.
Im Herzogtum Sachsen-Meiningen ging der Landesherr 1873 eine morganatische Ehe ein, im Großherzogtum Hessen-Darmstadt ließen sich der Großherzog und seine standesgemäße Gemahlin auf deren Verlangen 1901 scheiden, im Königreich Sachsen entzog sich die Kronprinzessin ihrer Ehe mit dem Thronfolger 1902 durch Flucht, im Großherzogtum Oldenburg wurde die Landesherrin wegen ihrer außerehelichen Verhältnisse zunächst als angeblich psychisch krank separiert, 1909 unter Kuratel gestellt und schließlich vom Hof dauerhaft abgesondert. Die Autorin analysiert den Verlauf dieser Fälle auf breiter Quellengrundlage. Sie fragt nach dem Selbstverständnis der beteiligten Akteure, vor allem nach den Legitimitätsmodellen, die sich bei ihnen feststellen lassen. Was bedeutete für sie "monarchisches Prinzip"? Lässt sich in den vier Fällen eine "Systemkrise" für die Institution Monarchie erkennen? Für diese Fragen bieten sich die bundesfürstlichen Eheskandale an, weil damals - so die Grundannahme der Autorin - die Ehe zwischen dynastisch Ebenbürtigen "das wichtigste innenpolitische Werkzeug der Herrschaftssicherung" (65) gewesen sei. Wenn eine solche Ehe scheiterte, habe dies die Legitimität des "monarchischen Prinzips" zur Disposition gestellt. Doch wer argumentierte so und welche Ziele wurden damit verfolgt?
Fetting steckt in ihren Fallstudien jeweils präzise die Handlungsfelder ab und weist die Akteure nach, die auf ihnen wirkten: die Eheleute und ihre Berater im höfischen Umfeld; die hocharistokratischen europäischen Verwandtschaftsnetze, in welche die Verfahren um Eheschließung und Scheidung bzw. Trennung eingebunden waren; der deutsche Kaiser, der die Position des Oberhauptes in der 'Familie der deutschen Bundesfürsten' (vergeblich) beanspruchte; Diplomaten, hohe Staatsbeamte, Repräsentanten der Kirchen und des in der Residenzstadt präsenten Militärs; die Medien, die über die Skandale in den Fürstenhäusern zunehmend offen berichteten und zu eigenständigen Akteuren wurden, die alle Beteiligten in ihre Strategien einzubeziehen suchten; der Landtag bzw. Gruppen von Abgeordneten, die sich mitunter einschalteten; Ärzte, die als Experten konsultiert werden mussten, wenn der Skandal unter medizinischem Deckmantel verhüllt werden sollte; die Landesbevölkerung, die auf die Berichte über die Vorgänge am Hof reagierte. Einlinige Stellungnahmen lassen sich in keinem dieser Akteursbereiche und Handlungsfelder feststellen. Die Ehe- und Familienvorstellungen, die in den Skandalen verhandelt wurden, waren in Bewegung. Auch in der Hocharistokratie. Die junge Ehefrau, die sich aus der Ehe mit ihrem homosexuellen Mann durch Scheidung befreite und dann gegen den Willen des Zaren einen russischen Großfürsten heiratete, die Mutter von sechs Kindern, die sich ihrem Leben am Hof durch Flucht entzog, oder die Landesherrin, die sich mit Männern 'unter ihrem Stand' in Affären einließ - sie alle fanden unter ihren Standesgenossen und in der Öffentlichkeit Gegner und Fürsprecher. Alle Akteure hatten ihre eigenen Interessen, die die Autorin präzise aus den Quellen erschließt. Für 'die' Bevölkerung der Bundesstaaten, um die es geht, ist das jedoch nicht möglich. Hier arbeitet die Autorin mit dramatisierenden Zuschreibungen. Das macht sie, weil sie in der monarchischen Ehe die zentrale Grundlage für die "Basislegitimation" sieht, die der Institution Monarchie und dem "monarchischen Prinzip" in der Zeit des Kaiserreichs noch geblieben sei.
So vorzüglich die Studie die vielfältigen Handlungsebenen in den Skandalen ausleuchtet, mit deren Deutung als Zeichen einer "Systemkrise" löst sie sich von der Aussagekraft ihrer Quellen. Sie entwirft ein Bedrohungsszenarium, das für das Weltbild auf einen Teil der involvierten Fürsten zutraf, während andere die Idee eines Gottesgnadentums für überholt ansahen und offen für eine schrittweise Reform der Regierungsweise waren. Dass das sächsische Königshaus seine "Basislegitimität bei einem Großteil der sächsischen Bevölkerung" wegen des unfähigen "Konfliktmanagements des Hofes" verloren habe und "seine Daseinsberechtigung im Kreis der hochadligen Fürstenhäuser bedroht" gewesen sei (296), geben weder die Quellen noch das historische Umfeld her. So zentral war die ebenbürtige Ehe und deren Unversehrtheit für die Position der Institution Monarchie offensichtlich nicht. In der nüchternen Analyse des Staatsrechtlers Georg Jellinek liest es sich so: "das ganze Ebenburtsrecht" sei eine "Ruine", die nur in den deutschen Staaten, Österreich-Ungarn und Russland in Rechtsform stabilisiert, ansonsten lediglich als Sitte gepflegt werde. Und was Ebenbürtigkeit konkret bedeute, werde im europäischen Hochadel unterschiedlich gehandhabt wie auch der Umgang mit morganatischen Ehen. [1]
Auch wenn man der forcierten Kriseninterpretation der Autorin nicht folgt, ihre detaillierte Analyse bundesfürstlicher Eheskandale und des Umgangs mit ihnen bieten aufschlussreiche Einblicke in den Wandel der Institution Monarchie in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg.
Anmerkung:
[1] Georg Jellinek: Ausgewählte Schriften. Band 2, Berlin 1911, 158.
Dieter Langewiesche