Rezension über:

Heinz A. Richter: Griechenland 1950-1974. Zwischen Demokratie und Diktatur (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 60), Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2013, 501 S., ISBN 978-3-447-06908-3, EUR 49,00
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Rezension von:
Vaios Kalogrias
Fern-Universität Zypern
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Vaios Kalogrias: Rezension von: Heinz A. Richter: Griechenland 1950-1974. Zwischen Demokratie und Diktatur, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/24044.html


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Heinz A. Richter: Griechenland 1950-1974

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Wissenschaftliche Darstellungen zur Zeitgeschichte Griechenlands in deutscher Sprache sind selten - obwohl die gegenwärtige Wirtschaftskrise genügend Anlass zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Vergangenheit dieses südosteuropäischen EU-Landes bietet. Es ist daher zu begrüßen, dass der Griechenland-Experte Heinz Richter in seiner neuen Arbeit die weniger bekannte, dafür aber konfliktreiche Epoche zwischen dem Ende des verheerenden Bürgerkriegs (1946-1949) und den mühsamen Anfängen der "dritten Republik" (1974) zum Thema macht. Dabei handelt es sich um den dritten Teil seiner Darstellung zur griechischen Geschichte im 20. Jahrhundert, die mit dem Band "Griechenland im 20. Jahrhundert. Megali Idea - Republik - Diktatur. 1900-1940" begann und mit dem Band "Griechenland 1940-1950. Die Zeit der Bürgerkriege" fortgesetzt wurde. Im jetzt vorliegenden Band untersucht Richter die autoritär geprägte Nachkriegsordnung, die 1967 in die Etablierung einer rechtsgerichteten Militärdiktatur mündete.

Wie aber kam es zu dieser Entwicklung? Das ist die zentrale Frage, die das ganze Buch wie ein roter Faden durchzieht. Richter sieht die Hauptgründe für Griechenlands (langen) Weg in die Diktatur einerseits in der militärischen Niederwerfung der kommunistisch geführten Widerstandsbewegung EAM (Nationale Befreiungsfront) durch britische und exilgriechische Verbände im Dezember 1944 und andererseits in der Wiederbelebung der alten klientelistischen Strukturen in den Jahren 1945/46. Ein weiterer Grund ist für ihn die totale politische und wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes von Großbritannien und ab 1947 von den USA (9-10). Diese Sichtweise hat in der Tat vieles für sich. Doch zwei Anmerkungen sind hier angebracht: Die erste hat mit der politischen Zielsetzung der prokommunistischen Résistance zu tun, die dem Autor zufolge "in den von den Partisanen kontrollierten Regionen den griechischen Staat von den Graswurzeln her" aufgebaut und "eine Nachkriegsrepublik mit demokratischen Strukturen" angestrebt habe (9). Die Auswertung von inzwischen öffentlich zugänglichen EAM-freundlichen Quellen lässt jedoch Zweifel an dieser These aufkommen: Der "Partisanenstaat" war eher eine im Entstehen begriffene stalinistische Diktatur, und die Kommunistische Partei hatte keineswegs vor, eine Republik als endgültige Staatsform zu akzeptieren. [1] Die zweite Anmerkung betrifft die prowestliche Orientierung der Athener Eliten. Diese war jedoch weniger ideologisch bedingt als vielmehr Ausdruck des nationalen Sicherheitsbedürfnisses des Landes im Kalten Krieg, grenzte es im Norden doch an drei kommunistische Staaten.

Für Richter war die politische Hegemonie der Rechten in den fünfziger Jahren entscheidend für die weitere Entwicklung. Seine Bemerkung, dass Griechenland unter der Regierungsherrschaft von Marschall Alexandros Papagos (1952-1955) eine Scheindemokratie war und "fatal an die Systeme totalitärer Staaten" erinnerte (79), ist allerdings etwas übertrieben. Die politische Tätigkeit der "Vereinigten Demokratischen Linken" (EDA) wäre - allen Einschränkungen zum Trotz - in einem totalitär regierten Land kaum möglich gewesen. Zugleich weist Richter darauf hin, dass Papagos' "Hellenische Sammlungsbewegung" keine Klientelpartei im engeren Sinne war und einige vielversprechende Politiker hervorbrachte (73). Einer von ihnen, Konstantinos Karamanlis, gewann sogar das Rennen um Papagos' Nachfolge im Ministerpräsidentenamt nach dessen Tod im Oktober 1955. Kein anderer Politiker prägte die Geschichte Griechenlands in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wie der "kühle Makedonier".

Karamanlis, ein "anständiger Konservativer" (139), ging zunächst daran, den Zusammenhalt des bürgerlichen Lagers aufrechtzuerhalten. Während er Erfolge in der Wirtschaftspolitik verzeichnete, blieben grundlegende politische Reformen aus. Sein Ziel, "Griechenland wirtschaftlich voranzubringen und für die Bevölkerung bessere Lebensbedingungen zu schaffen" (162), sei nur in Zusammenarbeit mit dem bestehenden System möglich gewesen, so Richters wohlwollendes Fazit über Karamanlis' erste Regierungszeit (1955-1963).

