Daniel Riches : Protestant Cosmopolitanism and Diplomatic Culture. Brandenburg-Swedish Relations in the Seventeenth Century (= The Northern World. North Europe and the Baltic c. 400-1700 AD. Peoples, Economies and Cultures; Vol. 59), Leiden / Boston: Brill 2013, X + 332 S., ISBN 978-90-04-24079-7, EUR 131,00
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Daniel Riches widmet sich in seiner Dissertation der diplomatischen Kultur und dem "protestantischen Kosmopolitanismus", so wie diese in den Beziehungen zwischen Brandenburg und Schweden während des 17. Jahrhunderts ablesbar sind.
Den Stoff ordnet Riches dabei fast ausnahmslos chronologisch an, er bewegt sich von der Begründungsphase der diplomatischen Beziehungen zwischen Schweden und Brandenburg ("Foundations, 1575-1615", 25-76) über die Konvergenz der diplomatischen Kontakte ("Convergence, 1615-1653", 77-140) hin zu einer engeren Verknüpfung ("Connection, 1653-1691", 181-224). Die chronologische Schau endet mit den zunehmenden konfessionellen Spannungen gegen Ende des 17. Jahrhunderts ("The Rise of Confessional Tension: Diplomatic Culture Under Duress", 225-268) und einem Epilog (269-291). Nur einmal durchbricht Riches die strikte Chronologie, um sich den Eheverhandlungen zwischen den beiden Staaten zuzuwenden ("Marriage Alliances: Diplomatic Culture in Action", 141-181).
Für seine Darstellung hat Riches zahlreiche ungedruckte Quellen unter anderem aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und dem schwedischen Reichsarchiv herangezogen. Allein das Auffinden vieler Quellen muss eine eminente Fleißarbeit gewesen sein, ganz zu schweigen vom Transkribieren des umfassenden Materials. Dadurch gelingt es Riches gut einhundert Jahre diplomatische Geschichte neu zu beleuchten und mit vielen, bisher oft unbekannten Details anzureichern. Trotz dieses immensen - manchmal fast ermüdenden - Detailreichtums stellt sich über lange Phasen der Lektüre ein von der Darstellung unbefriedigter Wissensdurst ein. Zwar verortet Riches seine Arbeit durchaus im Kontext bisheriger Forschung sowie auch methodologisch und theoretisch ("Introduction", 1-24), indem er persönliche Kontakte, religiöse oder konfessionelle Überzeugungen sowie Netzwerke als Beschreibungskategorien für die Formierung einer "nordeuropäischen Diplomatenklasse" (1) heranzieht. Die diplomatische Kultur des langen 17. Jahrhunderts in dieser Form als Interaktion und produktiven Austausch einer schwer greifbaren und relativ großen Gruppe verschiedener Akteure aufzufassen, ist insgesamt ein höchst begrüßenswerter und sympathischer Ansatz einer "New Diplomatic History" (4 f.). Allerdings, so scheint mir, werden die dadurch geschaffenen Interpretationsmöglichkeiten oftmals verschenkt, was teilweise an der allzu strikt chronologischen Darbietung des Materials liegt. Wertvolle Interpretationsansätze, die es ermöglicht hätten, Riches' an und für sich höchst spannende Untersuchungskategorien weiter zu öffnen und tiefschürfender zu analysieren, verstreichen so oftmals ungenutzt. So arbeitet Riches im Kapitel, das die Begründung der diplomatischen Beziehungen zwischen Schweden und Brandenburg im 17. Jahrhundert beschreibt, drei grundlegende Prinzipien diplomatischer Aktivität heraus: diese sind erstens religiöse und politische, zweitens bildungsmäßige und kulturelle sowie drittens interpersonale Faktoren. Allerdings vertieft sich Riches dann doch vornehmlich in Akten, die cum grano salis als herkömmliche diplomatische Korrespondenz bezeichnet werden können, und öffnet sich nur ansatzweise dem eigenen breiter gefassten Anspruch. Wenn er also (zum Beispiel 119f.) auf die frühneuzeitliche Freundschaftskultur verweist, so wäre dies ein höchst spannender Diskurs gewesen, der auch dazu hätte genutzt werden können, das chronologische Korsett der Arbeit aufzubrechen. Eine Diskussion der frühneuzeitlichen amicitia hätte zudem andere Quellen examinieren können, u.a. Stammbucheinträge, die Netzwerke und Freundschaften beleuchten könnten. Dies wäre insbesondere auch im Kontext von Bildungsreisen und Studienorten diplomatisch aktiver Persönlichkeiten von Interesse gewesen, die zu Recht ein immer wieder von Riches behandeltes Thema sind. Zudem hätten auch der Versuch einer Kollektivbiographie und eine zusammenfassende Diskussion (religiöser) Sozialisationen