Bernhart Jähnig (Hg.): Literatur im Preußenland von der ausgehenden Ordenszeit bis ins 20. Jahrhundert (= Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung; Bd. 27), Osnabrück: fibre Verlag 2012, 301 S., ISBN 978-3-938400-82-1, EUR 36,00
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Der vorliegende Band präsentiert die erste Hälfte der Ergebnisse der Jahrestagung der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung 2010, die sich im Erfurter Augustinerkloster diesmal ganz der Literaturgeschichte gewidmet hat. Während die Beiträge zur mittelalterlichen Literatur separat publiziert werden sollen, liegen hier schon die schriftlichen Fassungen der Vorträge zum Zeitraum vom 15. bis zum 20. Jahrhundert vor. Dieses Vorgehen bringt zwangsläufig zwei Probleme mit sich, die der Herausgeber Bernhart Jähnig im Geleitwort auch anspricht. Erstens können die im Band versammelten Beiträge lediglich ausgewählte Aspekte der "Literatur im Preußenland" behandeln und stehen nur in sehr loser Verbindung zueinander. Zweitens ist eine Beschränkung auf die Landesgeschichte im engeren Sinne nicht durchgängig möglich und sinnvoll, da über die Ordenszeit hinaus stets Bezüge zur Literaturproduktion anderer Regionen zu berücksichtigen sind (7).
Mit diesen beiden Punkten ist man indes schon beim Hauptproblem des Tagungsbandes angekommen, das sich nicht so leicht mit der Begründung beiseite schieben lässt, dies sei bei einem solchen Unterfangen notwendig der Fall: Was die Literatur des Preußenlandes im Kern auszeichnet und gegenüber anderen Literaturen zusammenhält, wird an keiner Stelle auch nur ansatzweise diskutiert, was schon im ersten Beitrag des Bandes deutlich wird. Freimut Löser beschäftigt sich höchst materialreich und kompetent mit der Funktion volkssprachiger Bibelübersetzungen des Deutschen Ordens vor Martin Luther. Löser wirft - mit Fokus übrigens auf Beispiele des 14. Jahrhunderts, obwohl die Sektion laut ihres Titels eigentlich Übersetzungen erst des 15. und 16. Jahrhunderts zum Thema hat - immer wieder die Frage auf, was die Übersetzungstätigkeit im Umfeld des Deutschen Ordens als solche kennzeichne. Allerdings geht deren Spezifik im Vergleich mit österreichischen Beispielen im Laufe der Analyse dann doch leider ebenso unter wie die von Löser eingangs betonte Differenz zwischen Bibelübersetzung und Bibelepik.
Derartige Schwierigkeiten stellen sich im Band immer wieder, nicht zuletzt im Beitrag von Jens Stüben, der eine an die Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts erinnernde Motivgeschichte der Kiefer schreibt, wobei - ohne dass dies einen klaren Erkenntnisgewinn bedeuten würde - "das Preußenland als Landschaft [...] weit überschritten" wird (8). Auch die Aufnahme des Aufsatzes von Reinhard Goltz ist unter konzeptionellen Aspekten durchaus fragwürdig: So erhellend dessen Betrachtung der ostpreußischen Einsprengsel in der niederdeutschen Literatur nach 1945 auch ist, so handelt es sich doch um einen Beitrag zur niederdeutschen Philologie und eben nicht speziell zur Literatur im Preußenland.
Kann man solchen konzeptionellen Aspekten bei einem Tagungsband freilich mit Nachsicht begegnen, muss ein strengerer Blick auf die Qualität der Einzelbeiträge fallen. Neben den bereits erwähnten Aufsätzen von Löser und Goltz kann die sehr akribische Auseinandersetzung Jolanta Gelumbeckaitės mit der von ihr auch editierten Wolfenbütteler Postille von 1573 einige Annahmen der Liturgiegeschichte überzeugend revidieren. Für ihre jeweiligen Spezialgebiete fruchtbar sind gleichermaßen die Beiträge von Astrid Dröse zu Georg Greflingers Wirken in Danzig und Axel E. Walters Suche nach konfessionspolitischen Aussagen in Simon Dachs Kasualdichtung. Beide zeichnen sich durch eine begrüßenswert textnahe Betrachtungsweise mit klarem Erkenntnisinteresse aus, womit es vor allem Dröse gelingt ihren Anspruch einzulösen, einen von der Forschung eher vernachlässigten Autor des 17. Jahrhunderts wieder in seiner literarhistorischen Bedeutung sichtbar werden zu lassen.
Leider enthält der Band aber darüber hinaus mehrere Beiträge, deren Erkenntniswert nicht nur für eine Charakteristik der "Literatur im Preußenland" höchst zweifelhaft ist. Kann sich schon Arno Mentzel-Reuters Beschäftigung mit Felix Dahn in Königsberg nicht mit der ähnlich angelegten Analyse Dröses (Wirken eines Autors in einer Stadt) messen, weil die Analyse der konstitutiven Funktion Ostpreußens in "Ein Kampf um Rom" immer wieder von Anekdotischem unterbrochen wird, enttäuschen auch die zwei Beiträge zu Johann Georg Hamann: Joseph Kohnen beschränkt sich auf eine psychologisierende Darstellung der Biografie von Hamanns Sohn Johann Michael, der schon in den Formulierungen mehr objektive Distanz gut getan hätte, etwa in Aussagen wie "Die geistige Überlegenheit des Vaters hat den Sohn im ersten Lebensabschnitt in unheilvoller Weise [!] geradezu verkrüppelt [!]" (110). Gleichermaßen befasst sich Renate Knoll ebenfalls nur indirekt mit Hamann, indem sie die Diskussion Jean Pauls und Jacobis über die "Grenzen der Poesie" nachzeichnet und dabei in der Fülle der zitierten Quellen zwar eine ausgesprochene Belesenheit zur Schau stellt, aber die notwendige klare Leitlinie doch vermissen lässt. Schließlich bleibt auch Dagmar Scherfs Untersuchung von Johannes Bobrowskis Darstellung von Heimat und Heimatverlust unergiebig. Die Schriftstellerin, die immerhin ihre Dissertation über Bobrowski verfasst hat und von der man daher eigentlich wissenschaftliche Objektivität erwarten dürfte, bietet letztlich nicht mehr als eine Aneinanderreihung verschiedener leicht kommentierter Textzitate und biografischer Informationen nicht nur zum behandelten Dichter, sondern auch zu sich selbst und ihrer ersten Reaktion auf dessen Gedichte.
Insgesamt hätte man sich - bei allem Zugutehalten einer gewissen Offenheit der Konzeption - an vielen Stellen eine intensivere Redaktion durch den Herausgeber gewünscht, einerseits um das übergeordnete Thema besser zu erfassen, andererseits aber auch, um die wissenschaftliche Qualität als solche zu sichern. Hier hätte auch auf kleinere Details geachtet werden können, etwa die fragliche Differenz zwischen Dichten und Schreiben, die die dritte Sektion andeutet, aber nicht klärt, oder die mehrfach auffallenden Druckfehler. Um wirklich brauchbare Aussagen über die "Literatur im Preußenland" zu erhalten, ist mit dem besprochenen Tagungsband noch zu wenig getan worden, und es bleibt nur die Hoffnung, dass der noch ausstehende Mittelalterband dies auszugleichen im Stande sein wird.
Kristin Eichhorn