Rezension über:

Alexander Demandt: Pontius Pilatus (= C.H. Beck Wissen; 2747), München: C.H.Beck 2012, 128 S., 2 Kt., ISBN 978-3-406-63362-1, EUR 8,95
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Ralf-Peter Märtin: Pontius Pilatus. Römer, Ritter, Richter, Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2012, 176 S., 14 s/w-abb., ISBN 978-3-596-19265-6, EUR 9,99
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Rezension von:
Raphael Brendel
München
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Raphael Brendel: Zwei Biographien zu Pontius Pilatus (Rezension), in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2 [15.02.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/02/21196.html


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Zwei Biographien zu Pontius Pilatus

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Während die Flut der Biographien etwa zu Augustus stetig zunimmt, sind seinem ähnlich bekannten Zeitgenossen Pontius Pilatus, immerhin ebenfalls eine der berühmtesten Gestalten der Antike, nur wenige Lebensbeschreibungen gewidmet worden. Der Grund hierfür ist an erster Stelle in der sich deutlich unterscheidenden Quellenlage zu beiden Persönlichkeiten zu suchen. So lassen sich zu Pilatus überhaupt nur wenige Quellen zusammentragen (hierüber informiert detailliert Demandt) und unter diesen konzentrieren sich die christlichen Berichte auf den Prozess Jesu und die jüdischen Berichte auf einige für die jüdische Bevölkerung wichtige Ereignisse während der Statthalterschaft des Pilatus. In der heidnischen Historiographie (konkret Tacitus) taucht Pilatus nur kurz als Randnotiz auf, die sich zudem auch wieder auf den Prozess Jesu bezieht. Münzen und Inschriften bieten einige wertvolle Ergänzungen, können aber den mangelhaften Quellenbestand auch nicht entscheidend ausgleichen. Zudem ist weder die Karriere des Pilatus vor seiner Statthalterschaft noch sein Schicksal nach seiner Abberufung (wenn man von einigen späteren Legenden ohne Glaubwürdigkeit absieht) bekannt.

Ein Biograph des Pilatus steht somit vor nicht geringen Problemen, die sich auf unterschiedliche Weise lösen lassen. Wie es der Zufall will, erschienen im Jahr 2012 mit den Werken von Alexander Demandt und Ralf-Peter Märtin gleich zwei Bücher über Pilatus, die in ihrer Vorgehensweise unterschiedlicher kaum sein könnten. Die beiden Autoren haben jedoch, um so viel vorab zu sagen, die ihnen gestellte Aufgabe jeweils zufriedenstellend gelöst.

Beide Bücher sind gewissermaßen nicht ganz neu: Demandts Biographie liegt in dieser Form erstmals vor, geht aber in seinen Grundlagen auf eine Reihe eigener älterer Forschungen zurück.[1] Märtins Biographie erschien erstmals 1989 (und wurde 1998 ins Tschechische übersetzt), in geringfügig erweiterter Form 1999 und bildet jetzt in der (abermals ergänzten) Fassung von 2012 die dritte Auflage (die fehlende Kennzeichnung als solche ist wohl darin begründet, dass jede einzelne der drei Fassungen bei einem anderen Verlag erschien).

Zunächst zu Märtin, über den nicht viel zu sagen ist. Dies zum einen, da der größte Teil des Buches über ein Vierteljahrhundert alt ist (Änderungen kommen gelegentlich vor, etwa 14 zum Testimonium Flavianum); zum anderen aber auch, da es hauptsächlich zur Unterhaltung des Lesers gedacht ist. Im Vorwort etwa bekennt Märtin, dass über die frühe Laufbahn des Pilatus nichts bekannt ist und seine Schilderung derselben daher erzählt, wie es wohl gewesen sein könnte (15).

Unterteilt ist Märtins Buch in drei große Abschnitte. "Der Römer und Ritter" (17-76) erzählt die Geschichte der Zeit, in der Pilatus lebte. Hier finden sich allgemeinere Überblicke (über die Stadt Rom, die Aristokratie, den cursus honorum, die Juden im Reich und die römische Ostpolitik) sowie die Partien der Reichsgeschichte, die entweder für die Person des Pilatus relevant (seine Amtshandlungen als Statthalter) oder als Geschehen um den Kaiser für das allgemeine Verständnis der Zeit von Bedeutung sind (so zu Tiberius und Seianus). Der Stil ist der eines Sachbuches für ein breiteres Publikum.

Das Kapitel "Der Richter" (77-120) umfasst auf Basis der Evangelien die Ereignisse von der Verhaftung Jesu bis zur Gewährung seines Begräbnisses durch Pilatus. Die Perspektive ist konsequent die des Pilatus, dessen Gedanken dem Leser immer wieder in inneren Monologen geboten werden. Informationen oder Ereignisse, die Pilatus nicht persönlich miterlebt hat, aber für das Thema von Bedeutung sind, werden in Form von mündlichen oder schriftlichen Berichten eingebaut. Wie sich daraus unschwer erkennen lässt, ist dieses Kapitel wie ein historischer Roman gestaltet.