Zu Beginn der sechziger Jahre aber traten die Demokratiedefizite deutlich hervor. Karamanlis' großer Widersacher, Georgios Papandreou, Chef eines im September 1960 gegründeten Bündnisses der Mitte-Links-Kräfte, der "Zentrumsunion", regierte zwischen 1963 und 1965. Während dieser "liberalen Pause" fanden wichtige Demokratisierungsversuche statt. Im Gegensatz zu Karamanlis verfügte Papandreou aber nicht über die Fähigkeit, zwischen den verschiedenen Konfliktparteien zu vermitteln. Er schaffte es nicht, die "Zentrumsunion" zu einer einheitlichen Partei umzustrukturieren und die Unabhängigkeitstendenzen einiger Unionsabgeordneter einzudämmen. Ein weiteres Problem hörte auf den Namen seines Sohnes, Andreas, der Regierungsmitglied wurde - laut Richter eine folgenschwere Entscheidung. Seine unvorsichtigen Äußerungen über die Abschaffung der Monarchie im Fall eines Militärputsches und seine Kontakte zu linksgerichteten Organisationen (239) beunruhigten die US-Botschaft und die Mitglieder von extrem antikommunistisch ausgerichteten Geheimorganisationen in der Armee.

Doch das Problem, das den "alten Mann" schließlich zu Fall brachte, war sein Streit mit König Konstantin über die Unterordnung des Militärs unter parlamentarische Kontrolle (245-248). Sehr präzise schildert Richter die Gespräche zwischen dem König, Papandreou und dem Vorsitzenden der "Nationalen Radikalen Union" (ERE), Panagiotis Kanellopoulos, über die Beilegung der politischen Krise. Als sich eine Einigung abzeichnete, war es für die Demokratie bereits zu spät. Die Vorgeschichte und der Ablauf des Militärputsches gehören zu den spannendsten Seiten des Buches. Richter weist nach, dass der Putsch der Obristen vom 21. April 1967 die USA, das griechische Königshaus, die Militärführung, die Polizei und die politischen Parteien gleichermaßen überraschte (313). Damit räumt er mit einer der beliebtesten Legenden der griechischen Nachkriegsgeschichte auf, der zufolge die CIA hinter den Kulissen agiert und die Zerstörung der Demokratie initiiert habe. Richter bezeichnet die prominenten Gesichter der Diktatur, Georgios Papadopoulos, Stylianos Pattakos und Nikolaos Makarezos, zutreffend als "fanatische Antikommunisten" (309). Unter dem Einfluss der Metaxas-Diktatur (1936-1940) wollten sie Griechenland vor dem Kommunismus retten und zugleich von den Einflüssen der "westlichen Dekadenz" abschirmen (310-312).

War das Obristen-Regime reformierbar? Richter verneint diese Frage. Aufgrund der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu kommunistischen Ländern (China, Bulgarien, DDR) und Papadopoulos' Machtkonzentration, so schreibt er, scharte sich die "alte Garde der Revolution" um den Chef der berüchtigten Militärpolizei, Dimitrios Ioannidis - eine zwielichtige Gestalt, die gern im Hintergrund agierte (383-388). Der Studentenaufstand im Athener Polytechnikum im November 1973 gab ihr die Gelegenheit, Papadopoulos zu stürzen und das Land auf den "Weg der Revolution" zurückzubringen. Papadopoulos' Ablösung durch Ioannidis leitete Richter zufolge die Radikalisierungsphase der Diktatur ein - mit katastrophalen Folgen. Der Putsch gegen den "roten" Erzbischof Makarios, der zur Vereinigung Zyperns mit Griechenland führen sollte, hatte die Militärintervention der Türkei zur Folge (455). Die Besetzung des nördlichen Teils Zyperns aber, schreibt der Autor, hatte einen positiven Effekt: Sie führte zum Zusammenbruch des Obristen-Regimes und machte den Weg frei für die Rückkehr der - allerdings klientelistisch geprägten - Demokratie (83).

Insgesamt zeichnet sich Richters Buch durch eine Fülle von Informationen aus, die bis ins kleinste Detail gehen und seiner Argumentation kräftigen Ausdruck verleihen - ein unentbehrliches Werk für das Verständnis der autoritär geprägten Nachkriegsära Griechenlands.


Anmerkung:

[1] Nikos Marantzides: Der Grammos-Staat. Aspekte der kommunistischen Herrschaft in Griechenland, in: Der griechische Bürgerkrieg. Eine Bilanz, hgg. von Ioannes Mourelos / Iakovos Michailides, Athen 2007, 77-95.

Vaios Kalogrias