der Akteure interessante Entwicklungslinien offen legen können. Die weitgehende Absenz einer solchen interpretativ nutzbaren Superstruktur und Gliederung der Arbeit wäre wohl an sich noch ein akzeptables Manko der Arbeit. Da aber auch die Forschungsliteratur nur unzureichend aufgearbeitet ist, existiert stellenweise - trotz stupender Quellenkenntnis - eine gewisse Oberflächlichkeit. Riches arbeitet sehr schön heraus, dass konfessionelle, in Sonderheit auch innerprotestantische Befindlichkeiten zwischen Luthertum und Calvinismus das brandenburgisch-schwedische Verhältnis determinierten. Gerade aber die Geschichte reformierter Einwanderer in Schweden seit etwa 1550 hätte anhand einschlägiger Literatur weitaus besser dargestellt werden können. Hier fehlt etwa die Einarbeitung der Ergebnisse der einschlägigen Arbeiten von Sven Kjöllerström (Striden kring kalvinismen i Sverige under Erik XIV, Lund 1935), Fredric Bedoire (Hugenotternas värld, Stockholm 2009) oder der in derselben Reihe wie Riches' Buch erschienenen Studie von Alexia Grosjean (An Unofficial Alliance: Scotland and Sweden 1569-1654, Leiden & Boston 2003). Auch zu den Studienreisen und der Bedeutung verschiedener deutscher Universitäten für das schwedische Reich hätten aktuellere Arbeiten die vorliegende Studie deutlich bereichern können. Jan Amos Comenius' Aufenthalt in Schweden und die Kontakte zu unter anderem Axel Oxenstierna hätten ebenfalls ausführlicher bearbeitet werden können, auch wenn dies Thema nicht zwangsläufig in engem Konnex zu der brandenburgisch-schwedischen Diplomatiegeschichte steht. Die hier vorgebrachte Kritik kann also in drei Hauptpunkten zusammengefasst werden: Eine zu starke chronologische und zu schwache thematische Ordnung des Materials, das Fehlen wichtiger anderer Arbeiten neueren und auch älteren Datums sowie schließlich eine manchmal zu starke Fixierung auf das brandenburgisch-schwedische Verhältnis, das zwar hauptsächlicher Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist, aber ob des Anspruches, protestantischen Kosmopolitanismus darzustellen, nicht sklavisch eng geführt werden sollte.
Dennoch so gibt es viel aus Riches' Buch zu lernen. Höchst instruktiv ist die Darstellung der Außenseiterrolle Schwedens im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts (unter anderem 28 ff.), der Abhängigkeiten Brandenburgs von Polen und der Rivalität der schwedischen zu den polnischen Vasas und wie dies Verhältnis gegenüber Polen zu einem Interessenabgleich zwischen Brandenburg und Polen führte (insbesondere 79 ff.). Dass Riches auch generell die Bedeutsamkeit innerprotestantischer Zusammenarbeit herausstreicht, ist wohl - zumindest für einen Kirchenhistoriker - das bedeutsamste Ergebnis der Studie. Zu großer Form läuft die Darstellung der diplomatischen Kultur im letzten untersuchenden Kapitel auf ("The Rise of Confessional Tension"), in welchem Riches darlegen kann, dass unter dem Eindruck der Aufhebung des Edikts von Nantes sowie des schwedischen Kirchengesetzes von 1686, das einen konfessionell einheitlichen schwedischen Staat propagierte, innerprotestantische Irritationen das wechselseitige Verhältnis störten. Die vom konservativen schwedischen Klerus getragenen konfessionalisierenden Bemühungen wurden von Pierre de Falaiseau, dem brandenburgischen Gesandten in Schweden, mit scheelen Augen gesehen - und entsprechend kritisiert. Auch nach dem Westfälischen Frieden war das konfessionelle Moment folglich nicht unbedeutend geworden, und auch die einzelnen protestantischen Denominationen waren nicht automatisch einander näher gekommen. Riches kann somit Sven Göranssons These, dass sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die europäische Konfessionspolitik in Auflösung befand, vielleicht nicht gänzlich falsifizieren, aber doch immerhin in ihrer postulierten Absolutheit moderierend modifizieren.
Riches Studie ist somit eine interessante und nützliche Arbeit, die allerdings das Potential des Themas nicht ausschöpft. Vielleicht wäre weniger hier wirklich mehr gewesen, insbesondere eine chronologische Beschränkung des Themas, die aber gleichzeitig tiefergehende Analysen ermöglicht hätte. In einem frühen Stadium der Dissertation hätte der Verfasser eines Betreuers bedurft, der ihm empfohlen hätte: Kill your darlings!
Otfried Czaika