Eine Neuerung der Fassung von 2012 ist das dritte Kapitel "Von Pontius zu Pilatus. Eine historisch-archäologische Exkursion auf der Spur des Präfekten" (125-153). Märtin folgt hierin dem Weg des Pilatus von Rom ("1. Station: Rom" (127-138)) nach Iudaea ("2. Station: Israel" (139-148)) und weiter zu den Orten, zu denen Pilatus bzw. sein Leichnam laut späteren Legenden gelangt ("3. Station: Von Rom über Frankreich in die Schweiz" (149-151) und "4. Station: Alternative Italien" (152-153)).

Es sei noch erwähnt, dass bei der Lektüre immer wieder kleinere Ungenauigkeiten und Fehler auffielen.[2] Die Grundsubstanz des Buches ist dafür allerdings auch im Detail solide und zuverlässig, wie etwa der historisch zutreffende Nebensatz über weibliche Gladiatoren (24) zeigt.

Von ganz anderer Bedeutung ist das Buch von Demandt. Dass von einem seit über fünfzig Jahren tätigen Althistoriker mit umfassenden Vorkenntnissen zum Thema eine vollkommen andere Darstellung zu erwarten ist, versteht sich von selbst. Allerdings bietet Demandt nicht nur eine gute Einführung zur ersten Information (wie sie in dieser Reihe zu erwarten ist), sondern auch einen wissenschaftlichen Forschungsbeitrag (wie er in dieser Reihe nicht selbstverständlich ist, aber in vielen Fällen auch nicht realisierbar wäre).

Demandts Buch besteht aus insgesamt acht Kapiteln: "1. Die Römer im Osten" (9-17) führt, mit Alexander und den Seleukiden beginnend, in die Vorgeschichte der Provinz Iudaea und die Verwaltung des Gebietes ein. "2. Religion in Judäa" (17-33) bietet einen Überblick über die Religionsgeschichte des antiken Judentum und die antike Religion im Allgemeinen.

"3. Außerbiblische Quellen zu Pilatus" (33-45) sammelt die vorhandenen Quellen zu Pilatus, sofern es sich nicht um die Evangelien (oder von diesen abhängige Berichte) handelt. Behandelt werden die drei Autoren Philo von Alexandria, Flavius Josephus und Tacitus [3], weiterhin die von Pilatus geprägten Münzen, die Inschriften (insbesondere natürlich die Pilatus-Inschrift aus Caesarea Maritima) und der (Pilatus nur indirekt erwähnende) Talmud.

Etwas irreführend ist die Überschrift von "4. Pilatus als Statthalter" (45-65). Hierin nämlich wird nicht nur über die Ereignisse während der Statthalterschaft berichtet, sondern auch über die Amtsvorgänger des Pilatus sowie ebenso über die rekonstruierte Familiengeschichte der Pontii und die mögliche Bedeutung des Namens Pilatus.

Wissenschaftlich interessant ist vor allem "5. Die Passion" (65-85). Demandt analysiert hier die Berichte der Evangelien über die Gefangennahme und den Prozess Jesu und beurteilt ihre historische Glaubwürdigkeit. Manchem wird zugestimmt (71 zur Gegenwehr der Jünger bei der Verhaftung), manches in seinen Grundlagen, aber mit Einschränkungen akzeptiert (70-71 zur nächtlichen Verhaftung durch die Tempelpolizei, an der aber wohl keine römische Kohorte beteiligt war) und manches als Ganzes verworfen (74 zur Diskussion zwischen Pilatus und der jüdischen Menge), was aber auch dann die Akzeptanz einzelner plausibler Aspekte (75-76 zum möglichen Massenauflauf der Juden vor dem praetorium) nicht ausschließt. Gewiss wird man nicht in jeder Einzelfrage mit Demandt übereinstimmen und seine Schlussfolgerungen manchmal vielleicht als zu sicher erachten (so 75, wo der nur in den Evangelien belegte Brauch der Osteramnestie von vornherein als unhistorisch angesehen wird), doch ist seine Rekonstruktion vernünftig und gut begründet.

"6. Was ist Wahrheit?" (85-91) untersucht das Fortleben der in der Überschrift genannten Frage, die Pilatus laut dem Johannesevangelium an Jesus gerichtet haben soll. "7. Pilatus-Legenden" (92-109) sammelt die antiken und mittelalterlichen Legenden zu Pilatus und die Verwertung des Stoffes in der Literatur der Neuzeit.

"8. Jesus freigesprochen - was wäre geschehen?" (109-118) behandelt die von Demandt bereits früher mehrfach gestellte (siehe Anm. 1) Frage, was geschehen wäre, wenn Pilatus Jesus nicht zum Tode verurteilt hätte (und auch eine spätere Kreuzigung nicht erfolgt wäre). Seine Antwort darauf lautet: Das Christentum hätte niemals die tatsächlich erlangte weltgeschichtliche Bedeutung erreicht. Demandt diskutiert daraufhin die Alternativmöglichkeiten: Hätte das Heidentum ohne das Christentum länger fortbestehen können? Welche Religion hätte anstelle des Christentums eine Nachfrage nach einer monotheistischen Religion decken können? Wie wäre der Weg eines jüdischen Römerreiches verlaufen? Und welche Bedeutung hätte die Nichtexistenz des Christentums für den Islam gespielt? Es mag an dieser Stelle die Bemerkung genügen, dass Demandts Ausführungen geistvoll und anregend sind, vieles aber auch vollkommen anders beurteilt werden könnte. Bei einer solchen Fragestellung ist die Zahl der Unbekannten einfach zu groß, als dass eine zuverlässige Antwort möglich wäre.

Um es also zusammenzufassen: Wissenschaftlich ist Märtins Buch ohne Wert (allerdings muss gerechterweise gesagt werden, dass dies auch nicht sein Ziel ist), wenn man nicht gerade zum Pilatusbild des 20. und 21. Jahrhunderts forscht. Demandts Buch hingegen gehört zu den seltenen Fällen, in denen ein Band der Reihe "Beck-Wissen" sich nicht nur zur ersten Information eignet, sondern auch einen gewinnbringenden Forschungsbeitrag bedeutet. Was aber ist nun dem nichtwissenschaftlichen Leser zu empfehlen? Hier beweisen beide Bücher ihren Wert: Wem es hauptsächlich darum geht, gut unterhalten zu werden und vielleicht nebenbei auch noch etwas zu lernen, sollte zu Märtin greifen. Wer dagegen an erster Stelle gut informiert werden will, das aber in lesbarer und ansprechender Form [4], trifft mit Demandts Werk die bessere Wahl.[5]


Anmerkungen:

[1] Neben denjenigen Beiträgen Demandts, die er selbst im Literaturverzeichnis anführt (119), ließe sich etwa noch nennen: Ungeschehene Geschichte, Göttingen 19862, 82-86 (ausführlicher in den späteren Auflagen: 20013 = 20054, 101-108); Pontius Pilatus - begnadigt Jesus, in: Kai Brodersen (Hrsg.): Virtuelle Antike. Wendepunkte der Alten Geschichte, Darmstadt 2000, 119-132; Antike Wundermänner, in: Alexander Demandt: Zeitenwende, Berlin 2013, 434-454 (behandelt 436-437 Jesus als Wundermann und geht auf einen erstmals 2007 gehaltenen Vortrag zurück).

[2] Es seien nur einige Beispiele genannt: Die Bezeichnung des Pilatus, eines ritterlichen Beamten in einer abgelegenen Provinz, als "hoher Verwaltungsbeamter mit weitreichenden Vollmachten" (11) ist weitgehend unzutreffend. Die Verbannung der 4000 Juden nach Sardinien unter Tiberius ist nicht in der Größe der jüdischen Gemeinde begründet (so 44), sondern laut Flavius Josephus (Ant. Iud. 18,3,5) in der hemmungslosen Bereicherung einiger falscher Propheten, denen sogar die Frau eines Senators zum Opfer fällt. 72 wird Josua als erster König der Israeliten bezeichnet, nach biblischer Tradition handelt es sich jedoch bei dem erheblich späteren Saul um den ersten König.

[3] In diesem Zusammenhang sei jetzt auch hingewiesen auf Richard Carrier: The prospect of a Christian interpolation in Tacitus, Annals 15.44, in: Vigiliae Christianae 68 (2014), 264-283, der gegen die Annahme, dass die entsprechende Angabe des Tacitus einer späteren christlichen Interpolation entstammt, Stellung bezieht.

[4] Druckfehler sind bei Märtin ebenso wie bei Demandt praktisch nicht vorhanden, so dass sich überhaupt nur ein Fall ermitteln ließ: Bei Demandt ist auf Seite 25 "als neuer Moses ausgab" statt "als neuen Moses ausgab" zu lesen.

[5] Demandts Buch ist in den Rezensionsteilen der relevanten Fachzeitschriften offensichtlich bislang unberücksichtigt geblieben. Sieht man von Demandts Beurteilung als "flott geschrieben und bringt kulturgeschichtlichen Hintergrund" (108, während im Register fälschlich auf 103 verwiesen wird) ab, ist auch zu Märtin lediglich die (eher kritische) Rezension von Michael Sommer, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 60 (2012), 860-861 zu nennen.

Raphael Brendel